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Paar (2). Auch das Glück von Ellen (Michelle Williams) und Leo (Gael Garcia Bernal) wird auf die Probe gestellt.

© ddp

Filmkritik: Alle Mütter dieser Erde

Lukas Moodyssons "Mammut" war der Berlinale-Flop 2009, ist als grelles Melodram aber nicht übel.

Ach, wie wurde dieser Film verachtet! Als „Mammut“ bei der Berlinale 2009 Premiere hatte, reagierten die Kritiker aufgebracht. Nach der Pressevorführung donnerten Buhs durch den Saal. Begriffe wie Schnulze („Die Welt“), Betroffenheitskino („Tagesspiegel“), Sozialschmonzette („Frankfurter Rundschau“) oder Pseudo-Politkitsch („Berliner Zeitung“) dominierten anderntags die Besprechungen. Ein Gemetzel!

Nun entwickeln Festivals bekanntlich ihre eigenen Dramaturgien. Wenn ein Regisseur dann auch noch Globalisierungsfragen mit den Mitteln des Melodrams angeht, kann das auf dem politischsten aller Festivals zu heftigen Ausschlägen auf der Empörungsskala führen. Auch die Enttäuschung über den bis dahin so bewunderten Lukas Moodysson mag dazu beigetragen haben. Mit Filmen wie „Raus aus Amal“ (1998), „Zusammen“ (2000) oder „Lilya 4-Ever“ (2002) hatte der mittlerweile 41-jährige Schwede beeindruckend angefangen.

So schlecht ist „Mammut“ aber gar nicht. Vorausgesetzt, man betrachtet den Film unter den Vorzeichen seines Genres. Das Melodram, zur Zeit der französischen Revolution als Bühnengattung entstanden, sollte durch Schwarz-Weiß-Malerei für jene moralisch eindeutigen Botschaften sorgen, die zuvor durch Glaube und Kirche vermittelt worden waren. Tränenreiche Ergriffenheit und Sympathie mit den Leidenden gehörten dazu. Letztlich funktioniert das Melodram so bis heute – als Genre für die Massen.

Kein Wunder also, wenn der Film plakativ daherkommt. Er nimmt sich die Ungerechtigkeiten der globalisierten Moderne vor und reduziert sie auf Aussagen von brutalstmöglicher Eindeutigkeit. Etwa in der Klage über den Zerfall der Familien: Leo (Gael Garcia Bernal) jettet als Computerspieldesigner durch die Welt. Seine Frau Ellen (Michelle Williams) schuftet in einem New Yorker Krankenhaus als Unfallchirurgin Nachtschichten ab. Die achtjährige Tochter Jackie (Sophie Nyweide) wird deshalb von der philippinischen Nanny Gloria (Marife Necesito) erzogen. Diese wiederum hat ihre beiden Söhne in der Heimat zurückgelassen. Sie will ihnen ein besseres Leben ermöglichen, vernachlässigt aber deren Sehnsucht nach mütterlicher Nähe. Der Lebensstil wohlhabender Westler zerstört also nicht nur die Bindungen zu den eigenen Kindern – er zieht auch die ärmeren Weltregionen mit hinein. Dazu ertönt eine Boney-M.-Version von „Motherless Child“.

Mit stark kontrastierenden Montagen stellt Lukas Moodysson die Welten einander gegenüber. Immer wieder öffnet die New Yorker Ärztin ihren prallgefüllten Kühlschrank, um sich dann doch nur eine Pizza zu bestellen. In Asien durchwühlen die Kinder stattdessen Müllberge. Klarer geht es kaum. Aber bloß weil die Botschaften eindeutig daherkommen, sind sie nicht automatisch falsch. Manchmal entwickelt Moodysson sogar einen erhellenden Sarkasmus: Als die Kinderfrau in New York zum Beispiel einen Basketball für ihre auf den Philippinen zurückgebliebenen Söhne kauft, ist auf dem Ball zu lesen: „Made in the Philippines“. Muss man erst unter persönlichen Opfern in den Westen aufbrechen, um sich leisten zu können, was in der Heimat hergestellt wird?

„Mammut“ ist kein großer Film, angesichts von Moodyssons Talent darf man seinen Ausflug ins amerikanische Melodram sogar bedauern. Und doch: Der Film hat bewegende Momente, in denen er auf dem schmalen Grat zwischen Rührung und Kitsch balanciert. Und das, soviel kann man zugestehen, ist nicht zu verachten.

Filmkunst 66; OmU im Central und fsk

Julian Hanich

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