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Kultur: Als die Bilder singen lernten

Die frühen dreißiger Jahre waren eine Glanzzeit des Kinos: Die Studios waren reich und gut durchorganisiert, die Stars waren unerreichbare Halbgötter, die Einführung des Tonfilms förderte die Attraktivität des Mediums und provozierte jede Menge ästhetischer Experimente.Auch und gerade in Deutschland entstanden in jenen wenigen Jahren bis zum weitgehenden künstlerischen Kahlschlag durch die Nazis so viele gelungene, selbstironische, realitätsbezogene und tragikomische Filme wie kaum jemals zuvor oder danach.

Die frühen dreißiger Jahre waren eine Glanzzeit des Kinos: Die Studios waren reich und gut durchorganisiert, die Stars waren unerreichbare Halbgötter, die Einführung des Tonfilms förderte die Attraktivität des Mediums und provozierte jede Menge ästhetischer Experimente.Auch und gerade in Deutschland entstanden in jenen wenigen Jahren bis zum weitgehenden künstlerischen Kahlschlag durch die Nazis so viele gelungene, selbstironische, realitätsbezogene und tragikomische Filme wie kaum jemals zuvor oder danach.

Meist mit ausgiebigen Musikeinlagen - die neue Attraktion Tonfilm sollte dem Publikum schließlich ausgiebig vorgeführt, mit der noch nicht ganz ausgereiften Technik weiterexperimentiert werden, und außerdem hatten findige Firmen wie die Ufa sich schon ausgerechnet, daß sie mit ein paar Schlagern in jedem Film auch noch lukrativ Platten und Aufführungsrechte verkaufen und damit zugleich das Interesse am Kinobesuch steigern könnten.

Jener Epoche widmet sich im November ein filmhistorischer Kongreß, zu dessen Vorbereitung jetzt schon einige öffentlich zugängliche Vorführungen im Zeughaus stattfinden: Von morgen bis Sonntag laufen acht Streifen zum Thema "Krise und Goldenes Zeitalter des internationalen Musikfilms 1925-38".Abgesehen von René Clairs erstem Tonfilm "Sous les toits de Paris", einer für die frühen dreißiger Jahre typischen "Filmoperette", handelt es sich durchweg um Raritäten.

Wem war zum Beispiel bewußt, daß der junge Alfred Hitchcock einmal Ausflüge in das Musikfilmgenre unternommen hat? Am Buch zu "Elstree Calling", einer 1929/30 in den britischen Elstree-Studios entstandenen Revue, arbeitete er mit und inszenierte auch einige Szenen.In "Waltzes From Vienna" schließlich widmete er sich 1933 ganz der Lebens- und Schaffenskrise des jungen Johann Strauß; eine Billigproduktion, über die der "Master of Suspense" später die Nase gerümpft haben soll.

Ein noch bemerkenswerteres Dokument stellt "Wir schalten um auf Hollywood" dar: Der Starkomiker Paul Morgan, einige Jahre später von den Nazis ermordet, traf für diese filmische Klatschkolumne 1931 Größen wie Buster Keaton und Joan Crawford, Greta Garbo und Norma Shearer, aber auch Sergej Eisenstein, Oscar Straus und Heinrich George.Ein deutsches Pendant zu diesem "All-Star Film" stellt "Die große Sehnsucht" dar, in dem Harry Liedtke, Conrad Veidt, Fritz Kortner und viele andere Prominente der damaligen Zeit auftraten.

Ebenfalls von Stefan Szekely inszeniert wurde "Ein steinreicher Mann", eine Komödie mit Dolly Haas, Curt Bois und einer natürlich donnernden Adele Sandrock.Und mit "Zwei Krawatten" kann man jene gefeierte Bühnenrevue von Georg Kaiser und Mischa Spoliansky erleben, in der Josef von Sternberg Marlene Dietrich entdeckt hatte.Die Rolle der mittlerweile gen Hollywood Entfleuchten übernahm in der Filmversion der Verwechslungsfarce Olga Tschechowa.

Grigorij Alexandrows "Lustige Burschen" schließlich markiert schon das Ende der kurzen Blüte: Mit diesem Streifen kam die "Tonfilmoperette" (ein muffig klingender Begriff, hinter dem sich in Wahrheit eine europäische, realitätsbezogene Spielart des Musicals verbarg) 1934 sogar in der Sowjetunion an.Doch die Geschichte um einige Jazzmusiker fand nicht das Gefallen Stalins, und wenn fürderhin in sowjetischen Filmen Musik erklang, dann tanzte man nicht mehr zu synkopierten Rhythmen befreit und schwerelos wie in Hollywood, sondern schmetterte volkstümliche Weisen und Märsche zur Arbeit in der Kolchose oder Fabrik.

Und in Deutschland wanderte das Musikkino aus der Alltagswelt der frühen dreißiger Jahre in das Niemandsland von Revuefilmen, in denen in starren Bühnenkulissen meist etwas aufgeführt wurde, das mehr nach Leibeserziehung und Wehrkraftertüchtigung aussah denn nach Tanz.

JAN GYMPEL

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