zum Hauptinhalt
324356_0_06391fb9.jpg

© AFP

ARCO: Der spanische Geschmack

Die Madrider Kunstmesse ARCO gibt sich nach der Krise bescheiden – bei einer Million Euro ist Schluss.

Schon am ersten Nachmittag strahlt Walter Storms. „Ich habe alle Berliner verkauft“, deutet der Münchner Galerist auf die roten Punkte an den abstrakten Bildern von Peter Krauskopf. Je Arbeit 18 000 Euro, dieses Preisniveau kommt auf der Madrider Kunstmesse ARCO gut an. Der Sean Scully auf der anderen Kojenwand dürfte mit 200 000 Euro weit schwieriger unterzubringen sein.

Die 29. Ausgabe der ARCO steht durchaus im Zeichen der Erholung. Zwar ist „Krise“ das meistgebrauchte Wort in Spanien, doch zumindest die Madrider Messe hat ihren Tiefpunkt bereits im vergangenen Jahr erlebt. So herrscht denn verhaltener Optimismus unter den Galeristen. 227 sind es diesmal, nochmals elf weniger als im vergangenen Jahr. Mit 29 Galerien ist das deutsche Kontingent erneut das stärkste aus dem Ausland. Doch ist die Verminderung zugleich Ausdruck der konsequenten Qualitätspolitik, die Messedirektorin Lourdes Fernández seit Jahren gegen den Widerstand etlicher Galerien betreibt, die sich die Aussicht auf früher bis zu 200 000 Messebesuchern nicht nehmen lassen wollten. Jetzt wird immerhin noch mit rund 150 000 Schaulustigen gerechnet, so dass die ARCO ihren Stammplatz als besucherträchtigste Kunstmesse der Welt auf jeden Fall behalten wird. Und das bei einem Eintrittspreis von 32 Euro.

Genug der Krise! Marc Domènech von Oriol (Barcelona) bringt es auf den Punkt: „Die Preise sind gefallen, aber weniger für die klassische Moderne. Für gute Stücke bleibt der Markt stabil.“ Oriol hat den in Deutschland kaum bekannten Joaquín Torres-García im Angebot, wie auch die Madrider Galerie Leandro Navarro, die für dessen museumsreife „New Yorker Straßenszene“ von 1927 eine hohe sechsstellige Summer erwartet. Es wäre allerdings verfrüht, von einer Rückkehr der Klassiker zu sprechen. Dafür war die ARCO nie etabliert genug; die Klassiker haben ihren Schauplatz unverrückbar in Basel. Wie sehr die auf Spanien lastende Wirtschaftskrise jeden Anflug von Großtuerei unterbunden hat, zeigt sich am alljährlich gesuchten „teuersten Werk“ der Messe. Da wurde noch im vergangenen Jahr ein später Francis Bacon für knapp 16 Millionen Euro ausgemacht – der dann bei Marlborough hängen blieb. In diesem Jahr zeigt das Londoner Großunternehmen eine Strandszene des Kolumbianers Fernando Botero für knapp eine Million Euro als Aushängeschild.

Auf die spanischen – und in ihrem Gefolge die lateinamerikanischen – Sammler zielen viele Galerien mit ihren Vorzeigestücken. Der Düsseldorfer Messe-Methusalem Hans Mayer bietet Christos Zeichnung „Wrapped Monument to Cristobal Colón“ für 180 000 Euro feil, also das verpackte Kolumbus-Denkmal der gastgebenden Hauptstadt. Grita Insam aus Wien wartet mit einer Stahl-Draht- Skulptur von Gerod Tagwerker als Blickfang auf, die die beiden Bürotürme von Philip Johnson im Norden Madrids paraphrasiert (20 000 Euro). Und wem ein früher Gerhard Richter zu teuer ist, hätte bei Elba Benitez (Madrid) die Nachahmung von dessen „Stadtansicht Madrid“ für 47 000 Euro erwerben können – wäre ein Sammler ihm nicht zuvorgekommen. So ist die Arbeit von Vik Munoz bereits am ersten Vormittag mit einem roten Punkt markiert.

Die wie jedes Jahr eingeflogenen, rund 300 VIP-Sammler lassen sich wie Schulklassen durch die Hallen führen, entfachen aber anfangs noch kein Konsumfeuer. Sogar die vermeintlichen Skandalstücke erringen allenfalls höfliches fachkundiges Interesse. So mochte man das kreischende Geräusch aus Halle 10 anfangs für den Hinweis auf einen verspäteten Standaufbau halten. Weit gefehlt: Im „Projektraum“ von Juana de Aizpuru sind zwei Schlosser damit beschäftigt, ein Metallschild maschinell zu polieren. Es handelt sich um eine Kopie des Torbogens von Auschwitz mit dem zynischen Motto „Arbeit macht frei“. Die kubanische Politkünstlerin Tania Bruguera nennt ihre Arbeit „Mehrwert“; die Idee dazu sei ihr bei der Nachricht vom Diebstahl des Originals gekommen: „Was steht hinter dem Wunsch, ein solches Objekt zu besitzen?“ Mehr Auflauf als das in Spanien vielleicht nicht jedermann geläufige Schild erzielte der madrilenische Profi-Provokateur Eugenio Merino, der die Vertreter der drei monotheistischen Religionen zu einer Zirkusnummer unter dem Titel „Stairway to Heaven“ vereint. Unten kniet ein Moslem zum Gebet, auf ihm hockt ein katholischer Priester, und obenauf steht ein strahlender Rabbi. Hätte sich die israelische Botschaft in der spanischen Hauptstadt nicht sogleich bemüßigt gefühlt, die „Verbreitung von Vorurteilen und Stereotypen“ unter dem „Deckmantel von Meinungs- oder Kunstfreiheit“ zu geißeln, wer weiß, ob die Koje der ADN Galería (Barcelona) solche Beachtung gefunden hätte. Ein belgischer Sammler, vermutlich Jan-Hoet-geschult, langte für 45 000 Euro zu.

Doch die Schockmethode zieht nicht mehr. Die Tageszeitung El Mundo konstatierte trocken: „Es ist nicht die Zeit für Exzesse“. Weder inhaltlich noch finanziell: Mit 60 000 Euro beziffert die Kollegin von „ABC“ die „Grenze unserer Sammeltätigkeit“. Da passen Peter Zimmermanns Kunststoffbilder bei Michael Janssen mit 45 000 Euro gut hinein, und der Berliner Galerist zeigte sich am ersten Tag kühl-zuversichtlich: „Wir haben gute Hoffnung, noch heute das ein oder andere Geschäft anschließen zu können.“ Im vergangenen Jahr hätten die spanischen Sammler „nur bei spanischen Galerien gekauft, um den heimischen Markt zu stützen“. Dass es gerade bei der ARCO auf die intensive Betreuung des nationalen Sammlerkreises ankommt, bestätigen alle Händler.

Als Gäste treten diesmal 16 Galerien aus Los Angeles aus, erstmals aus einer einzelnen Stadt. Dieser Auftritt allerdings ist geradezu jämmerlich, und allein schon die New Yorker Galerie Edward Tyler Nahem zeigt mit einem museumsreifen Angebot des Ur-Kaliforniers Ed Ruscha, was die L.A.-Emissäre sträflich verabsäumt haben. Nein, vor den kalifornischen Kollegen müssen sich die ARCO-treuen Galerien nicht verstecken. Die Qualität ist durchweg gut, wenngleich auch mit wenigen Glanzlichtern. Die deutliche, allzu deutliche Ausrichtung auf den spanischen Sammlergeschmack birgt die Gefahr der Regionalmesse. Dagegen hilft nur eine so unbeirrt selbstbezogene Auswahl, wie sie die Galerie 1900-2000 mit einer Wand voller Fotografien aus dem heimischen Paris der zwanziger und dreißiger Jahre zeigt, von Man Ray über Germaine Krull bis Hans Bellmer. Und das bei Preisen ab 3500 Euro pro Originalabzug! Etwas mehr kostet es beim Madrider Haus La Caja Negra. Da hängt denn aber auch ein Prachtstück an der Kojenwand: eine drei Meter dreißig messende Farblithografie von Ellsworth Kelly (18er Auflage, 60 000 Euro). So muss es sein. Wie schön, dass Art-Basel-Chef Marc Spiegler noch am Abend der ARCO bescheinigte, sich „konsolidiert“ zu haben. Nach oben geht es immer, wenn man im Jahr zuvor in den Abgrund geblickt hat.

ARCO Madrid, bis 21.2.. www.ifema.es

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false