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Kultur: Auf dem Sprung

Tamer Yigits und Branka Prlics Türkei-Drama „Karaman“ in der PERSPEKTIVE.

In Karaman haben die Ruinen einiger der ältesten christlichen Kirchen der Welt überdauert, errichtet auf der roten Erde Anatoliens. Eine schroffe Landschaft, mit Grand-Canyon-artigen Kratern, dem erloschenen Vulkan Karadag und einer Vielzahl verschlungener Höhlen im Fels. Ein Eldorado für Archäologen. Aber keins für junge Menschen, denen wichtiger ist, eine Zukunft zu haben als eine Vergangenheit.

„Karaman“, so nennen Branka Prlic und Tamer Yigit ihren Film. Drehbuchautor Yigit blickt mit Platon auf die politische Situation der Türkei heute: „Viele sind in den 70er Jahren hängen geblieben“, beschreibt er, alte Feindschaften bestünden fort, wie die zwischen Militärs und Religiösen. Alles Gefangene ihrer Ideologie.

Man warte darauf, dass sich das türkische Volk aus der Höhle befreie, heißt es einmal im Film. Der folgt der Studentin Zehra, die aus Istanbul heimkehrt in die Stadt Karaman, zum Vater, der früher beim Militär war, und zum Bruder, der als Heavy-Metal-Slacker in den Tag lebt. Die Generationen haben sich wenig zu sagen. Und Zehra ist auf dem Sprung.

Die Berliner Prlic und Yigit, beide Mitte 30, haben vor allem mit ihren Theaterarbeiten am Hebbel am Ufer von sich reden gemacht. Energetische Inszenierungen wie „Ein Warngedicht“, „Die Nachthexe“ oder zuletzt „Onkelz“ sind da entstanden, die im Wesen immer davon erzählten, wie Schubladendenken den Kopf verklemmt. Ursprünglich kommen die beiden aber vom Film, die Rückkehr zum Kino empfanden sie als „Befreiungsschlag“, so Prlic.

„Karaman“ ist im März 2011 binnen fünfzehn Tagen entstanden, als No-Budget-Produktion. Außer Kamera, Ton und Licht hat das Künstlerduo fast alle Aufgaben selbst übernommen. Man merkt dem Film seine Entstehung nicht an. Dafür wirkt die Geschichte zu reich, zu lebenserfahren, im besten Sinne ambivalent. Manches, was Tamer Yigit während eines Istanbul-Aufenthalts beobachtet hat, ist indirekt ins Buch eingeflossen: die Szene mit der jungen, modern wirkenden Studentin etwa, die sich vor dem Uni-Gebäude verstohlen umblickte, das Kopftuch abnahm und im Eingang verschwand. Die meisten Fakultäten erlauben keine Verhüllung. „Egal, wie ich zum Kopftuch stehe – das hat mir zu denken gegeben“, so Yigit.

Die Zehra im Film– großartig: Isilay Gül – trägt das Tuch mit Selbstbewusstsein. Doch Bruder Erol nimmt ihr die Muslima nicht ab, sonst dürfte sie wohl kaum den Kommunisten Saramago lesen. Eine Frau voller Widersprüche? „Ich würde mich auch als gläubigen Moslem bezeichnen – und bin von Saramago beeinflusst“, sagt Yigit dazu nur.

Erol ist, obwohl er nicht im Zentrum steht, eine ebenso starke Figur wie Zehra. Talu Emre Tüntas, der schon im „Warngedicht“ auf der Bühne stand, verleiht ihm beachtliche Kamerapräsenz. „Wenn man über die Türkei nachdenkt, sind Menschen wie Erol unsichtbar“, sagt Prlic. Eine verlorene Jugend, die zwischen allen Stühlen sitzt. Abhauen ist keine Option, die Welt steht nicht allen offen. Prlic erzählt dazu, dass sie schon öfter versucht haben, junge Musiker aus der Türkei zu ihren Theaterarbeiten einzuladen. Aber das deutsche Konsulat verweigerte die Visa.

Es gibt in „Karaman“ noch die Figur eines Loners, Tamer Yigit spielt ihn. Ein schweigsamer Typ, der aus Deutschland zurückgekehrt ist. Dieser Haydar, sagt Yigit, stehe für jene, die sich in den 70ern in der Fremde an zu viel Freiheit und Alkohol verloren haben und kaputt in die Türkei zurückgehen. Die Generation seiner Eltern. Aber auch für die anderen, die Jungen, die wach und schlau sind, die heute in Deutschland Kunst machen wollen, doch sich als Menschen nicht wahrgenommen fühlen. Das Gefühl kennt er. „Als ich das Buch zu ,Karaman’ geschrieben habe, waren meine Koffer gepackt.“

Es hat es sich zum Glück anders überlegt. Ihren nächsten Film drehen Branka Prlic und Tamer Yigit in Deutschland. Patrick Wildermann

„Karaman“: 17.2., 16.30 Uhr (Cinemaxx 3), 18.2., 20.30 Uhr (Cinemaxx 1)

Die Gegend ist ein Eldorado

für Archäologen. Aber eine Zukunft bietet sie nicht

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