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Gitarrengott. Jimi Hendrix 1967 im Kostüm des psychedelischen Zirkusdirektors.

© Katalog V & A, Gered Mankowitz

Ausstellung in London: Das "Age of Aquarius" ist reif fürs Museum

Als die Jungen rebellierten: Das Victoria & Albert Museum London erinnert in Brexit-Zeiten an die befreiende Explosion des Pop nach 1966.

Sterne werden geboren. Die Welt dreht sich schneller. Die Mondlandung und das Woodstock-Festival: Dazwischen liegen im Sommer 1969 keine vier Wochen. Der Urknall des Pop-Zeitalters, des „Age of Aquarius“, der multiplen Aus- und Aufbrüche aus der Nachkriegszeit, der zweiten Aufklärung wird in London etwas früher, auf das Jahr 1966 datiert. Darin liegt das Überwältigende jener Zeit, die eine neue Musik, sexuelle Freiheiten, buntes Design und radikales politisches Bewusstsein bringt – es genügen vier Jahre, um den Planeten neu zu erfinden. Sie gehören zu den längsten in der Geschichte der Menschheit. Denn sie dauern an.

Und wiederum: Diese Jahre müssen lange vergangen sein, wie kämen sie sonst in die Vitrine? „You Say You Want A Revolution?“ Mit dem Beatles-Song überschreibt das Victoria & Albert Museum seine Passage durch die Sixties: „Records and Rebels 1966–1970“. Es ist das Haus, das mit der David-Bowie-Ausstellung einen Hype ausgelöst hat, in ganz Europa. „David Bowie Is“ war auch in Berlin zu sehen. Im kommenden Jahr präsentiert das V & A „The Pink Floyd Exhibition: Their Mortal Remains“.

Ein Zeitalter wird besichtigt

Vor den doch auch unsterblichen Überresten der Gegenkultur, die zum Mainstream wurde, steht man just in dem Moment, da die Briten sich mehrheitlich aus Europa davonmachen wollen. Fremdenfeindliche Übergriffe sind auf der Insel in Mode gekommen, ein Bruch deutet sich an, der tiefer ist als der Ärmelkanal und der sich über die Insel zieht. Freilich bemerkt man davon nichts im September 2016 in London. Die Stadt sprüht vor einer Internationalität, die Berlin noch lange nicht erreicht hat. Es passt vieles nicht zusammen. Man hofft, dass sie den Brexit nicht hinbekommen. Dass die jungen Briten, in deren Knie da geschossen wurde, aufstehen, auf die Straße gehen, protestieren, wie einst die Großeltern.

Passiert aber nicht. Die „Rebels“ sind im Museum, und dessen deutscher Direktor Martin Roth sieht sich allein auf weiter Flur. Er wird das V & A und London verlassen, trotz oder wegen seiner schönen Erfolge. Roth setzt ein Zeichen gegen die Apathie und Ignoranz des Kulturbetriebs. Man könne doch nicht den gefährlichen Populisten überall in Europa nur zuschauen. Sagt er und zieht sich zurück.

Ein Zeitalter wird besichtigt. „My Generation“ von The Who ist eine der Hymnen, es herrscht ein unglaubliches Gedränge von Stars, Helden, Propheten, Anführern, epochalen Musikern. Lennon, Jagger, Dylan, Zappa (mit dem klassischen Klo-Foto), Hendrix. Audioguides geben dem Besucher die Sounds und Songs jener Jahre aufs Ohr, automatisch.

Zur Gegenkultur gehört Gegengewalt

So viel Utopie war nie. Wer hält das aus – dass seitdem ein halbes Jahrhundert schon vergangen ist? Jetzt erlebt die Welt eine Art Rollback, sicher Geglaubtes wird dementiert. Die Fortschrittsjahre 1966 ff. werden gefeiert in einer Phase starker Negativität und Abschottung. Die Welt zeigt jetzt wieder das hässliche Gesicht, das ihr heruntergerissen worden war.

Der Weg hinein in die Schau ist gepflastert mit Originalcovers aus der Sammlung des legendären Radio-DJs John Peel. Aber was wäre hier nicht legendär? In London erinnert man natürlich an den richtungsweisenden Film „Blow up“ von Michelangelo Antonioni, an Peter Brooks Anti-Vietnam-Film „US“. Black Power, Gay Liberation, die Anfänge der Öko-Bewegung, nichts fehlt. Zur Gegenkultur gehört Gegengewalt, auch gegen sich selbst.

Bald sterben die Helden, Janis, Jimi, Jim, wie die Fliegen. Nicht zu vergessen die Freisetzung akut gefährlichen Größenwahns und Machismo – auch wenn es in der Regel nicht tödlich endete wie bei Charles Manson und seiner Mörderbande. John Lennons „Revolution“ (1968) steckt voller Skepsis und Sarkasmus. Keine Lust auf Mao-Bilder und Kollekten für irgendwelche Hassprediger: „You better free your mind instead“, lautet die Botschaft. Mach dich selber frei. Aber wie Lennon singt: Das wollten damals viele. Den Kopf der Menschen freiblasen. Und das heißt ja oft genug, ihn neu zu besetzen.

Noch etwas machte sich auf den Weg, etwas Größeres

Gitarrengott. Jimi Hendrix 1967 im Kostüm des psychedelischen Zirkusdirektors.
Gitarrengott. Jimi Hendrix 1967 im Kostüm des psychedelischen Zirkusdirektors.

© Katalog V & A, Gered Mankowitz

Schönes Detail am Rand: LSD, die von Timothy Leary und Ken Kesey propagierte Hippie-Droge, war bis Mitte der Sechziger in Großbritannien legal und wurde zur Therapie von Alkoholikern eingesetzt. In den Fünfzigern forschte die CIA nach Möglichkeiten, LSD als biologische Waffe einzusetzen. Die heißen Sechziger kamen aus dem Kalten Krieg.

Und das passt alles in eine Ausstellung? Sie ist von den Kuratoren Victoria Broackes und Geoffrey Marsh auf Verwirrung angelegt, labyrinthisch, man wandelt durch eine flirrende Welt von Waren und Objekten. Ein primitiv wirkender Raumanzug der Apollo-8-Mission, die das erste Foto vom Blauen Planeten gemacht hat, Beatles-Roben, Manuskripte, Plakate, Filmausschnitte und – für ein Museum – anständig laute Musik: Man begreift, dass seinerzeit eine technische Revolution im Gang war, im Radio und Fernsehen, mit der Langspielplatte, die heute schon wieder historisch ist. Eine Revolution der Bilder: Die LP verbindet Klang und Text und bildende Kunst.

Eine neue Idee von Konsum

Noch etwas machte sich da auf den Weg, etwas noch Größeres. Als 1968 in Kalifornien die erste Ausgabe des „Whole Earth Catalog“ erscheint, ist von „tools“ die Rede. Diese Werkzeuge sollten helfen, eine neue Welt zu schaffen, das Bewusstsein zu erweitern. Die Weltausstellung Expo ’67 in Montreal bringt neueste Technologie, Design und freie Lebensstile zusammen. Und eine völlig neue Idee von Konsum.

Steve Jobs nannte den „Whole Earth Catalog“ die „Bibel meiner Generation“. Ab 1968 erfährt die Computerentwicklung den entscheidenden Schub. Studenten wie Steve Jobs werden initiiert. 1974 reiste Jobs durch Indien – wie einst die Beatles und so viele andere, 1976 gründet er mit Steve Wozniak Apple.

Viele Äpfel der Erkenntnis wurden gepflückt

Natürlich lässt sich das alles nicht in ein Museum packen. Aber die Energie jener Jahre findet ein Echo. Es ist ja nichts anderes, als durch die Kinderstube und das Jugendzimmer dieser Welt zu laufen und die Teilstücke eines gigantischen Puzzles in der Entstehung zu betrachten. Viele Äpfel der Erkenntnis wurden gepflückt und gegessen. Das Smartphone ist eine Mischung aus Taschencomputer und Gebetskette, Speicher für Records und Rebels und Revolutionen, ein ubiquitäres Tool. Mit Pop im Kopf wurde am heftigsten der Konsum freigesetzt.

Es war eine kommerzielle Revolution. „Brexit through the gift shop?“, das ist die Frage am Ende des Rundgangs. Kurator Geoffrey Marsh lacht. Er hat seinen Humor nicht verloren.

Bis 26. Februar 2017, täglich geöffnet. Katalog 25 GBP. Infos: www.vam.ac.uk

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