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Gestirn und Finsternis. Der sich permanent drehende und verändernde „Mond“ von Heinz Mack hängt im Lichthof des Martin-Gropius-Baus als Hommage an die Zero-Bewegung.

© DAVIDS/Darmer

Ausstellung "Zero" im Martin-Gropius-Bau: Malen mit Raketen

Zuversichtlich und kollektiv: Der Martin-Gropius-Bau zeigt die bisher umfassendste Ausstellung zur Künstlerbewegung Zero rund um die Künstler Otto Piene, Heinz Mack und Günther Uecker.

Vier geöffnete Münder, in grelles Rot getaucht. „Ich esse Zero. Ich trinke Zero. Ich schlafe Zero“, steht auf dem Plakat. Zero ist in Berlin. Zero ist überall. Kaum eine Künstlerbewegung hat in den vergangenen Jahren eine derart steile Karriere hingelegt. Dabei ist es mit Zero seit 50 Jahren vorbei.

Die Avantgarde-Bewegung wurde 1957 von den Düsseldorfer Malern Heinz Mack und Otto Piene ins Leben gerufen, bald kam auch Günther Uecker dazu. Die drei Rheinländer wollten die Kunst vom Nachkriegs-Ballast befreien, sie wollten neue Bilder und nicht zuletzt Spaß. Statt mit Pinsel und Farbe arbeiteten sie mit Silberfolie, Spiegel und Feuer, mit Bewegung, Licht und Schatten, sie schwärmten für die Raumfahrt und träumten sich ihre Kunst auf den Mond. Zugleich kamen Künstler in Belgien, der Schweiz, Italien und Frankreich auf ähnliche Ideen. Darauf will die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau hinaus: Zero war ein internationales Netzwerk von Gleichgesinnten. Eine europäische Avantgarde, lange in der Versenkung verschwunden. Nun wird sie gehoben wie ein antiker Schatz, ausgeleuchtet bis in die kleinsten Ecken. Der Kunstbetrieb dürstet nach neuem Stoff aus der Vergangenheit.

Ist Zero zu Ende?

1966 verkündete Heinz Mack bei einer Ausstellung in Bonn das Ende von Zero. „Für mich geht es bis heute weiter, ich wurde damals nicht gefragt“, sagte Otto Piene 2012 bei einem Gespräch im Rahmen der Kunstmesse Art Basel. Es ist also Ansichtssache, ob Zero je aufgehört hat. Daniel Birnbaum, Direktor des Moderna Museet in Stockholm und Mitglied im Beirat der Düsseldorfer Zero Foundation, die die Ausstellung im Gropius-Bau veranstaltet, spricht von „unterirdischen Schockwellen“, die „sich über Generationen fortsetzen“.

Der Parcours, den sich die Kuratoren für die Berliner Schau überlegt haben, startet im Dunkel und endet im Licht. Der erste Raum, in dunklem Grau, symbolisiert die Prä-Zero-Zeit mit je einem Bild von Uecker, Piene und Mack, den Suchenden. Mack und Uecker versuchen den Aufbruch mit Kreisen in grau und beige auf die Leinwand zu bringen. Pienes Bild ist gelb und trägt den Titel „gelbgelbweißheiß schnell“.

Von der Farbe zum Weiß und zum Licht

Nehmen wir an, die drei wussten 1956 noch nichts von Lucio Fontana, von Piero Manzoni und Yves Klein. Dann zeigt der nächste Raum die Erweckung. Die Farben gelb, rot, orange, grün und natürlich das berühmte Ultramarinblau wurden von Klein auf Pappe, Holz und Faserplatte gebracht. Die Monochromie war für den Franzosen eine Befreiung aus dem Gefängnis der Malerei, sie bedeutete Leere und Freiheit. Genau danach suchten auch die drei Rheinländer – und landeten beim Weiß, beim Tageslicht, bei Raster, Struktur, Feuer und Wasser, Bewegung und Kunstlicht. Weil die Motoren selbstgebaut und empfindlich sind, müssen die kinetischen Skulpturen immer mal wieder ein Päuschen einlegen. Einer der schönsten Räume versammelt achrome Bilder von vielleicht 40 Zero-Verbündeten, die mit unterschiedlichen Mitteln versuchen, dynamische Bildflächen zu kreieren. Geschlitzte Leinwände vom großen Zero-Inspirator Lucio Fontana, ein weißes Strukturbild von Gotthard Graupner, manche versuchen es mit Eierkartons oder mit Pappmaché, Hans Salentin fertigte ein Relief auf weiß gestrichenen Dachziegeln. Aus Flächen werden Räume auf 40 verschiedene Weisen, das ist spannend.

Der Zero-Geist wird sichtbar

Es kann aber auch durchaus langweilig sein, im Rückspiegel auf die Avantgarde von gestern zu schauen und sich in die Lage eines Betrachters aus den 1960er Jahren zu versetzen, um die postulierte Neuheit zu spüren. Die silbernen Stelen von Mack oder am Ende der Schau, der nachgebaute „Lichtraum (Hommage à Fontana)“, erstmals 1964 auf der documenta vorgestellt, sind zwar Highlights der Kunstgeschichte, wirken aber doch inzwischen etwas gemächlich.

Erst durch die Kombination einiger der besten Werke von Piene, Fontana, Hermann Goepfert, Jan Verheyen und vielen anderen gleichgesinnten Individualisten wird der Zero-Geist deutlich. Man spürt die Lust auf die Zukunft und das Interesse an den Urkräften der Natur. Für die junge Nachkriegsgeneration ging es darum, die Realität neu zu sehen. Heute geht es im permanenten Fluss der digitalen Bilder darum, als Mensch überhaupt noch etwas wahrzunehmen. Da gibt es Parallelen, auch wenn die Zeiten andere sind. Die Zero Foundation, 2008 vom Museum Kunstpalast, den Künstlern Piene, Mack und Uecker gegründet und vom Kunsthistoriker Mattijs Visser geleitet, sammelte Dokumente, Fotos, Plakate und Einladungskarten aus der Zero-Zeit. Außerdem besitzt die Foundation etwa 160 Kunstwerke aus der Ära. „Das ist moderne Archäologie“, sagt Visser im Lichthof des Museums, wo sich ein riesiger Mond von Mack dreht, der mal silbern leuchtet und mal im Schwarz versinkt.

Eine Nacht im Atelier

Die zahlreichen Anekdoten und Geschichten – von der ersten Abendausstellung im zerbombten Atelier von Mack und Piene bis zu verrückten Kunsttransporten zwischen Paris, Düsseldorf und Antwerpen – sind im Lichthof dokumentiert. Aber nicht nur die Forschung, auch das Anbieten von Zero-Ausstellungen nennt Visser als Aufgabe der Foundation. Die Schau im Gropius-Bau war zuvor im Guggenheim Museum in New York und geht danach ins Stedelijk Museum in Amsterdam. Mack und Uecker sind derzeit an diversen Orten im In- und Ausland zu sehen, Piene hatte den letzten rauschenden Auftritt zu seinen Lebzeiten 2014 in der Neuen Nationalgalerie. Der Zenit der Zero-Renaissance ist längst nicht erreicht.

Feiern konnten sie auch

Die Frage ist, warum jetzt? Zero war jahrzehntelang kein Thema, etliche Künstler wurden lange nicht gezeigt. Die neue Generation, wie Olafur Eliasson oder Carsten Höller, deren Erlebniskunst man jetzt in der Tradition mit Zero sieht, beziehen sich keineswegs direkt auf die Gruppe. Es ist nicht nur der zukunftsfrohe Zeitgeist von damals, der gut mit unserer nervösen Gegenwart in Resonanz geht, es hat auch damit zu tun, dass der internationale Kunstmarkt bereit war für Neues. Gute Auktionsergebnisse haben das Zero-Comeback befeuert.

Und natürlich die Lust an der Inszenierung. 1963 fand schon einmal eine wegweisende Zero-Show in Berlin statt, in der Galerie Diogenes. Das Ganze war nicht nur eine Ausstellung, sondern ein Festival. Im Hinterhof der Galerie wurde eine Zero-Fahne gehisst, „Zero-Mädchen“ pusteten Seifenblasen in die Luft, und es gab einen Umzug über den Kurfürstendamm. Zero hat also sogar die Love-Parade samt ihrer entpolitisierten Losung „Friede, Freude, Eierkuchen“ vorweggenommen. Eine Retroschleife klickt in die nächste. Alles war schon da, alles kommt wieder. Am 11. April können Besucher übrigens im Martin-Gropius-Bau übernachten. Es gibt Essen und Spektakel die ganze Nacht.

Bis 8.6., Martin-Gropius-Bau, Mi-Mo 10-19 Uhr. Katalog 45 Euro.

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