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Volkes Stimmen. Der Chor der Komischen Oper mit Aron (3.von links) und Moses (3.von rechts).

© Jörg Carstensen/dpa

Barrie Kosky inszeniert "Moses und Aron": Schönberg geht ins Kino

In Barrie Koskys Regie wird Arnold Schönbergs „Moses und Aron“ an der Komischen Oper zum Triumph des Chors.

„Zerreißt sie, tötet seine Priester, erschlagt sie!“ Der brüllenden, wankelmütigen, wütend erregten Volksmenge der Chöre gehört der Abend in der Komischen Oper Berlin. Seit 25 Jahren hat Barrie Kosky davon geträumt, „Moses und Aron“ zu inszenieren. Mit einer Virtuosität ohnegleichen treibt er nun die hochmotivierten Chorsolisten, verstärkt vom Vocalconsort Berlin, Kinderchor und Komparsen über die Bühne. Ihre rivalisierenden Gruppen stürzen herein, um sich zu pflanzenhaft bebenden Kollektiven zu formieren.

Solche Chorführung mit dem variablen, präzis choreografierten Spiel der Arme, ingeniös auf dem Theater, weckt Erinnerungen. Kein Zweifel, dass der Stummfilm Pate gestanden hat, auch für die erotic dances um das Goldene Kalb. Hundert musikalische Proben vor den szenischen machen sich trefflich bemerkbar. Von David Cavelius einstudiert, blüht die Leistung der Chöre, ihre Artikulationskunst zwischen rhythmischem Sprechen und Singen. Sie ist darstellerisch so beherrschend, dass die eigentliche Handlung dahinter verblasst.

Arnold Schönbergs eigenes Libretto, eher Bekenntnis als Literatur, behandelt den Geisteszwist der Brüder Moses und Aron. Moses, des Gedankens mächtig, aber des Wortes unfähig, braucht einen Verkünder neben sich, um sein Volk aus der ägyptischen Gefangenschaft zu dem einzigen, unvorstellbaren Gott zu führen. In dem Buch nach dem Alten Testament steckt natürlich Schönberg selbst, sein Exodus-Mythos, sein Leidensweg und künstlerisches Streben, das Unfassbare fassbar zu machen. Tiefernst ist die Suche nach dem gelobten Land, die Suche des auserwählten jüdischen Volkes, der gesamten Menschheit.

„Moviemäßig“ könnte es gehen. wenn sich eine Filmgesellschaft fände: Schönberg bezweifelte die Realisierbarkeit seiner Moses-Oper. Er hat sein Werk weder konzertant noch noch gar szenisch erlebt. Erst 1954 kommt es dann in Hamburg zur konzertanten und 1957 in Zürich zur szenischen Uraufführung.

Dirigent ist in beiden Fällen Hans Rosbaud, der als Heiliger der Neuen Musik gilt, bevor öffentlich bekannt wird, dass er sich unter anderem 1938 für „Gott sei mit unserm Führer“ starkgemacht hat. Was für eine Rezeptionsgeschichte!

Die Spur führt zurück nach Berlin, wo das Opus summum erwächst und sein Schöpfer 1933 aus seiner Position an der Preußischen Akademie „beurlaubt“ wird. Er kehrt in die jüdische Glaubensgemeinschaft zurück: „Ich bin seit langem entschlossen, Jude zu sein.“ Dass Künstler und Jude identisch werden, beginnt in Berlin. Dann Emigration, Exil.

Die erste deutsche Bühnenaufführung endet im Eklat

Volkes Stimmen. Der Chor der Komischen Oper mit Aron (3.von links) und Moses (3.von rechts).
Volkes Stimmen. Der Chor der Komischen Oper mit Aron (3.von links) und Moses (3.von rechts).

© Jörg Carstensen/dpa

Und gerade in dieser Stadt tritt das „vollendete Fragment“ seinen Siegeszug an. Berliner Festwochen 1959, die erste deutsche Bühnenaufführung führt in der Inszenierung Gustav Rudolf Sellners zu einem Theaterskandal der aggressivsten Art: Tumulte, Sprechchöre, Abbruch während der Vorstellung. Das Auto des Dirigenten Hermann Scherchen wird demoliert. Aber die Produktion geht in die Metropolen der Welt: österreichische, französische, italienische, japanische, dänische Erstaufführung durch das (West-) Berliner Team. Die stilisierte Musterinszenierung der Zeit.

Inzwischen ist das Ideendrama so repertoire- wie festspieltauglich, und es gibt kaum einen wichtigen Regisseur oder Dirigenten, der es sich entgehen ließe. Als Prestige-Oper tritt „Moses und Aron“ neben den „Ring des Nibelungen“.

Schönbergs Kinohinweis – der Komponist ging gern ins Kino – verwundert weniger, sieht man ihn in Zusammenhang mit den überquellenden Regieanweisungen der Oper, etwa: „Die Stammesfürsten erschlagen den Jüngling, dann besteigen sie ihre Pferde, mischen sich, einzeln und unregelmäßig, unter das Volk.“

Barrie Kosky beginnt mit Worten aus „Warten auf Godot“, die auf dem Vorhang erscheinen. Sein Moses ringt asthmatisch nach Luft, stotternder alter Mann, Sprachhemmung: „Meine Zunge ist ungelenk“. Aron dagegen ist Zauberer von Beruf. Zeigt gängige Tricks, einen Blumenstrauß aus dem Ärmel. Die Komik, dass der eine, der verkünden soll, des Gedankens Blässe repräsentiert und der andere viel redet, wird evident. An der Autorität des Moses haben schon andere, wie zum Beispiel Jossi Wieler, gekratzt. Hier sitzt nun rührend ratlos das Geschwisterpaar zusammen, singt und spricht sein Duett, bis Aron den Bruder quält, um seine „Wunder“ zu zeigen. Eine züngelnde Schlange und Blut quellen Moses aus dem Mund. Auch er versucht nun zu zaubern, indem er immerhin einen Davidstern verschwinden lässt. Das sind pittoreske Ansätze, die nicht reichen, um zwei gestandene Persönlichkeiten dominieren zu lassen.

In der illustren Reihe von Moses-Darstellern, darin Josef Greindl, Theo Adam, Günter Reich, Rolf Boysen, Franz Mazura, Werner Haseleu, Hans Hotter, John Tomlinson, kann Robert Hayward trotz liebenswürdiger Züge nicht mithalten. Kosky versteckt ihn mitleidig, am Ende gezeichnet mit blutigen Buchstaben auf dem Oberkörper, in Synagogenteppichen, dem Charakteristikum des Bühnenbildes von Klaus Grünberg. Die Partie des Aron beherrscht John Daszak mit blitzendem Tenor, seit er ihn an der Bayerischen Staatsoper unter Zubin Mehta gesungen hat. Beiden geht, bei sympathischer Ausstrahlung, das Charisma des Außerordentlichen ab.

Der Orgie um das Goldene Kalb, die hier bei Kosky von Zeitgenossen der Zwanziger des vorigen Jahrhunderts (ist es Sigmund Freud?) mit antiker Kamera gefilmt wird, fehlen die Mittel der Differenzierung. Die Greise, die von den letzten Augenblicken ihres Daseins seufzen, die nackten Jungfrauen, welche ihr Leben den Göttern opfern, sind optisch in der berauschten Menge kaum auszumachen. Alles ist Hauen und Stechen.

Aber zu hören sind die Stimmen, denn Vladimir Jurowski, als Star der Aufführung gefeiert, verteidigt die zwölftönige Partitur mit Kanons und Doppelfuge, vom geflüsterten Wort bis zur sinnlichen Kantilene am Pult des beflügelt folgenden Orchesters der Komischen Oper. Das ist angereichert durch Klavier, Harfe, Celesta, Mandolinen und viel Schlagwerk. Liebliche Flöte, vokale Solostimmen mit ebenso vielen Orchesterstimmen tönend als Gottesbefehl aus dem Dornbusch, schmerzlichem Gesang der Geigen zu dem berühmten Moses-Text „O Wort, du Wort, das mir fehlt!“ Vladimir Jurowski steht dafür, dass sich in der kompositorischen Dichte des Ganzen große musikalische Schönheiten finden.

Koskys Regie indes erreicht ihre magischen Momente, wo sie sich „moviemäßig“ gibt.

Weitere Vorstellungen am 24. und 28. April sowie am 2. und 10. Mai

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