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Die Friedrichswerdersche Kirche in Berlins Mitte.

© dpa

Bau-Debakel in Mitte: Friedrichswerdersche Kirche: Ein Juwel wird zerstört

Erst Statik-Schäden durch ein Nachbarprojekt, dann zwei weitere hochstrebende Bauvorhaben in unmittelbarer Nähe: Die Friedrichswerdersche Kirche von Karl Friedrich Schinkel verschwindet aus dem Stadtbild - ganz nach Plan.

Vierzehn Jahre können sehr lang sein. Als 2001 die aufwendig restaurierte Friedrichswerdersche Kirche zur Außenstelle der Nationalgalerie für die Skulpturen des Berliner Klassizismus wurde, veröffentlichten die Staatlichen Museen ein Buch mit dem schönen Untertitel „Schinkels Werk, Wirkung und Welt“. Im Vorwort, mitverfasst von Peter-Klaus Schuster und Bernhard Maaz, heißt es: „Kaum ein Raumkunstwerk Schinkels ist so gut erhalten.“ Und weiter, im Blick auf die von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz finanzierte Restaurierung: „Dieses durchaus kostenträchtige Unterfangen wurde im Wissen ausgeführt, dass die Friedrichswerdersche Kirchgemeinde den Staatlichen Museen das Gebäude für 99 Jahre zur Nutzung überlassen hat.“

Heute nun steht die Kirche nicht nur seit zweieinhalb Jahren leer und ist für Besucher gesperrt, sondern erneut ein Restaurierungsfall. Kein Hinweis informiert Touristen, stattdessen verdecken Baucontainer das mit der Figur des Erzengels Michael geschmückte Hauptportal. Wer von Westen her die Französische Straße entlangläuft, sieht Schinkels neogotischen Backsteinbau erst im letzten Moment, denn von links schiebt sich bis auf wenige Meter der bis zu sieben Geschosse hohe Rohbau einer Luxuswohnanlage der Bauwert Investment Group an die historische Fassade heran.

Als eine Baugrube für zwei Parketagen sieben Meter tief ausgehoben wurde, fiel in der Kirche der Putz von der Decke, und es bildeten sich Risse vom Fundament bis in die Gewölbe. Marmorstufen vor dem Altar, tragende Rippen im Gewölbe und ein Fensterpfeiler im Chorbereich zerbrachen. Im September 2012 verhängte der Bezirk Mitte einen Baustopp, es folgten die Evakuierung tonnenschwerer Marmorskulpturen von Schadow, Rauch und Tieck, darauf Schadensanalysen, Gutachten, erste Sicherungsmaßnahmen. Stephan Frielinghaus, als Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde in der Friedrichstadt Hausherr der Kirche, ist fassungslos: „Die linke Kirchenhälfte neigte sich in die Baugrube. Für den Laien bietet das Innere ein Bild der Verwüstung.“

Tausende Kubikmeter Zement in die Fundamente gepumpt

„Mit der Kirche gibt es eine Vereinbarung, dass die von unserer Baustelle ausgehenden Beschädigungen durch uns auch behoben werden“, erklärt Henning Haussmann, Leiter Investment der Bauwert. Mittels eines Hochdruckinjektionsverfahrens wurden tausende Kubikmeter Zement in die alten Fundamente gepumpt. Im Kirchenraum steht ein Gerüst, um an schadhafte Bauteile heranzukommen und Herabstürzendes abzufangen. Sensiblere Messsysteme sollen auf Erschütterungen sofort reagieren. Seit einem Jahr wird wieder gebaut an den „Kronprinzengärten“, die Anfang 2016 fertig sein sollen. Haussmann legt Wert auf die Feststellung, dass alle Gutachter bestätigt hätten, „dass die Standsicherheit zu keinem Zeitpunkt gefährdet war oder ist“.

Demnächst soll mit der genauen Kartierung der Schäden und der Reparatur des aufgehenden Mauerwerks begonnen werden. Investor und Kircheneigentümer reden miteinander: „Nachdem das Kind in den Brunnen gefallen war, haben wir mit großem Gesprächsaufwand ein Vertrauensverhältnis entwickelt“, kommentiert Frielinghaus. Empörend hingegen findet der Pfarrer, dass Manfred Hügelland, als Statiker an der ersten Restaurierung der Kirche 1982-87 beteiligt, nun behauptet, die Schäden seien nicht den Bauarbeiten, sondern unsachgemäßen Lösungen der Schinkelzeit zuzuschreiben.

Wertvolle Skulpturen bleiben für lange Zeit ausgelagert

Das Skulpturenmuseum in der Friedrichswerderschen Kirche wird es, wenn überhaupt, nur noch in veränderter Form geben. Leihgaben der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten wie die exquisite Zweitfassung von Christian Daniel Rauchs Grabfigur der Königin Luise stehen jetzt im Schloss Charlottenburg. Gleichwohl wünschen sich sowohl Frielinghaus wie Philipp Demandt, Leiter der Alten Nationalgalerie und bis 2012 Nutzer der Kirche, eine Fortsetzung der Zusammenarbeit.

Bleibt die Frage: Ist das alles nur dumm gelaufen oder gibt es eine Art Grundmuster, das zur Preisgabe von Berlins historischen Kronjuwelen führt? Denkmalrechtlich ist die Kirche mit der Eintragung in die Landesdenkmalliste abgesichert – genützt hat es ihr nichts. Insofern ist der Impuls, Schinkels besterhaltenen Berliner Sakralbau – andere Schinkelbauten wie das Alte Museum, die Neue Wache oder das Schauspielhaus sind im Innern beinahe Neubauten – als Baudenkmal und Ausstellungshaus endlich wirksam zu schützen, absolut gerechtfertigt. Die Proteste kommen nur viel zu spät. Auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz äußert sich sehr zurückhaltend, steht aber, wie Pfarrer Frielinghaus versichert, „wie ein Mann“ hinter der Gemeinde.

Die Luxuswohnbauten sind bis zu sieben Geschosse hoch

„Eine intellektuelle Frechheit“ nannten Bürgerinitiativen ein weiteres Bauprojekt einige Meter nördlich der Friedrichswerderschen Kirche, das derzeit, nach etwas modifizierten Entwürfen, am nahen Schinkelplatz entsteht. Zudem soll noch 2015 unmittelbar neben der Ostfassade der Kirche ein drittes Projekt der Frankonia Eurobau begonnen werden. Bezirksbaustadtrat Carsten Spallek verweist auf Vorsichtsmaßnahmen seiner Verwaltung. So gebe es „einen gesonderten denkmalrechtlichen Bescheid mit Sicherungsauflagen und Eingriffsmöglichkeiten, falls es in der Ausführung Probleme gibt“. Offenbar befürchtet nicht nur Frielinghaus weitere Schäden an der Kirche.

Von drei Seiten schieben sich künftig fünf- bis siebengeschossige Baukörper dicht an den Sakralbau heran. Schinkels ursprünglich von zwei- oder dreigeschossigen Bürgerhäusern umbaute Kirche, beklagt Philipp Demandt, „wird damit endgültig aus dem Stadtbild verdrängt“. Nie wieder wird man den überwältigenden Raumeindruck der vom Abendlicht durchglühten Westfenster genießen, nie wieder freie Sicht auf die feingliedrigen Seitenfassaden haben.

Stattdessen sieht man Neubauten im sogenannten Premiumsegment, errichtet von Architekten wie Raffael Moneo, Axel Schultes, Volker Staab oder Sergei Tchoban. Architekten und Investoren tun hier, was sie tun dürfen. Festgelegt ist das in der Bauleitplanung von 2011, gegen die die Kirchengemeinde im Rahmen der Bürgerbeteiligung vergeblich Widerspruch eingelegt hat. Der Bebauungsplan folgt einem vom Senat im Jahr 2000 ausgeschriebenen Bieterverfahren, bei dem bereits sechs Geschosse direkt neben der Kirche vorgesehen waren. Das Bieterverfahren wiederum beruht auf dem 1999 in Kraft gesetzten Planwerk Innenstadt. Man erinnert sich: kritische Rekonstruktion, die Ära Stimmann. Je dichter bebaut, desto besser.

Bei der Präsentation der Ergebnisse des Bieterverfahrens „An der Friedrichs-Werderschen Kirche – Falkoniergasse“ im November 2000 erklärte der damalige Stadtentwicklungssenator Peter Strieder: „Hier kann und muss ein neues Quartier die historische Innenstadt beleben. Um die ehemalige räumliche Qualität wiederzuerlangen, die durch Kriegszerstörung und Planungen der ehemaligen DDR verloren ging, sollen die historischen räumlichen Bezüge und Strukturen neu entstehen.“

Die Wiedergewinnung „historischer“ Stadträume bleibt, so respektlos geplant und realisiert, ein frommer Wunsch. Sonntagsreden haben wir genug gehört. Dann lieber in die Kirche. Oder ins Museum, wenn es irgendwann wieder geöffnet sein sollte.

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