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Wendig wie ein Windhund. Julian Radlmaier in "Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes".

© Fraktura Film

Berlinale Perspektive Deutsches Kino: Äpfel der Verblödung

Utopie und Radical Chic: Julian Radlmaier erfrischender Film „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“ ist die einzige Satire in der Sektion Perspektive Deutsches Kino.

Das ging jetzt überraschend schnell, dass der Kommunismus wieder da ist. 1989 war er noch toter als tot, jetzt sind in Festivalfilmen nicht nur der junge Karl Marx und indische Maoisten unterwegs, sondern Julian Radlmaier widmet der als abgewirtschaftet geltenden politischen Utopie gleich ein ganzes Kinomärchen.

Das heitere Werk mit dem hübschen Titel „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“ ist die einzige Satire der Sektion. Keines der hoffnungsvollen Regietalente in der Perspektive Deutsches Kino wagt einen so leichten Ton. Kein Autor fabuliert feinsinniger und spintisiert entschlossener als der 32 Jahre alte DFFB-Absolvent. Niemand sonst macht eine nervige Vollpfeife zur Hauptfigur und spielt sie auch noch selber. Und keiner sonst banalisiert so hehre museale Räume wie die Berliner Gemäldegalerie.

Julian, der Held und Erzähler, ist ein Filmregisseur ohne Förderung, der zum Ernteeinsatz auf einer Brandenburger Apfelplantage antreten muss. Das will er der angebeteten Kanadierin Camille gegenüber aber nicht zugeben und bietet ihr stattdessen die Hauptrolle in ebenjenem unter echten Arbeitern zu recherchierenden kommunistischen Film an.

Schonungslose Wahrheit von hippen Salonkommunisten

Alsbald entpuppt sich der Apfelhof als ein Hort der Ausbeutung und als Asyl für ein burleskes Personal. Dazu gehören die heiligen Narren Hong und Sancho, zwei unehrenhaft entlassene Wärter der Gemäldegalerie auf der Suche nach dem Glück, die in der zweiten, dramaturgisch etwas ausfransenden Filmhälfte gar über die Alpen nach Italien ziehen. Ein stummer Mönch, der aber wie Franz von Assisi mit den Vögeln zu sprechen versteht. Und ein Georgier, der sich als Diktator der trotteligen Genossen geriert.

Chaos auf der Brandenburger Apfelplantage. Szene aus "Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes".
Chaos auf der Brandenburger Apfelplantage. Szene aus "Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes".

© Faktura Film

Der schweigsame Machtmensch ist das männliche Gegenbild zur windelweichen Nullnummer Julian. Der immerhin gewinnt im Lauf des Films an Selbsterkenntnis, wie sein nur begrenzt Utopien stiftender Diskussionsbeitrag zur Zukunft der plötzlich führungslos gewordenen Plantage belegt. „Sehen wir den Tatsachen ins Auge. Keiner von uns ist zur irgendwas in der Lage.“ So viel schonungslose Wahrheit kommt heraus, wenn man im Kino den hippen Salonkommunisten die Deutungshoheit über die Realität überlässt. Das ist eine Klassifizierung, die sich der bereits 2013 für seinen Erstling, den Kurzfilm „Ein Gespenst geht um in Europa“, mit dem Preis der deutschen Filmkritik ausgezeichnete Schlaks beim Gespräch im Foyer der Gemäldegalerie anstandslos überhelfen lässt.

Komödiantische, frei essayistische Form

Dass er das eigene (Filmschaffenden-) Milieu der urbanen, kreativen Akademiker so prima durch den Kakao zieht, heißt jedoch gerade nicht, dass er deren Utopien eine Absage erteilt. „In Zeiten des Neoliberalismus ist es wichtig, dass es andere gesellschaftliche Konzepte gab und gibt.“ Und da sei – real existierender Sozialismus hin oder her – der egalitäre Kern der kommunistischen Idee durchaus eine Option. Klar, sei es für seine mit dem Wissen um das Scheitern radikaler gesellschaftlicher Entwürfe aufgewachsenen Generation ein Tabu, gerade die wieder anzufassen, stellt Radlmaier fest. „Aber wird das Scheitern der Utopien nicht immer genau von den Leuten betont, die ein Interesse daran haben?“

In seinem retrospektiv erzählten Film im Film beackert Radlmaier die Utopie ebenso wie das Bemühen linker Kreise, sich im Reden darüber einen radical chic zu verleihen. Die dafür gewählte komödiantische, freie essayistische Form entspringt einer langen Ahnenreihe filmischer Vorbilder, die der theoretisch wie historisch beschlagene Radlmaier aus dem Effeff zu nennen weiß. Von Chaplin über Renoir, Godard über Pasolini bis Fassbinder ist alles dabei. „Und der Windhund, in den Julian sich verwandelt, ähnelt dem von den Simpsons“, ergänzt er die illustren Inspirationsquellen.

Die Logik des Erzählens führt Radlmeier immer in die Komödie

Dass Radlmaier die Kontrolle über die Produktionsmittel seines Abschlussfilms behalten hat, liegt auch daran, dass er sich selber einen privaten Koproduzenten suchte und durch die „Leuchtstoff“-Initiative von RBB und Medienboard Berlin-Brandenburg gefördert wurde. In den von den Turbulenzen um die Besetzung des Direktorenpostens geprägten letzten Jahren DFFB-Student gewesen zu sein, hat ihn politisiert, erzählt Radlmaier. Zumal er für seine drei Filme dort jede Freiheit hatte, immer ganz der Logik des Erzählens zu folgen. Und die führt bei diesem sympathischen Schlaumeier immer in die Komödie. Das ist für ihn eine intellektuelle, antifatalistische Form. „Lachen schafft Distanz, lässt kein Niederschmettern zu. Und die Möglichkeit, dass alles anders sein könnte, ist stets mitgedacht.“
17.2., 19.30 Uhr (Cinemaxx 3), 18.2., 20.30 Uhr (Cinemaxx 1)

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