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Vorurteilsforscher. Der Blogger und Aktivist Johannes Kram, 47.

© Doris Spiekermann-Klaas

Berliner Autor Johannes Kram: Hauptsache, die Story knallt

Johannes Kram ist Autor, Aktivist und Liedtexter. In seinem Solostück „Seite Eins“ - mit Ingolf Lück im Tipi am Kanzleramt - betreibt er unterhaltsame und präzise Kritik am Boulevardjournalismus.

Am Tag der Schweinerei schwebt Marco über den Wolken. Das Handy auf Flugmodus, nicht erreichbar. Währenddessen lesen zwölf bis dreizehn Millionen seine Story. Auf der Titelseite hat er einer jungen Sängerin die Affäre mit dem Spross einer Stahlbau-Dynastie angedichtet: „Der Industrie-Erbe und das Partygirl. Zerstört sie einen deutschen Mythos?“ Frei erfunden, aber wen kümmert’s? „Die Geschichte ist heute auf der Eins. Auch wenn es nicht die ganze Wahrheit ist, so ist sie doch die ganze Wirklichkeit“.

Marco ist Boulevardjournalist und als solcher Überzeugungstäter. „Ich bin da nicht hängengeblieben wie Cherno Jobatey im Frühstücksfernsehen“. Er hat das Telefon immer am Ohr, tigert ruhelos über die Bühne und philosophiert zwischen den Anrufen über seine Menschenliebe und die Wächterfunktion der Presse. Gespielt wird der Mann von Ingolf Lück, der an diesem Abend im Tipi am Kanzleramt das Kunststück vollbringt, einen auf bizarre Art sympathischen Aasgeier auf die Bühne zu bringen, einen Wortverdreher zwischen Machtfantast und Hanswurst. Sein Monolog polarisiert. Aufgeschnapptes Pausengespräch zwischen einem Paar: „Das ist ja echt ein Fiesling!“. Erstaunte Replik: „Findest du?“

„Ich wollte den Zeitpunkt, wo jeder merkt, dass Marco ein Arschloch ist, so lange wie möglich hinauszögern“, erzählt Johannes Kram, Autor des Solostücks „Seite Eins“, beim Gespräch in der Schöneberger Raststätte Gnadenbrot. Vor drei Jahren, als er mit der Arbeit an diesem Monolog „für einen Mann und ein Smartphone“ begann, war sein Protagonist einfach nur ein Widerling. Erst als Kram sich zehn Tage in einem Hotel in Ägypten einschloss und sich eine minutiöse Timeline baute, wie ein Drehbuch, glückte ihm die ambivalente Figur, die Lück jetzt verkörpert. „Es soll ja kein Belehrungstheater sein“, sagt Kram.

"Seite Eins" ist mehr als simples Medien-Bashing

Der Mann weiß, wie Medien ticken. Er ist Marketingstratege, Blogger, Aktivist, Liedtexter und Musical-Autor. Als Manager von Guildo Horn hat der 1967 in Trier geborene Kram die vielgefeierte Kampagne rund um dessen Auftritt beim Eurovision Song Contest 1998 in Birmingham verantwortet. Das Prinzip war Anarchie, es ging nicht zuletzt glänzend auf, weil die Strukturen so durchschaubar und leicht zu irritieren waren. Im Laufe der Jahre, auch mit anderen Künstlern, war Kram „bei hunderten Interviews anwesend“. Sie verliefen zu 98 Prozent gleich, sagt er. Der Redakteur oder die Redakteurin hat das Album nicht gehört, fragt aber nähesuchend nach einer bestimmten Liedzeile, „es geht nur um den Effekt“.

Krams Anliegen ist kein simples Medien-Bashing. „Seite Eins“ legt vielmehr ein System der multiplen Verflechtungen offen, an dem auch die Leser oder Zuschauer mit ihrer Lust am Untergang anderer beteiligt sind. „Wenn man sich die Fernsehboulevard-Magazine anschaut, Wahnsinn, was für ein Verkehrsunfall-Porno da stattfindet“, findet Kram, „und das sind öffentlich-rechtliche Sender“.

Kram hat auch Gedankengut von Matusek, Broder & Co. verarbeitet

Vorurteilsforscher. Der Blogger und Aktivist Johannes Kram, 47.
Vorurteilsforscher. Der Blogger und Aktivist Johannes Kram, 47.

© Doris Spiekermann-Klaas

Vor allem aber beschreibt der Autor raffiniert das Auseinanderklaffen der Wahrheiten im akuten Empörungsfall. Ihm fällt das Beispiel Christian Wulff ein, dessen berüchtigter Mailboxanruf bei Bild-Chef Kai Diekmann. „Alle, die mit Medien zu tun haben, fragen sich nur, wie man so blöd sein kann“, sagt Kram. „Alle anderen rufen, um Gottes Willen, da hat jemand die Pressefreiheit angegriffen“. Zwei unvereinbare Perspektiven. Auch deswegen, weil die Journalisten mit ihrem Insiderwissen eben nicht versuchten die Erregung zu dämpfen. In seinen Augen ein beängstigender Vorgang.

Kram hat Wulff sein Stück geschickt. Der stellte daraufhin einen Auszug aus seinem Buch „Ganz oben, ganz unten“ für ein „Seite Eins“-Dossier auf dem Mediendebatten-Portal Vocer zur Verfügung. Darin beschreibt der Ex-Bundespräsident unter anderem, wie er seine berühmte „Der Islam gehört zu Deutschland“-Rede im Vorfeld bei einem Frühstück mit Kai Diekmann diskutierte. Die Passage liest sich, als lege da ein Staatsoberhaupt seine Rede beim Boulevard zur Abnahme vor. Ein System des vorauseilenden Gehorsams, das keine offene Erpressung mehr benötigt. Genau so beschreibt es Kram in „Seite Eins“.

„Rassismus und Sexismus sind hierzulande ein größeres Problem, als wir wahrhaben wollen“

Medien brauchen Debatten. Und Kontrolle, im Zweifelsfall durch andere Medien. Kram betreibt auch den Nollendorf- Blog, wo er unter der Überschrift „Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber“ gegen diese typische Deckmäntelchen-Homophobie anschreibt. „In den USA sagen die Evangelikalen wenigstens offen, dass sie Schwule hassen“, so Kram. In Deutschland sitze dagegen Angela Merkel in der Wahlkampfarena und antworte auf die Frage, weshalb Schwule keine Kinder adoptieren sollten, sie hätte da so ein ungutes Bauchgefühl – als Zugeständnis an homophobe Wähler.

„Rassismus und Sexismus sind hierzulande ein größeres Problem, als wir wahrhaben wollen“, ist der Autor überzeugt. Er hat auch eine Boulevardkomödie mit dem Titel „Homestory“ geschrieben, die all die Klischees über Schwule, die sich auch am Theater hartnäckig halten, sehr gewitzt auf die Heteros zurückprojiziert. „Politik passiert, wenn man Ressentiments überwindet“, so Kram.

Das Triggern von Ressentiments ist die Königsübung von Bild und Co. In seinem Stück, das im September 2014 am Theater Gütersloh uraufgeführt wurde und zu Hochzeiten der Pegida-Bewegung lief, wettert Journalist Marco unter anderem über das „Meinungskartell der Gutmenschen“, den „Terror der Minderheiten“, all diese herbeifantasierten Denkverbote und Maulkörbe also. Tenor: „Es kann doch nicht sein, dass ich den Auftritt einer Dragqueen mit Bart jetzt schon gut finden muss“. Es sind viele Originalzitate drin, auch Gedankengut von Journalisten wie Henryk M. Broder oder Matthias Matussek.

Realismus pur also. Am Premierenabend, so Kram, „habe ich mir von Journalisten stundenlang nur Geschichten angehört, die noch krasser sind als die, die ich beschreibe“. Was ihm aber auch entgegenschlug, war ein Bekenntnisdrang. „Viele Journalisten“, erzählt Kram, „hatten das Bedürfnis mir mitzuteilen, dass sie eigentlich keine Arschlöcher sein wollen“.

„Seite 1“: wieder 5. bis 8. März, 20 Uhr im Tipi am Kanzleramt

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