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Catherine Naglestad als Kassandra in Hamburg.

© dpa

Berlioz' "Les Troyens" in Hamburg: Italien ist unser Schicksal

Dramatische Verdichtung, aber immer noch vier Stunden Spieldauer: Kent Nagano und Michael Thalheimer bringen in Hamburg Hector Berlioz’ „Les Troyens“ auf die Bühne.

Wer mag, kann sich nach dem Schlussapplaus das tragische Ende gleich noch einmal anschauen: Die Hamburgische Staatsoper überträgt die erste Premiere ihres Musikchefs Kent Nagano nämlich zeitversetzt auf eine Großbildleinwand am Jungfernstieg. Neues, möglichst junges Publikum wollen Nagano und der zusammen mit ihm angetretene Intendant Georges Delnon durch diese Umsonst-und-Draußen-Aktion gewinnen. Außerdem soll künftig die Neue Musik sichtbarer im Spielplan vertreten sein – mit einer Uraufführung pro Saison auf der Hauptbühne. Nagano bringt dem Philharmonischen Staatsorchester seine berühmten, auf dem Papier oft so verstörend wirkenden Werkzusammenstellungen, mit denen er schon während seiner Berliner Zeit beim DSO für Furore sorgte. Im Michel hat der 63-jährige Maestro zudem ein intimes Konzertformat im Geiste der „Musikalischen Akademien“ des 18. Jahrhunderts initiiert. Er wird eine Ballettproduktion mit Messiaens „Turangalila“-Sinfonie dirigieren – und auch zum Einstand hat er sich ein französisches Opus ausgesucht, Hector Berlioz monumentales Antikendrama „Les Troyens“.

Weil Georges Delnon gerne Schauspielregisseure zur Musiktheaterarbeit verleitet, heißt Naganos Partner bei dieser viel beachteten Premiere Michael Thalheimer. Für den Intendanten eine Idealbesetzung, wenn es um die ganz großen Stoffe geht: „Weil Thalheimer sie auf ihre Essenz einzudampfen vermag.“ Von einer radikal auf 120 Minuten gekürzten Version des Fünfeinhalbstünders war im Vorfeld die Rede gewesen – am Samstag dauert die Hamburger Trojaner dann aber doch fast vier Stunden.

Ein mittelmeerisches Pendant zu Wagners "Ring" wollte Berlioz schaffen

Thalheimer und Nagano gelingt es trotzdem, eine Atmosphäre der dramatischen Verdichtung herzustellen. Mag in Sachen Klangschönheit bei dem in den vergangenen zehn Jahren von der Dirigentin Simone Young geleiteten Orchester noch Luft nach oben sein, die Intensität des Zusammenspiels zeugt von einer fruchtbaren Probenarbeit mit Nagano. Dicht und dringlich erklingt diese Musik, zudem tritt der Experimentalcharakter von Berlioz’ Partitur deutlich hervor. Alles wollte der Franzose 1863 anders machen: Statt der standardisierten Libretti mit ihrer starren Abfolge von Bravournummern, die von den Komponisten nur noch mit gefälligem Tonmaterial aufgefüllt werden mussten, wollte er eine wirklich revolutionäre Tragödie schaffen, ein romanisch-mittelmeerisches Pendant zu Wagners „Ring des Nibelungen“.

Vergils Version von den Heldentaten des Äneas, die ihn schon als Knaben in ihren Bann geschlagen hatte und deren lateinische Verse er auswendig konnte, sollte zu einer très grand opéra werden, zur klingenden Übersetzung des antiken Stoffs mit modernsten Ausdrucksmitteln. Vor allem die sinfonischen Abschnitte, die Berlioz als orchestrale Zwischenspiele und gesangslose Pantomime-Passagen in die Handlung einfügte, werden jetzt in Hamburg zu szenisch starken Momenten. Weil der skulpturale Spiel-Raum, den Bühnenbildner Olaf Altmann geschaffen hat, dann in den Mittelpunkt rückt. Wie eine Festung rahmen holzvertäfelte Mauern die Bühnenfläche ein, anstelle des Burgtors gibt es eine vollständig um die eigene Achse drehbare Platte. Wenn sie langsam vor und zurück schwingt, um die Darsteller ein und aus zu lassen, wirkt sie schwer und wehrhaft, wie aus Blei. Doch sie kann auch so leicht erscheinen wie ein Baldachin, wenn sie in lichter Höhe in der Horizontalen schwebt, als Flügel des Schicksals, dessen unerbittlicher Hauch hier alle Personen vor sich her treibt.

Catherine Naglestad kämpft als Cassandra um Gehör

Die ersten beiden Akte schildern den Untergang Trojas: In großen Tableaux beeindruckt der von Eberhard Friedrich einstudierte Chor, mit ungeheurer Bühnenpräsenz kämpft Catherine Naglestad als Kassandra um Gehör für ihre düsteren Voraussagen. Thalheimer beschränkt sich auf ein Minimum an Personenführung. Wäre das Setting weniger archaisch, man würde wohl vom „Konzert im Kostüm“ sprechen (Michaela Barth steckt die Darsteller in unbestimmt heutige Kleidung). Andererseits lässt das karge Arrangement der Musik viel Publikumsaufmerksamkeit zukommen. Nicht durch detailreiche Gestik, sondern allein durch die Gestaltungskraft ihrer Stimmen müssen die Sänger ihre Charaktere formen. Und weil die Besetzung erstklassig ist, bis in die kleinsten Nebenrollen, funktioniert das Konzept.

Elena Zhidkova ist in den drei Karthago- Akten eine Dido von kühler Eleganz, in perfekter Übereinstimmung mit ihrem leuchtenden, geradlinigen Mezzosopran. Mit nasaler Durchschlagskraft stattet Torsten Kerl den Äneas aus, diesen „Schicksalsverfluchten“ (Götz Friedrich), der sein privates Glück nicht leben darf, weil ihn die Götter weiter treiben, nach Italien, wo er ein neues Weltreich gründen soll. In seiner kantigen Körpersprache beglaubigt Kerl Äneas’ Verwurzelung in der trojanischen Militärdoktrin. Dieser Mann kann gar nicht anders als dem Marschbefehl von oben zu folgen. Das Liebesduett mit Dido, zu dem Thalheimer operettenhaft Rosenblätter regnen lässt, muss da fast zwangsläufig grotesk verunglücken.

Zum bewegendsten Moment des Abends wird darum der – für den Handlungsfortgang eigentlich entbehrliche – Auftritt des Hylas, eines Trojaners, der voll Wehmut von der verlorenen Heimat singt. Julian Prégardien leiht dem Vertriebenen seinen sanft berührenden Tenor und vermag in vier schlichten Strophen dann doch noch eine gedankliche Verbindung zu den aktuellen Bürgerkriegsflüchtlingen herzustellen, der sich die Inszenierung ansonsten völlig enthält.

wieder am 23. und 26. September, Infos: www.staatsoper-hamburg.de

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