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Leo Lania schlich sich bei der Zeitung "Völkischer Beobachter" ein, wo er Hitler persönlich begegnete.

© dpa / picture-alliance / David Ebener

Biografie über Leo Lania: Haltung durch Rückgrat

Undercover bei den Nazis: Eine Biografie und die Neuauflage seines Romans erinnern an den Journalisten und Exilautor Leo Lania.

Er musste nicht erst bis zu Hitlers „Machtergreifung“ am 30. 1. 1933 warten, um zu wissen, was ihm in Deutschland blühte. Schon 1932 setzte sich der Journalist, Dramaturg und Schriftsteller Leo Lania vorsorglich nach Wien ab. Als Sohn eines jüdischen Chirurgen unter dem Namen Lazar Herman im ukrainischen Charkow geboren, war er 1918 in Wien der Kommunistischen Partei beigetreten und von Lenin geschätzter Redakteur der „Roten Fahne“ gewesen, bevor er in Deutschland den Coup landete, der ihn als Reporter undercover berühmt und den Nazis verhasst machte: Mit einer gefälschten Empfehlung von Mussolinis Bruder Arnaldo schlich er sich im Oktober 1923 in die Redaktion des „Völkischen Beoachters“ ein, wo er unter anderem Ernst Röhm, Rudolf Heß, Gregor Strasser und Hitler persönlich begegnete. Über den Prozess gegen Hitler wegen des Putschversuchs in München schrieb er 1924 sein erstes Buch „Die Totengräber Deutschlands“.

Sein letztes Buch schrieb er 1960 als Co-Autor Willy Brandts für dessen erste Autobiografie „Mein Weg nach Berlin. Aufgezeichnet von Leo Lania“. Als er 1961 starb und ihm die Gemeinde Wien ein Ehrengrab verweigerte, fand er es auf Brandts Veranlassung in Berlin. Das war mehr als ein persönlicher Dank, es war der Dank Berlins für elf Jahre der Weimarer Republik, in denen Lania als Mitarbeiter der „Weltbühne“, des „Tage-Buch“ und der „Literarischen Welt“ die Berliner Publizistik und als Dramaturg bei Piscator das politische Theater der Zeit mitgeprägt hatte.

Seiner Standhaftigkeit verdanken deutsche Journalisten bis heute ihr Zeugnisverweigerungsrecht, das 1926 als Konsequenz aus Ermittlungen gegen seine Enthüllung von Waffenschiebereien paramilitärischer Verbände aus Reichswehrbeständen beschlossen wurde. Lania hatte sich nach Protesten im In- und Ausland einer angedrohten Beugehaft entzogen und war bis zu Einstellung des Verfahrens untergetaucht. Es waren Liberale wie Theodor Heuss und Lanias sozialdemokratischer Anwalt Paul Levi, die einen einstimmigen Beschluss des Reichstags für das Recht auf Zeugnisverweigerung aus beruflichen Gründen („Lex Lania“) durchsetzten.

Dramatische Klischees und Rollenbilder

Levi und Lania hatten beide 1921 die Kommunistische Partei aus Protest gegen deren Putschismus verlassen, blieben aber der Linken verbunden: Lania als Autor des Malik Verlags und von Willi Münzenbergs Filmproduktion, als Freund und Kollege von Kurt Tucholsky und Egon Erwin Kisch, mit dem er den Ruf als Starreporter der Republik teilte. Anders als der parteitreue Kisch bekannte er sich allerdings zur Eigenverantwortung des Individuums auch im Kampf der Klassen, „in der klaren Erkenntnis, dass die Verantwortung für sein Handeln und die Entscheidung über Recht und Unrecht jeder nur allein für sich treffen muss und dass man das niemandem – keinem Führer und keiner Partei – überlassen darf.“

Umso erstaunlicher ist es, dass ihm als Romanautor in späteren Jahren, im Londoner Exil und in den USA der Nachkriegsjahre, zwar die Darstellung dramatischer Einzelschicksale, diese aber nur in typischen Rollenklischees gelang. Seinem Bestsellererfolg in England und Amerika tat das keinen Abbruch, im Gegenteil. Lanias Erfahrung als Bühnen- und Drehbuchautor, unter anderem für G. W. Pabsts Verfilmung von Brechts „Dreigroschenoper“, kam ihm bei einem Publikum zugute, dessen Deutschlandbild auch nur von dramatischen Klischees bestimmt war.

Differenzierter als sein Roman liest sich Lanias Biografie

Das gilt leider auch für den Roman „Land im Zwielicht“ (Land of Promise), der zuerst 1934 auf Englisch erschienen war, deutsch dann erst 1949 in Wien, wo er nun erneut aufgelegt wird. Das ist mehr als ein Ehrengrab, aber keine literarische Wiederauferstehung, auch wenn die dramatische Revue deutsch-jüdischer Schicksale an der Ostfront des Ersten Weltkriegs und im Berlin der Weimarer Republik ihre Publikumswirksamkeit nicht eingebüßt hat. Für sie sind Stilmittel der Kolportage und ein „klischeehafter melodramatischer Erzählduktus“, die der Herausgeber Michael Schwaiger einräumt, vielleicht gar keine Schwächen, sondern Stärken.

Individueller und differenzierter liest sich dagegen Lanias eigene Biografie, mit der Schwaiger als Herausgeber die Neuausgabe des Romans begleitet. Ihr Titel „Hinter der Fassade der Wirklichkeit“ ist leicht irreführend, denn sie beleuchtet in biografischer Nüchternheit die Wirklichkeit der Weimarer Jahre hinter der Fassade von Lanias Roman. Abgesehen von ein paar falschen Zungenschlägen (in der Sowjetunion, die Lania 1932 und 1936 besuchte, sei vor Stalins Terror „eine basisdemokratische Gesellschaft im Entstehen“ gewesen) und beiläufigen Irrtümern (Karl Radek, den Stalin im Gefängnis ermorden ließ, sei „unter ungeklärten Umständen“ ums Leben gekommen) ist sie der eigentliche, selbst erlebte Berlin-Roman des Lazar Hermann alias Leo Lania.

Michael Schwaiger: „Hinter der Fassade der Wirklichkeit“. Leben und Werk von Leo Lania. Mandelbaum Verlag, Wien 2017. 464 Seiten, 24,90 €. Leo Lania: Land im Zwielicht. Roman, herausgegeben und mit einem Nachwort von Michael Schwaiger. Mandelbaum Verlag Wien 2017. 336 Seiten, 24,90 €.

Hannes Schwenger

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