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 Rolf Hochhuth

© picture alliance / dpa

Birgit Lahann und ihre Biografie von Rolf Hochhuth: Viel Ruhe um den Wüterich

Grandioses Zwiegespräch: Am Berliner Ensemble stellt Birgit Lahann ihre Biografie über Rolf Hochhuth vor.

Es ist Sonntagvormittag, im Foyer des Berliner Ensemble sitzt Rolf Hochhuth, der am 1. April 85 Jahre alt wird, und signiert Bücher. Ein freudiger Anlass hat ihn heute hergeführt, auch wenn er sein Lächeln wie immer spärlich einsetzt. Denn Birgit Lahann hat sich getraut, was bisher niemand wagte: eine Hochhuth-Biografie zu schreiben. Eben hat sie das Buch in seinem Theater vorgestellt.

Alles ging los mit einem Anruf – und einer Absage: „Hochhuth am Telefon. Ich grüße Sie. Möchten Sie nicht meine Biografin werden? – Nein, das möchte ich nicht.“ Denn dann müsste sie ja all seine „treuen Feinde“ befragen, erwidert die Journalistin. Und das seien immer noch einige: „Das Bild vom Streithammel und Wüterich hat mit den Jahren für viele das Bild vom großen Aufklärer und politischen Störenfried überwuchert.“ Wie soll man unter dem Gestrüpp aus Skandalen und Prozessen den Menschen wieder zum Vorschein bringen?

Lahann sagt schließlich doch zu, entscheidet sich aber für ein formales Experiment. Sie werde ihm ein „Gesprächsbuch mit allem Witz und allem Wahnsinn schreiben“, sagt sie, mit „seinen Verdiensten, seinen Stücken … aber auch mit Auskünften über Aggressionen, Gegner, Gott und den Tod.“ Was dabei herausgekommen ist, nach vielen Begegnungen und Interviews, nennt sie „Psychogramm mit Reportageeinflüssen“.

Natürlich hatte man Radau gewittert – doch die Präsentation bleibt zahm. Lahann liest alleine auf der Bühne aus dem Buch, Fragen werden keine gestellt. Hochhuth betritt erst nach dem Abgang der Biografin die Bühne, um drei politische Balladen zu deklamieren – und dann stracks zum Signiertisch zu schreiten.

"Der Stellvertreter" liegt zwei Jahre auf Halde, bevor Erwin Piscator das Stück aufführt

Mit wem haben wir es hier noch gleich zu tun? Lahanns Biografie huscht über Hochhuths erste Lebensjahre, um umso ausführlicher bei Hochhuths Erstling „Der Stellvertreter“ zu verweilen. Die Frage, warum Papst Pius XII., immerhin doch Stellvertreter Christi auf Erden, sich in den Kriegsjahren nie zum Holocaust geäußert hat, beschäftigt Hochhuth schon als Teenager. Mit Mitte zwanzig beginnt er, an einem dokumentarischen Stück zu schreiben. Damals arbeitet er als Lektor bei Bertelsmann in Gütersloh. Jahrelang recherchiert Hochhuth die Hintergründe des Stoffs, fährt sogar nach Rom. Der Ruf des Skandals eilt dem Stück voraus. Bei Bertelsmann stoppt man den Druck, bei Rowohlt liegt das Manuskript zwei Jahre lang auf Halde. Erst als der berühmte Regisseur Erwin Piscator begeistert erklärt, dass er es aufführen will, wird der Text veröffentlicht. 1963 wird „Der Stellvertreter“ an der Freien Volksbühne in Berlin uraufgeführt.

Der Theaterskandal, der folgt, erschüttert ganz Europa. Das Beben reicht bis nach New York, wo Hochhuth und sein Verleger Heinrich Maria Ledig-Rowohlt 1964 der ersten amerikanischen Aufführung beiwohnen. Lahann erzählt das alles anschaulich und spannend, nur gelegentlich verliert sie sich in Altherrenanekdoten. Müssen die Leser wirklich wissen, in welche amourösen Verwicklungen Ledig-Rowohlt sich seinerzeit in England begeben hatte?

Zwei kluge Köpfe begegnen sich auf Augenhöhe

Grandios ist das Buch da, wo es ein lebendiges Zwiegespräch zwischen Biografin und Autor geworden ist, wo Lahann also mit Hochhuth das tut, was er immer noch sehr gut kann: streiten. Zwei kluge, selbstbewusste Köpfe begegnen sich hier auf Augenhöhe und diskutieren leidenschaftlich miteinander. Etwa über den Regisseur Einar Schleef und dessen Uraufführung von „Wessis in Weimar“, Hochhuths Kommentar zur Wiedervereinigung. Lahann und Hochhuth sind schon damals, Anfang der 1990er Jahre, befreundet. Immer wieder versucht sie ihn in den Wochen vor der Premiere davon zu überzeugen, dass Schleefs Inszenierung keine „Verdunklung“ oder „Zertrümmerung“ seines Stücks sei, sondern ein großartiges Kondensat, samt hinzugefügter „Blitzlichter“ von Brecht und Schiller. Der Dramatiker aber lässt sich nicht überzeugen und verbringt den Premierenabend allein zu Hause. „Ach, Hochhuth“, schreibt Lahann. Man kann sie dabei förmlich seufzen hören.

Birgit Lahann: Hochhuth. Der Störenfried. Verlag J.H.W. Dietz, Bonn 2016. 384 Seiten, 29,90 €

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