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Kultur: Blinder Fleck

KUNST

Die Kultur der Erinnerung unterscheidet den Menschen vom Tier – hoffentlich. Die Berliner ifa-Galerie zeigt vier künstlerische Positionen, die um den für ewig blinden Fleck Auschwitz kreisen, Bilder des Erinnerns und Verschwindens . Dass bloße Dokumentation Letzteres befördern kann, davor hat Susan Sontag eindringlich gewarnt: Jeder, der einmal die berüchtigten KZ-Bilder gesehen habe, sei „bereits auf dem Weg mehr davon zu sehen – und immer mehr. Bilder lähmen, Bilder betäuben“, schrieb sie.

In diesem Sinne zeigen die Videos von Esther Shalev-Gerz Wirklichkeit nicht pur, sondern gefiltert, in den Weltkriegserinnerungen zweier Frauen. Dem von ihr konstruierten Dialog der Jüdin und der Antifaschistin kann man sich genau so wenig entziehen wie den Wandensembles von Leila Danziger, die Informationsmassen aus Zeitungen kratzt, um Briefzitate von Verfolgten und Ermordeten darüber zu stempeln. Mahnmale eigentlich, exemplarisch für die Balance der Ausstellung zwischen dem anonymisierenden Gedenken (Eisenmans Stelenfeld) und dem jede Reflexion erstickenden Schock der Fotos von Leichenbergen. Der Künstler Wojciech Prazmowski blickte als Junge auf Ausflügen mit seiner polnischen Familie arglos auf die Wachtürme von Auschwitz. Er hatte keine Ahnung, was da innerhalb der Umzäunung lag. Der erste Besuch im ehemaligen Konzentrationslager bedeutete das Ende der kindlichen Unschuld. In der Unruhe seiner fotografischen Stillleben – Doppelbelichtungen von Lageransichten – schwingt er nach, dieser Bruch im Bewusstsein. (Linienstraße 139, bis 25.5., Dienstag bis Sonntag, 14 bis 19 Uhr).

Jens Hinrichsen

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