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Botho Strauß

© IMAGO

Botho Strauß und Rüdiger Safranski: Die Angst der alten Männer vor den Flüchtlingen

Die rechte Wut sickert in den Mainstream: Botho Strauß und Rüdiger Safranski klagen über die "Flüchtlingsflut", einen Begriff der Rechten. Unser Autor wundert sich über diese apokalyptische Formel.

Deutschland geht unter, bald wird es spurlos im Nichts versunken sein. Jedenfalls wenn man den Intellektuellen glaubt, die nun Alarm schlagen. Sie verhalten sich wie Mitglieder der Bordkapelle auf der „Titanic“, die bekanntlich bis zum letzten Moment weiterspielte. Die Katastrophe konnten sie nicht verhindern, doch sie möchten noch möglichst lange zu hören sein. Ihre Hits klingen allerdings schon etwas alt und ranzig.

„Die Politik hat die Entscheidung getroffen, Deutschland zu fluten“, sagt Rüdiger Safranski in einem sorgenvollen Altmännergespräch mit Mathias Matussek in der „Welt“. „Wenn die Kanzlerin sagt, Deutschland wird sich verändern, da möchte ich doch bitte gefragt werden.“ Zum letzten Mal gefragt worden ist der Bestseller-Biograf von Goethe, Nietzsche und Schiller im September 2013, bei der Bundestagswahl. Es gehört zum Wesen repräsentativer Demokratien, dass Entscheidungen in Notsituationen von der Regierung ohne weitere Rücksprache getroffen werden. Weil es auf die Handlungsfähigkeit ankommt.

Rüdiger Safranski
„Die Politik hat die Entscheidung getroffen, Deutschland zu fluten“, meint Rüdiger Safranski in der "Welt."

© Patrick Seeger/dpa

Merkel verhinderte eine Tragödie

Das war bei der Bankenrettung und in der Eurokrise so, und so verhielt es sich auch, als Kanzlerin Merkel Anfang September die Grenzen vorübergehend öffnete und Flüchtlinge aus Ungarn in Zügen nach Deutschland fahren ließ. Sie verhinderte damit eine humanitäre Tragödie. Hätte sie zuvor einen Volksentscheid durchführen lassen sollen? Wollte Safranski an der bayrisch-österreichischen Demarkationslinie stehen und bestimmen, wer rüberdarf und wer nicht?

Auch Botho Strauß, einst wichtigster deutscher Dramatiker, warnt vor einer „Flutung des Landes mit Fremden“. Sarkastisch fragt er: „Was kann den Deutschen Besseres passieren, als in ihrem Land eine kräftige Minderheit zu werden?“ Nichts, denn der Dichter weiß: „Oft bringt erst eine intolerante Fremdherrschaft ein Volk zur Selbstbesinnung.“ Strauß menetekelt, als ginge es um eine militärische Annexion, ein Ereignis wie die Eroberung Ägyptens durch Alexander den Großen. Nach Deutschland stoßen aber keine Reiterkrieger unter der schwarzen Flagge des Islamismus vor. Auch die Mehrheitsverhältnisse werden nicht umgewälzt. Laut Schätzungen sollen zwischen 800 000 und 1 000 000 Menschen bis Jahresende kommen. Nicht alle dürften Asyl erhalten.

Unsere Kultur ist dynamisch und beschränkt sich nicht auf Grenzen ... Diejenigen, die Globalisierung und Multikulturalismus ablehnen und sich ein Europa der 1950er Jahre zurück wünschen, verkennen, dass es eine Entwicklung gab und diese Entwicklung weiter geht.

schreibt NutzerIn peeka

Die apokalyptische Formel von einer „Flüchtlings“- oder „Ausländerflut“ ist im Feuilleton angekommen. Erfunden wurde sie rechtsaußen. Bevor Safranski und Strauß sie aufgriffen, wurde sie zum Beispiel vom Kreisverband der NPD in Leipzig, von Demonstranten gegen ein Erstaufnahmelager in Regensburg und von einer Facebook-Seite namens „Deutsche zurück nach Deutschland“ verwendet.

Betrachtungen aus dem Abseits

Botho Strauß zelebriert Rückzugsgefechte. Seinen wirren Essay im „Spiegel“ nennt er „Der letzte Deutsche“, womit natürlich nur einer gemeint sein kann. „Ich glaube, ich bin der letzte Deutsche“, schreibt er und betreibt Kulturkritik in der Tradition von Spengler und Jünger. Der Zorn richtet sich gegen die Fremden, mehr noch gegen die Einheimischen, die ihre Kultur verraten, weil sie sie nicht einmal kennen. Als „Erdulden einer Auslöschung“ bezeichnet Strauß das und schreibt einen Satz, der vor Zynismus trieft: „Palmyra, auch hier.“

Schon in seinem berühmt-berüchtigten „Spiegel“-Aufsatz „Anschwellender Bocksgesang“ hatte Botho Strauß 1993 konstatiert: „Die Intelligenz der Massen hat ihren Sättigungsgrad erreicht.“ Seither ist die Intelligenz nicht gewachsen, angewidert spricht er von „Sozial-Deutschen, die nicht weniger entwurzelt sind als die Millionen Entwurzelten, die sich nun zu ihnen gesellen“.

Es sind Betrachtungen, die aus dem Abseits kommen. Strauß hat sich schon lange in die Uckermark zurückgezogen, seinen neuen Essay beginnt er mit einem zehn Jahre alten Selbstzitat. Das Flüchtlingsdrama kennt er wohl nur aus dem Fernsehen. Der letzte Deutsche? Der allerletzte.

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