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Kultur: Breites Spektrum

Von unideologisch bis verfassungsfeindlich: Uwe Backes und Patrick Moreau über die extreme Rechte in Europa.

Extremismus bedroht unsere Demokratien gerade in Krisenzeiten. Auch in der Gegenwart steht der demokratische Verfassungsstaat damit vor ständigen Herausforderungen, die seine Feinde heraufbeschwören. Europas Mittel als Werteexporteur sind dabei begrenzt. So stagniert die europäische Nachbarschaftspolitik, da die Ukraine einen neuen Weg zum Autoritarismus beschreitet und Weißrussland sich nicht öffnet. Der euphorisch gefeierte arabische Frühling hat momentan eher in einen frostigen Winter umgeschlagen. Doch auch in Europa gibt es bedenkliche, autoritäre Entwicklungen. In Ungarn gestaltet Viktor Orbán, mit einer satten Zweidrittelmehrheit ausgestattet, gerade den Staat um, mit einer neuen Verfassung und einem Mediengesetz, das den sozialistischen Feind im ohnehin polarisierten Land bekämpft. Im gleichen Land kam die romafeindliche, rechtsextremistische Jobbik-Partei auf fast 20 Prozent der Stimmen. Von einer stabilen Demokratie kann also keine Rede mehr sein, obwohl der ungarische Systemwechsel eigentlich erfolgreich verlief.

Ein weiteres Phänomen ist das des Rechtsterrorismus: Das Bekanntwerden eines Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik und das offenkundige Versagen der Sicherheitsbehörden bestimmt die Debatte. Ein Untersuchungsausschuss im Bundestag soll nun Aufklärung bieten. Letzten Sommer wurde ein Norweger, Anders Behring Breivik, als psychotischer Einzeltäter zum terroristischen Massenmörder, nachdem er im stillen Kämmerlein ein über 1500-seitiges Manifest verfasst hatte.

Angesichts dieser Fakten ist eine wissenschaftlich sachlich fundierte Debatte um den Rechtsextremismus geboten und wichtig. Diese beabsichtigen in einem umfangreichen Sammelband die Herausgeber Uwe Backes und Patrick Moreau. Beide sind trotz zahlloser Publikationen zum Thema nicht unumstritten. Backes gilt mit Eckhard Jesse als Vater der normativen Extremismusforschung, die immer wieder die Gemeinsamkeiten von Rechts- und Linksextremismus herausstreicht, mitunter auch pointiert. Auch der lange in Deutschland lebende Franzose Patrick Moreau warnt immer wieder vor der PDS beziehungsweise Linken, publizierte mitunter unter einem Pseudonym für die Hanns-Seidel-Stiftung und den Verfassungsschutz. Dieser Band vereint jedoch namhafte Experten und spaltet 18 Beiträge in drei großen Abschnitten auf: Parteien und Wahlen, militante Szenen und Subkulturen sowie kulturelle Trends und Ideen. Hervorzuheben ist der Versuch von Uwe Backes, nicht nur die Erfolgs-, sondern auch die Misserfolgsbedingungen von Rechtsaußenparteien zu verfolgen. In der Bundesrepublik stehen NPD und DVU momentan schlecht da, was wohl auch an den „Schatten der Vergangenheit“ liegt. Die geplante Fusion wird daran wenig ändern. Auch in Krisenländern Europas wie Griechenland, Spanien oder Portugal gibt es (noch) keine Rechtsaußenparteien. Verdienstvoll ist auch ein Blick auf die Gewalttaten gegenüber Roma in Ostmitteleuropa durch den tschechischen Experten Miroslav Mareš. Er kommt zu dem Schluss, dass sich neue paramilitärische Strukturen in Ostmitteleuropa herausbilden.

Eine eigene Erwähnung verdient der Aspekt der Vernetzung. Gibt es eine neue, „globalisierte Antiglobalisierungsbewegung“ von rechts? Thomas Grumke, Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen, macht deutlich, dass dieser Prozess zwar in der Entwicklung ist, aber immer wieder an internen Konflikten scheitert. So gestaltet sich auch eine Zusammenarbeit im Europäischen Parlament als schwierig.

Ein Beitrag beschäftigt sich mit dem Franzosen Alain de Benoist, der als Vordenker einer wie auch immer gearteten „Neuen Rechten“ gilt, auch in der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ regelmäßig veröffentlicht. Manche Parteien betreiben Geschichtspolitik, andere agieren ideologiefrei und sind wie die niederländische Partei der Freiheit von Geert Wilders sogar proisraelisch und proamerikanisch eingestellt. Es gibt also ein breites Spektrum, eher unideologisch, flexibel agierende populistische Parteien, aber eben auch verfassungsfeindliche rechtsextremistische Kaderparteien wie die NPD.

Durch diesen detaillierten und verdienstvollen Sammelband wird deutlich, wie vielschichtig das Spektrum der extremen Rechten in West-, Zentral- und Osteuropa ist. Auch extremistische Gruppierungen in der Türkei finden Eingang. Er leidet aber darunter, zu viele Begriffe für ein Phänomen zu haben und immer feinere Abgrenzungen schaffen zu wollen. Denn akademische Kleinteiligkeiten mit stets neuen Differenzierungen tragen nicht zur wichtigen gesellschaftlichen Aufklärung und Prävention bei. Nicht umsonst schließen die Herausgeber mit der Bemerkung, dass es im Umgang mit Rechtsextremismus weniger um den Verfassungsstaat als vielmehr um die Zivilgesellschaft selbst gehe. Staatlich oktroyierte Verbote helfen also, wenn überhaupt, nur wenig.

Uwe Backes, Patrick Moreau:  The Extreme Right in Europe. Schriften des Hannah-Arendt- Instituts. Vandehoeck & Ruprecht, Göttingen 2012. 473 Seiten, 79,95 Euro.

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