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Die Frauenbewegung ist ihr suspekt. Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff, 59.

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Update

Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff: Onanie ist gefährlich, künstliche Befruchtung widerwärtig

Onanie ist doch gefährlich: Die Schriftstellerin und Trägerin des Büchner-Preises, Sibylle Lewitscharoff, hat sich nach ihrer Rede in Dresden im ZDF-"Morgenmagazin" teilweise entschuldigt. Sie hatte künstliche Befruchtung als "widerwärtig" bezeichnet.

Was mag wohl in die Schriftstellerin und Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff gefahren sein, als sie am vergangenen Sonntag im Rahmen der „Dresdner Reden“ des dortigen Staatsschauspiels ihre skandalöse Rede über die „Machbarkeit“ und die „wissenschaftliche Bestimmung über Geburt und Tod“ hielt? Nachdem ihre Ausführungen nun mit Verspätung debattiert werden, hat sie die Rede am Donnerstagnachmittag in einem zunächst online veröffentlichten Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verteidigt. „Darf ich in einer Rede nicht sagen, was ich denke? Ich verlange doch keine sofortige Gesetzesänderung oder derartiges“, sagte sie über ihre umstrittenen Äußerungen zur Reproduktionsmedizin und beruft sich auf „ein traditionelles Menschenbild, das stark aus dem Christentum kommt.“ (Die Rede der Schriftstellerin finden Sie in einer Audiodatei des Schauspielhauses hier.)

Lewitscharoffs Dresdner Rede lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Zumal sie gleich zu Beginn einräumt, dass es ihr nicht wie sonst möglich sei, dem Ernst, der ihrem Thema innewohnt, „durch Scherze und ein kleines Fluten der Ironie eine gewisse Leichtigkeit zu verschaffen“.

Am Donnerstagmorgen entschuldigte sie sich teilweise im ZDF-"Morgenmagazin".

Das Onanieverbot erscheint ihr heute "weise"

Tatsächlich rechnet Lewitscharoff nach religiös fundamentalistischer Art mit der modernen Fortpflanzungsmedizin ab. Und „mit den Segnungen der modernen Medizin“, von denen sie nicht mehr „unbeschwert“ als solchen sprechen möchte: also von der pränatalen Diagnostik bis hin zur Transplantationsmedizin, von den Möglichkeiten der Frühgeborenenmedizin bis hin zu zweifelhaften lebensverlängernden Maßnahmen aller Art bei Schwerstkranken und Alten.

Vieles davon ist kritisierbar und nicht immer wünschenswert, da ist Lewitscharoff nicht die erste, die angesichts vermeintlich grenzenloser Machbarkeit ihr Unbehagen äußert. Im Fall der Reproduktionsmedizin gehen ihr jedoch die Gäule durch, da möchte sie zurück in die Vergangenheit, die Vormoderne, da gesteht sie: „Früher habe ich mich über das drastische Onanieverbot gern lustig gemacht, inzwischen erscheint es mir geradezu als weise. Die Vorstellung, dass ein Mann in eine Kabine geschickt wird, wo er, je nach Belieben, mit oder ohne Hilfe von pornographischen Abbildungen, stimuliert wird, seine Spermien medizingerecht abzuliefern, die später in den Körper einer Frau praktiziert werden, ist mir nicht nur suspekt, ich finde sie absolut widerwärtig.“

"Abartige Wege" nennt sie die künstliche Befruchtung - und die Kinder "Halbwesen"

Das mag ihr ja noch zugestanden sein – schöne, befriedigende Onanie ist sicher was anderes, das weiß vermutlich auch Lewitscharoff. Schlimmer wird es, wenn die Schriftstellerin es per se als „eigentlichen Horror“ bezeichnet, „auf künstlichen Wegen eine Schwangerschaft zustande zu bringen“. Oder wenn sie lesbische Paare, die einem Kinderwunsch hegen und ihm auch nachzukommen versuchen, aufs Schärfste verurteilt. Ein Hoch also, das verdeutlicht die gesamte Rede, auf die vermeintlich einzige gute und richtige, die „naturgemäße“ Verbindung zweier Menschen, die zwischen Mann und Frau. (Und wo kommen wir da hin, wenn auch Onanie zu Kindern führt!)

Es geht noch schlimmer. Denn „das gegenwärtige Fortpflanzungsgemurkse“ kommt Lewitscharoff „derart widerwärtig“ vor, „dass ich sogar geneigt bin, Kinder, die auf solch abartigen Wegen entstanden sind, als Halbwesen anzusehen. Nicht ganz echt sind sie in meinen Augen, sondern zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas.“ Als ob sie selbst nur zu genau wüsste, in welche Sphären sie da schon vorgedrungen ist, in welchem Sprachraum sie sich bewegt, baut sie schon einmal vor und gesteht, dass sie übertreibt: „Mit Verlaub, angesichts dieser Entwicklungen kommen mir die Kopulationsheime, welche die Nationalsozialisten einst eingerichtet haben, um blonde Frauen mit dem Samen von blonden blauäugigen SS-Männern zu versorgen, fast wie harmlose Übungsspiele vor."

Vieles von dem, was die Autorin von preisgekrönten Büchern wie „Pong“, „Apostoloff“ und „Blumenberg“ in Dresden vortrug, basiert auf ihrer Abneigung gegen die Frauenbewegung der 60er und 70er Jahre und der von heute. Schon in ihrer gleichfalls nicht großartigen, mitunter läppischen, mitunter seltsamen Büchner-Preisrede hatte Lewitscharoff einen Seitenhieb untergebracht: „Die Frauenbewegung in Deutschland und den USA ist ein Trampolin für ausgeschnitzte Verrücktheiten.“ Bezog sie sich darin vor allem auf sprachliche Verrücktheiten, geht sie jetzt mit Formeln wie „Mein Bauch gehört mir“ auch inhaltlich ins Gericht, mit der „Selbstermächtigung“ der Frauen, wenn sie sich auf nicht natürlichen Wegen den Samen für ihre Kinder besorgen. „Am Schönsten wäre es für diese Frauen gewiss, man könnte den Samen selbst auch noch künstlich erzeugen und mit einem im Voraus definierbarem Bündel an erwünschten Merkmalen ausstatten, was bisher noch nicht möglich ist.“

Der Chefdramaturg des Dresdner Staatschauspiels, Robert Koall, hat zwar unterdessen in einem Offenen Brief ihre „gefährlichen Worte“ gegeißelt. Auch der deutsche Lesben- und Schwulenverband und die Berliner Akademie der Künste haben schockiert auf die Äußerungen reagiert: „Wir weisen den menschenverachtenden Ton und Gestus aufs Schärfste zurück“, so Präsident Klaus Staeck. In der Tat: Gerade eine Georg-Büchner-Preisrednerin sollte ihre Worte sorgfältig wählen. Dieser Preis ist kein Freibrief, sondern eine Verpflichtung. Sibylle Lewitscharoff muss da etwas missverstanden haben.

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