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© Lieberenz

Volksbühne: Polleschs Phantomschmerz

Ein Theaterabend voll anrührender Komik und verblüffender Intelligenz: "Ich schau dir in die Augen..." – Solo für Fabian Hinrichs an der Volksbühne.

Das geht doch nicht, das schafft dieser dünne Hering und bis auf den Slip nackte Kerl niemals. Ein anderthalbstündiges Solo im Riesenschlund der Volksbühne, ein raumgreifender Alleingang ohne Netz und doppelten Boden, mit einem tückisch-abstrakten, theorieschwangeren Text von René Pollesch – da kommt er unmöglich heil heraus!

Wie schön man sich täuschen kann: Dieser Abend ist von einer anrührenden Komik und verblüffenden Intelligenz, ein kleines, aber singuläres Theaterereignis. Fabian Hinrichs heißt der Schauspieler, der Held, die „männliche weiße Hete“, wie es Pollesch ausdrückt, ein zarter Entertainer, ein Handlungsreisender in Kommunikations- und Unterhaltungstechnik, vielleicht auch nur ein lockerer, sympathischer Typ, der sich mutterseelenallein in einer Show wiederfindet, die den seltsamen Namen „Ich schau dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang“ trägt.

Ein echter Pollesch-Titel – aber ein anderer Pollesch-Ton und Gestus. Leise, nachdenklich, suchend und tastend, die Sprechmaschinen, die Boulevardterroristen haben Sendepause. Leeres Gerede, hohle Phrasen, stille Verzweiflung: Fabian Hinrichs tänzelt um eine Mitte, die keinen Inhalt und keine Kraft mehr hat, er dreht sich um den Punkt, der früher einmal das Theater war.

Theater als Phantomschmerz. Aber die Show geht weiter, als „interpassive“ Veranstaltung. Ein typischer Pollesch-Ansatz. Es gibt nichts mehr zu sagen und zu spielen, die Personen suchen auch keinen Autor mehr, selbst mit den sonst so ausgiebig ventilierten ökonomischen Wirtschafts- und Entfremdungsszenarien hält sich der Stückeschreiber und Regisseur diesmal zurück. Er vertraut allein auf Fabian Hinrichs, der seine Haut zu Markte trägt, der zu Klavier und Gitarre und Schlagzeug und Tischtennisschläger greift und auch mal singt: „Und wir sind vielleicht endlich von den Dingen befreit, die wir lieben.“

Das ist der Refrain dieses kahlen Sängers und Animateurs. Und zu den Dingen, die wir lieben und von denen wir uns vorübergehend oder endgültig befreit haben, wird man auch das Theater zählen müssen. Das Theater der Illusion, des Geschichtenerzählens, der Identifikation. Man kann das hier – Pollesch kommt aus dem berühmt-berüchtigten Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen – als Post- oder Post-Post-Dramatik bezeichnen. Aber das trifft auch nicht mehr den Punkt. Pollesch beschreibt diesen Phantomschmerz so genau, er begibt sich hier in ein so fein gewebtes Zwiegespräch mit seinem Patienten, dem Schauspieler, dass das Theater durch die Hintertür wieder hervorschaut. Die Analyse ist jedenfalls unterhaltsam: Phantomschmerz, Phantomscherz.

Und es tut auch weh, dieses so beiläufig oder distanziert Hingesprochene. Der Tod der Mutter, die Leiden einer Goethe’schen Iphigenie in der Verbannung („das Land der Griechen mit der Seele suchend“) – da kommt einiges zusammen, da gerät viel durcheinander, wenn auch planvoll. Hinrichs hangelt sich an Textsteilwänden entlang, die letzte Verbindung zur Außenwelt ist die Technikkabine, die Tuschs und „Dosengelächter“ und Pop-Songs einspielt.

Und da ist das Publikum, hingefläzt auf die unbequemen Seesäcke, die seit Frank Castorfs „Ozean“-Premiere herumliegen und dem stuhllosen Parkett zumindest einen gemütlichen Anstrich geben. Mittendrin kauert Fabian Hinrichs zu Beginn, begrüßt hier Christoph Schlingensief, dort einen Volksbühnenkollegen, dann verschwindet er und arbeitet sich von hinten auf die Bühne, die ihm allein gehört. Ihm und einer Performance, die Showteile zusammenklaubt wie Teile eines Theaterpuzzles. Manchmal wirkt er wie ein verträumter Inspizient des Nachts im Theater, der zu seiner Überraschung auf Zuschauer trifft, oder wie ein Zauberlehrling, mit dem die Requisiten ein seltsames Spielchen spielen – wenn er sich an der riesigen Discokugel hochziehen lässt oder hinter dem großen Showvorhang verschwindet. Die Dinge haben ein geheimes Eigenleben, sie warten auf die Rückkehr der Komödianten.

Es gibt freilich nichts wirklich Neues zwischen Bühnenhimmel und Volksbühnenhölle, und durch Polleschs „interpassives“ Theater weht ein Echo wie von Pirandello. Gleichwie, in diesem theorieverliebten Theater ist letztlich alle Theorie grau. Der Abend hängt an einem einzigen Faden – mit dem spinnt Fabian Hinrichs die Zuschauer ein. Man beobachtet ihn mit Sorge, wie er da tut und schafft und ackert. Aber immer mit Lust und Gewinn.

Wieder am 16. und 20. Januar

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