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CECILIA & MARIA: Die Oper in Italien ist eine Katastrophe!

Cecilia Bartoli über den Belcanto, Bellini und ihre Wahlverwandte aus dem 19. Jahrhundert, die Diva Maria Malibran.

Frau Bartoli, Sie widmen Ihr neues Album der Belcanto-Diva Maria Malibran. Diese Frau muss faszinierend gewesen sein.

Und ob! Diese Willensstärke, Lebenskraft und Musikalität! Sie war nicht nur eine begnadete Sängerin, sondern komponierte auch, spielte hervorragend Klavier und Harfe. Und sie reiste ununterbrochen, bis nach Amerika, wo sie der erste richtige Opernstar wurde. Ihr Vater Manuel Garcia hat Mozart in den USA bekannt gemacht. Auch in Europa war sie enorm präsent, ihre letzte „Sonnambula“-Aufführung 1836 fand übrigens in Aachen statt. Im Juli hatte sie einen Reitunfall in London, fuhr aber immer noch weiter herum, bis sie im September in Manchester starb. Mit 28 Jahren! Bei ihrer Beerdigung säumten 50 000 Fans die Straßen. Maria Malibran war oft krank, was mich nicht wundert: Es gab nicht mal richtige Heizungen in den Häusern. Andererseits: Klimaanlagen, die ärgsten Feinde jedes Sängers, waren auch noch nicht erfunden.

Wie nahe fühlen Sie sich der Sängerin, die am 8. März 1808 in Paris geboren wurde?

Ich habe meine Karriere mit Belcanto gestartet, mit Rossini und Donizetti. Dann entschied ich mich, einen anderen Weg als den üblichen einzuschlagen und ging musikhistorisch rückwärts, zu Mozart, Haydn und bis zum Barock. Jetzt begegne ich mit all dem Wissen über die früheren Epochen wieder dem Belcanto – und fühle mich vertraut mit den Sängern dieser Umbruchszeit, als die Klassik zur Romantik wurde. Maria Malibran stand noch zusammen mit den letzten Kastraten, den Stars der Barockzeit, auf der Bühne. Ihr Vater war einer der größten Tenöre seiner Zeit, auch ich habe mithilfe seiner Gesangslehre gelernt, was man trainieren soll. Vor allem das „Messa di voce“, die Fähigkeit, einen Ton an- und wieder abschwellen zu lassen, sollte der Sänger vom tiefsten bis zum höchsten Register beherrschen.

Sie empfinden Sich als Wahlverwandte?

Auch ich wurde in eine Musikerfamilie hineingeboren, meine Eltern verdienten ihr Geld als Chorsänger in der römischen Oper. Ich habe als Rosina debütiert, Maria Malibran auch, sie war ein Mezzosopran wie ich, und wir haben beide viel Mozart gesungen. Sie war allerdings ein Popstar in ihrer Zeit, hatte einen Status, den heute Leute wie Madonna haben. Ihren 200. Geburtstag muss man einfach feiern! Ich habe eine Pilgerreise an alle Stätten ihrer Triumphe gemacht, darüber wurde sogar ein Dokumentarfilm gedreht.

Maria Malibran war ein Prototyp der Diva: exzentrisch, glamourös, mit astronomischen Gagenforderungen und einem turbulent-tragischen Privatleben. Werden Sie jetzt auch zur Diva?

Also, ich hoffe, was das Benehmen angeht, bin ich absolut keine Diva! Aber ich will alles von den Musikwissenschaftlern wissen, lese mit Begeisterung die Briefe der Komponisten an Maria. Malibrans Bruder Manuel war nicht nur Sänger, sondern auch Hals-Nasen-Ohren-Arzt, der den kleinen Spiegel erfunden hat, mit dessen Hilfe man bis heute die Stimmbänder begutachtet. Wenn es darum geht, der Musik so nahe wie möglich zu kommen, bin ich eine 100-prozentige Diva!

Ab 18. September gastiert Ihr rollendes Maria-Malibran-Museum in Berlin.

Wir haben eine Ausstellung in einem riesigen Truck eingerichtet, in dem ich meine Sammlung zeige: wunderbare Briefe von Rossini an Malibran, diverse Kunstwerke – eine Zauberinsel, auf der jedes Objekt so präsentiert ist, dass es aussieht wie ein Diamantencollier. Ich sammle schon lange alles, was mit der Sängerin zu tun hat. Als ich zum ersten Mal das Armband in der Hand hielt, das Maria Malibran bei der Uraufführung von Rossinis „Cenerentola“ in Rom 1817 getragen hat, habe ich vor Freude geweint. Ich bin verrückt nach diesen authentischen Stücken.

Was haben Sie über Ihre Stimme durch die Beschäftigung mit Malibran gelernt?

Maria war ein Multitalent, hatte fast drei Oktaven, ein fülliges tiefes Register, die Mittellage war nur so lala, und in der Höhe hat sie viel gearbeitet, um Sicherheit zu gewinnen. Meine Stimme ist ähnlich, die Höhe fällt mir leichter, und ich bin jetzt älter, als sie werden durfte: Das bedeutet, dass ich mit mehr Klangfarben, Schattierungen, Pianissimi spielen kann und die Stimme an Elastizität gewonnen hat.

Werden Sie nach der CD jetzt auch Belcanto-Partien auf der Opernbühne singen?

Ich werde „La Sonnambula“ im April 2008 in Baden-Baden machen – aber das wird nicht die Bellini-Oper sein, wie die Leute sie gewohnt sind. Wir müssen Sängerinnen wie Joan Sutherland oder Maria Callas ewig dankbar sein für ihre Bellini-Interpretationen. Weil sie den Komponisten aus der Vergessenheit gerissen haben und die Musik trotzdem nach ihrem Geschmack sangen. Ich möchte das Belcanto-Repertoire jetzt mit Instrumenten der Zeit aufführen, das hat bislang noch keiner gemacht. Die Sopranistinnen, die Bellini in den fünfziger Jahren wieder aufgeführt haben, fügten jede Menge Verzierungen im hohen Register hinzu, weil es ihrer Stimme entgegenkam. Die meisten Opernfans kennen das nur so und glauben, das sei original. Aber in der Partitur findet man diese Koloraturen nicht.

Für die „Norma“ brauchen wir also keine Edita Gruberova…

Halt! Wir brauchen immer die Gruberova! Ich bin einer ihrer treuesten Fans! Es hat nur bisher noch keiner versucht, die Partie wieder so zu singen wie bei der Uraufführung. Wir müssen den Mut haben, auch Belcanto historisch korrekt zu spielen, und neue Nuancen, neue Farben in dieser vertrauten Musik entdecken! Vielleicht kann ich ja eine Bewegung auslösen, und wenn ich eines Tages in Rente gehe, singt eine neue Generation von Interpreten womöglich so, wie ich es jetzt ausprobiere.

Bis zum Jahr 2000 waren Sie regelmäßig Gast an der Berliner Staatsoper. Warum kommen Sie nicht mehr? Gab es Krach?

Nein, überhaupt nicht! Mein Repertoire und die Stücke der Staatsoper passten nur nicht mehr zusammen. Aber ich komme gerne zurück, wenn es Unter den Linden die richtigen Partien für mich gibt. Sie müssen auch bedenken: Ich mache nur zwei Opernproduktionen pro Jahr. Mit Proben von jeweils mindestens vier Wochen und der Aufführungsserie sind so fast fünf Monate gebunden. Der Rest der Zeit ist für Konzerte reserviert.

Maria Malibran rettete ein Theater in Venedig durch ein Benefizkonzert vor dem Konkurs. Bis heute trägt es ihren Namen. Das Opernhaus von Rom ist seit Jahren in der Krise. Wollen Sie da nicht mal helfen?

Ich habe eine enge Bindung zu dem Haus, wegen meiner Eltern und weil ich hier als Achtjährige den Hirten in Puccinis „Tosca“ gesungen habe. Aber um die römische Oper zu retten, reicht eine Person nicht aus, man bräuchte eine ganze Armee. Die Opernhäuser in Italien, ich sage es mit Schmerzen, sind fast alle in einem schrecklichen Zustand. Das San Carlo in Neapel ist eins der schönsten Theater der Welt. Dort gibt es pro Saison vielleicht noch 20 Aufführungen, sonst steht das Haus leer. Eine Katastrophe! Italien steht kurz vor dem Kollaps des Kultursystems.

So begeistert die Italiener singen, so sehr ist die Oper eine Enklave für die oberen Zehntausend.

Oper ist in Italien ein Museum mit verstaubten Exponaten. Dabei war es einmal das Land der größten Komponisten, Künstler und Sänger! Ich trete dort kaum noch auf. Eine Tournee in Italien zu organisieren ist ein Alptraum. Bis zur letzten Minute heißt es immer „Si“, „No“ und so weiter. Es ist ja nicht so, dass wir kein Publikum hätten. Aber wir leben in einem Zustand der Erstarrung und sind nicht in der Lage, etwas dagegen zu tun und uns aus der Lethargie zu befreien. Man kann es auch Koma nennen. Vielleicht liegt es ja am Zustand des italienischen Fernsehens.

Das Gespräch führten Ulrich Amling und Frederik Hanssen.

Die 1966 in Rom geborene Mezzosopranistin Cecilia Bartoli wird seit über 20 Jahren auf allen Bühnen der Welt für ihre energetischen, unverwechselbaren Interpretationen gefeiert.

Auf ihrer neuen CD (Decca), die heute erscheint, widmet sie sich Maria Malibran (1808 - 1836), die wegen ihrer Leidenschaftlichkeit zum Ingeriff der romantischen Operndiva wurde. Am 17. 11. singt Cecilia Bartoli in der Philharmonie, ab 18. 9.kommt das rollende Malibran-Museum nach Berlin. Infos: www.mariamalibran.net

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