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City Tax für die Kultur: Das 40-Millionen-Spiel

Früher stand sie für Off-Bühnen im zweiten Hinterhof, heute für trendige Tempel etwa an der Spree: Die freie Szene will ab 2013 prächtig von der neuen City Tax profitieren. Nur: Freie Szene - was heißt das heute? Blick in ein sich wandelndes Berliner Biotop.

Der Tourist hat in Berlin ein Beliebtheitsproblem. Kürzlich, im Theater, trat er mal wieder als Spottfigur in Erscheinung. Genauer: als saufseliger Maulheld im Fußballtrikot, der schlechte Manieren im Gepäck hat. Das Stück hieß „Beertourist“, die Gruppe Wunderbaum führte es zum Saisonstart am neuen HAU auf. Das passt in eine Stadt, wo gern mal „Touristen fisten“ an die Wand gesprüht wird.

Alles schön und lustig, aber womöglich wird bald eine Imagekorrektur des Kurzurlaubers fällig. Schließlich bringt jeder reisende Fremde etwas mit, für das ihn künftig gerade die Künstler schätzen dürften: sein Geld. Nach dem Stand der Dinge wird Berlin für 2013 die City Tax beschließen, eine Steuer auf private Hotelübernachtungen in Höhe von fünf Prozent. Und nach dem Willen nicht weniger Kunstproduzenten in der Hauptstadt sollen die erwarteten Millioneneinnahmen zum Großteil der Kultur und mindestens zur Hälfte der freien Szene zugute kommen. Der Tourist von morgen, ein Mäzen und Avantgarde-Ermöglicher?

Stattliche 75 Prozent der Berlin-Besucher kommen wegen der Kultur. Das hat der Tourismusverband Visit Berlin ermittelt. Eine City Tax zum Wohle der Kunst – die Kay Wuschek, Sprecher des Rats für die Künste, lieber gleich Kulturförderabgabe nennen würde – erscheint da nur logisch. In Metropolen wie New York oder Paris gibt es die Bettensteuer längst, auch Köln und Weimar haben sie schon, in über 90 deutschen Städten wird über die Einführung diskutiert.

Und was geschieht dort mit dem Geld? Am Rhein etwa flossen die Einnahmen 2011 großenteils in die Renovierung von Museen und Kulturbauten, in Stadtverschönerungsmaßnahmen und Standortmarketing. Der Kreativität der Haushälter sind keine Grenzen gesetzt.

In Berlin sehen die freischaffenden Künstler ihre Chance gekommen, mit der chronischen Unterfinanzierung ihrer Arbeit aufzuräumen. Von den 375 Millionen, die die Stadt sich ihre Kultur jährlich kosten lässt, fließen derzeit 95 Prozent in die institutionelle Förderung. Also unter anderem an die Opernhäuser, Theater, Orchester und ihre Angestellten. Um den überschaubaren Rest balgt sich die Vielzahl der unabhängigen Tänzer, Performer, Bildenden Künstler und Musiker. Das kreative Prekariat.

Die Koalition der Freien Szene – ein Zusammenschluss von über 70 Institutionen, Verbänden und Einzelpersonen sämtlicher Sparten – hat jetzt ein Positionspapier in zehn Punkten aufgesetzt, das zum Sturm auf die Bescheidenheit bläst. Die Annahme: Eine City Tax spült 40 Millionen Euro in die Berliner Kassen. Davon sollen 17,65 Millionen der freien Szene zugute kommen. Die detaillierten Forderungen reichen von Honoraruntergrenzen bei senatsgeförderten Projekten bis zur Schaffung von Orten mit eigenem Produktionsetat. Ist das nun vermessen oder recht und billig? Christophe Knoch, der Sprecher der Koalition, ist jedenfalls überzeugt, dass von einer derart verwendeten City Tax „ein größerer Impuls ausgehen könnte als von der Gründung des Hauptstadtkulturfonds“. Was bekanntlich die Geburtsstunde der prosperierenden Berliner Kulturlandschaft war.

Auch Kulturmanager Jochen Sandig sieht die freie Szene in einer „fast historischen Situation“. Einen solchen Schulterschluss der künstlerischen Sparten habe es in Berlin noch nie gegeben, selten zuvor solche Aufbruchsstimmung. Sandig hat das Tacheles mitgegründet, das jüngst zu Grabe getragen wurde, er hat die Sophiensäle angeschoben und das Radialsystem aus der Taufe gehoben. Er verkörpert das gewachsene Selbstbewusstsein einer Szene, die sich professionalisiert und internationalisiert hat, die längst nicht mehr nur in Hinterhöfen haust. Immer wieder erschließt sie innovative Spielorte und will ihre Bedeutung als Wirtschaftsfaktor gewürdigt sehen – statt nur dem Image der Stadt zu dienen.

Die City Tax nennt Sandig eine „Teilgabe“. Die Kulturschaffenden, ist er überzeugt, „müssen an dem teilhaben, was sie für Berlin leisten“. Nun würde auch er nicht behaupten, dass die Massen hauptsächlich wegen der Offkultur in die Stadt strömen. Klar frequentiert der gemeine Tourist eher Friedrichstadtpalast und Theater des Westens als Ballhaus Ost und Heimathafen Neukölln, vom Appeal der Clubs zu schweigen. Aber für das viel besungene Berliner Flair, für die Ansiedlung von Kreativwirtschaft vom Musiklabel bis zur Game-Design-Schmiede spielt die Szene als Nährboden eine beachtliche Rolle. Was auch die IHK in der Studie „Creative Industries“ gewürdigt hat, die eine Umverteilung der Fördermittel zugunsten der freien Szene fordert. Zumal die großen Häuser ihren Nachwuchs nicht selten aus deren Pool rekrutieren.

Die Politik sieht das im Prinzip genauso. Beim Diskussionsabend des Rats der Künste am Dienstag im Deutschen Theater (Tsp. vom 15. 11.) herrschte fast gespenstische Einmütigkeit. Die kulturpolitischen Sprecher der Fraktionen, Sabine Bangert (Bündnis 90/Die Grünen), Wolfgang Brauer (Linke), Brigitte Lange (SPD) und Stefan Schlede (CDU), sie alle unterstützten die Forderung nach 50 Prozent aus der City Tax. Einzig Margaretha Sudhof, Staatssekretärin im Finanzressort, dämpfte das allgemeine Schulterklopfen mit dem Hinweis, dass erst mal ein Gesetzesentwurf vorgelegt werden müsse, was im ersten Quartal 2013 geschehen soll. Auch könnten die Einnahmen vielleicht nicht die veranschlagten 40 Millionen betragen – was tatsächlich sogar mehr wäre, als Paris mit seiner „Taxe de séjour“ einnimmt. Das eigentliche Problem: Konkrete Konzepte, wie die City Tax im Kultursektor zu verteilen wäre, gibt es bislang nicht. Christophe Knoch zeigte sich im Nachklang der Veranstaltung bestürzt darüber, wie wenig Initiative von den Kulturvertretern der Regierungsparteien kam. „Dabei machen wir uns dafür stark, dass ihr Haushaltstitel massiv erhöht wird!“

Kulturstaatssekretär André Schmitz lässt jedenfalls nur vage verlauten, er werbe dafür, dass mindestens 50 Prozent der City Tax der Kultur zugute kämen. Er sagt nicht: der freien Szene. Entsprechend geht unter den Künstlern die Angst um. Davor etwa, dass die schönen Millionen zum Ausgleich von Tarifsteigerungen verpulvert werden könnten. Allein die Opernstiftung wird durch die anstehenden Lohnerhöhungen rund 20 Millionen Euro mehr benötigen.

Auch Kay Wuschek warnt, man wisse ja „welche Begehrlichkeiten zusätzliches Geld heraufbeschwören kann“. Wo die Kultur auf ihr Recht pocht, werden auch die Sport- und Sozialverbände nicht hintanstehen wollen. Und Knoch erzählt, die BSR bastele schon an einer Imagekampagne, um von der Steuer zu profitieren. Schließlich muss sie den Touristen hinterherfegen. Die Begleittrommelei des Boulevards kann man sich vorstellen: saubere Straßen statt Schmuddelkunst!

Eine Steuer kann man nicht zweckbinden, die Entscheidung obliegt dem Haushaltsausschuss. Auf Transparenz ist dabei nur zu hoffen. Die Freischaffenden haben nicht selten erlebt, wie Mittel an Jurys und Gremien vorbei verteilt werden. Hier 230 000 Euro für Dieter Hallervordens Schlossparktheater, dort die gleiche Summe für die Ku’dammbühnen. Generell gilt: Wer am lautesten Lobbyarbeit betreibt, wird nicht selten dafür belohnt.

Jochen Sandig glaubt nicht, dass sich die freie Szene mit ein oder zwei Millionen abspeisen lässt. Das hätte bloß den Effekt, als würde „im Löwenkäfig die Ration gekürzt“. Die Zeit der Geduld sei jedenfalls vorbei. Sicher ist nur eins: Am Ende haben auch die Touristen was davon.

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