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Eine Szene aus dem neuen Album „Nestor Burma: Rififi in Menilmontant“.

© Verlag Schreiber & Leser

Tardi beschert Nestor Burma einen neuen Fall: Mörderische Nikoläuse und hässliche Geheimnisse

Zeichner Jacques Tardi hat den Pariser Privatdetektiv Nestor Burma von Romancier Léo Malet oft in Comicform umgesetzt. Nach 25 Jahren ist jetzt ein neues Album erschienen.

Stand:

Privatdetektiv Nestor Burma ermittelte in mehr als 30 Romanen des französischen Krimiautors Léo Malet (1906–1996), die zwischen 1943 und 1983 erschienen sind. Dabei fing Malet nicht zuletzt den Wandel des Lebens sowie des Lebensgefühls in Frankreich ein.

Nestor Burma ist Sam Spade von Dashiell Hammett und Philip Marlowe von Raymond Chandler näher als Sherlock Holmes von Arthur Conan Doyle. Zwar raucht auch Burma Pfeife und gibt gerne den Besserwisser, der am Ende jeden Fall knackt.

Allerdings ermittelt der humorvolle Zyniker und dennoch lebensfrohe Genussmensch eher wie die abgebrühten Hardboiled-Schnüffler aus den USA. Er zieht seine Schlüsse, doch gehören auch Laufarbeit, Kontakte, Glück, Zufall und Gewalt zu seiner Methode.

Burma steht zurecht auf der Liste mit den größten fiktiven Detektiven, und sein geistiger Vater Léo Malet sitzt aus gutem Grund in der Ruhmeshalle der Krimischriftsteller.

Eine Szene aus dem neuen Album „Nestor Burma: Rififi in Menilmontant“.

© Verlag Schreiber & Leser

Der 1946 geborene Comickünstler Jacques Tardi ist ebenfalls einer der ganz Großen seiner Zunft, wurde mit dem Grand Prix de la Ville d’Angoulême, dem Max-und-Moritz-Preis und dem Eisner Award ausgezeichnet.

Tardi hat einen eigensinnigen Strich und kühnen Schwung, die man nicht verwechseln kann. Hinzu kommt seine inhaltliche Breite: In seinem Schaffen finden sich historische Kriegscomics mit teils persönlichem Bezug, Krimis einschließlich Adaptionen der Romane von Jean-Patrick Manchette, Steampunk und Comics nach Werken von Jules Verne.

Und natürlich die „Nestor Burma“-Adaptionen nach Malet, die Tardi zunächst zwischen 1982 und 2000 umsetzte: „Die Brücke im Nebel“, „120, rue de la gare“, „Kein Ticket für den Tod“ und „Wie steht mir der Tod?“.

Kriegsgefangene und Killer 

„120, rue de la gare“, der erste Burma-Roman, schien und scheint wie gemacht für Jacques Tardi: Eine Geschichte, die 1941 in einem Gefangenenlager in Norddeutschland beginnt (nicht nur Malet war in einem Stalag, sondern auch Tardis Vater, was dessen Sohn in mehreren Comics verarbeitete).

Im Lager nennt ein sterbender Mithäftling Burma eine Adresse und einen Namen, die wenig später, am Bahnhof von Lyon, auch ein alter Freund des Detektivs wiederholt, bevor er vor Burmas Augen erschossen wird.

Eine weitere Szene aus „Nestor Burma: Rififi in Menilmontant“.

© Verlag Schreiber & Leser

Während Kriegsheimkehrer Burma zwischen Lyon und Paris das Rätsel zu knacken versucht und Verdächtige anhäuft, fängt Tardi mit der zusätzlichen visuellen Ebene hervorragend das Leben und die Stimmung im besetzten Frankreich ein, ohne das Szenario dadurch zu verdüstern.

In den anderen von Tardi aufbereiteten Fällen ermittelt Burma, der stets auf Sekretärin Hélène und Reporter Covet setzen kann, in der Welt eines angesagten Sängers, dessen Leben vom Rampenlicht ebenso beleuchtet wird wie vom Rotlicht. Auch Nestors eigene Vergangenheit in einer Anarchisten-Gruppe holt ihn ein und sorgt für Leichen.

Schließlich bringt ein Besuch auf dem Rummel, wo Burma einer hübschen fremden Frau folgt, dem Detektiv reichlich Ärger mit Schlägern, Mördern und der Polizei, wo man Burma kennt, jedoch nicht unbedingt schätzt, weil die Dinge mit ihm immer komplizierter werden.

Alte Sünden und eigene Krimis

Das ist der Makel manch einer Burma-Geschichte, die gerne mal einen Haken zu viel schlagen. Im 2021 erschienen Comic-Sammelband „Burma“(Übersetzung: Martin Budde, Wolfgang Bortlik, Kai Wilksen, 408 S., € 39) zeigt sich das gleich an der ersten Story. Ansonsten ist sie aber eine superbe Adaption des Auftaktromans mit dem Detektiv.

Der Comic-Krimi von 1988 hat 200 Seiten, nimmt die Hälfte der Kollektion ein und präsentiert sich gut 30 Jahre nach Entstehen als zeitloses Glanzlicht in Graustufen. Der dritte Fall dagegen, ursprünglich 1982 entstanden und Tardis erster Burma, zeigt noch einen etwas unfertigen Erzähler und Zeichner – das ermöglicht einen interessanten Blick auf Tardis künstlerische Entwicklung und rasche Vollendung.

1989 hat der Franzose mit „Blei in den Knochen“ einen weiteren Burma-Comic vorgelegt, der 2021 allerdings nicht in der Neuausgabe enthalten war, einige Jahre davor nur in der „Graphic Novel Bibliothek“ der SZ. „Blei in den Knochen“ war ein Pastiche, den Tardi ohne Buchvorlage und obendrein in Farbe realisierte.

Unterdessen erwiesen sich Tardis Bildergeschichten nach Malets Romanen als so gefragt, dass die Künstler Emmanuel Moynot und Nicolas Barral weitere gelungene Comicfassungen von Malets Burma-Büchern vorlegten und dabei Tardis Stil weitgehend nachahmten, also sowohl nach Malet als auch nach Tardi erzählten. Diese Alben liegen bei Schreiber & Leser vor, werden aktuell teils neu aufgelegt.

Das neue Album

Und nun ist gerade tatsächlich noch einmal ein neuer Burma-Comic von Tardi erschienen, ein Vierteljahrhundert nach dem letzten Band: Das Album „Rififi in Menilmontant“ (Übersetzung: Resel Rebiersch, 200 Seiten, € 29,80) setzt Ende 1957 ein: Weihnachten steht vor der Tür, Nestor Burma hat die Grippe, und eine Klientin erschießt sich im Büro des Schnüfflers.

Seine Ermittlungen führen Bazillenschleuder-Burma ins 20. Pariser Arrondissement, wo Tardi seit Langem wohnt, viele Fotoreferenzen für seine Geschichte gesammelt hat. Die stellt erneut keine Adaption eines Buches aus Malets Kanon dar, ist visuell zudem auffällig gerastert und hat ein eher großzügiges Seitenlayout.

Burma versumpft im fremden Bezirk, zieht schmauchend und weintrinkend durch die Kneipen – und stolpert eher zufällig über mörderische Nikoläuse und die hässlichen Geheimnisse eines Pharma-Konzerns.

Jacques Tardi und Nestor Burma strapazieren ihre Eigenheiten beziehungsweise Unarten als Krimi-Duo, die zugleich Teil ihres gemeinsamen Charmes sind. Tardi weiß das selbst: In einer Szene geht ein Mann über die Straße, der Burma-Schöpfer Léo Malet in jüngeren Jahren nachempfunden ist und etwas ratlos die Lesenden ansieht, eine Denkblase mit Fragezeichen über dem Kopf.

Fans von Altmeister Tardi wissen indes sehr genau, was das alles soll, und dass Burma trotz Krankheit und Kneipentour den Fall am Ende lösen wird. Dafür haben alle Beteiligten ja auch wirklich genug Erfahrung.

Redaktioneller Hinweis: Dieser Artikel ist die überarbeitete Fassung eines Artikels, der erstmals 2021 im Tagesspiegel veröffentlicht wurde. Aus aktuellen Anlass wurde er um Informationen zum neuen Tardi-Buch ergänzt.

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