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Stelldichein der Stereotypen: Covermotiv des Hergé-Comics "Tim in Amerika".

© Carlsen

Comicforschung: Wir gegen die

Der Historiker Oliver Näpel hat die Konstruktion von Fremd- und Feindbildern im Comic untersucht – mit faszinierenden Ergebnissen. Manch geschätzter Klassiker kommt da nicht gut weg.

Schwarze sind unkultivierte Nomaden oder Menschenfresser, Asiaten sind brutale Killer mit Tierfratzen. Von dieser Sorte sind die rassistischen Klischees, die sich in der westlichen Kultur über die Jahrhunderte immer wieder fanden und finden. Da macht auch der Comic keine Ausnahme - was immer wieder Konfliktstoff bietet, wie zuletzt zum Beispiel der in Belgien mit juristischen Mitteln ausgetragene Streit um die klischeehafte Darstellung von Afrikanern in dem Hergé-Album „Tim im Kongo“ belegt (mehr dazu hier).

Der Historiker Oliver Näpel hat diese Stereotypisierungen vor allem in US-amerikanischen und frankobelgischen Comics vor ein paar Jahren in seiner Doktorarabeit ausführlich untersucht, jetzt ist das monumentale Werk als Buch erschienen.

„Diese Fremden sind nicht von hier“

Es beginnt mit einer Szene aus Asterix, die diese Darstellung der „Anderen“ verdeutlicht und zugleich ironisch bricht. Methusalix, der Dorfälteste, sagt zu seiner Frau: „Ich habe nichts gegen Fremde. Einige meiner besten Freunde sind Fremde. Aber diese Fremden da sind nicht von hier.“

Anhand zahlloser Beispiele aus der Geschichte der sequentiellen Kunst beschreibt und analysiert Näpel im Verlauf von rund 800 Seiten, wie in den vergangenen gut hundert Jahren in Comics Bevölkerungsgruppen voneinander abgegrenzt und beurteilt wurden. Dies stellt er dann in einen Zusammenhang mit der Konstruktion von Geschichtsbildern im Comic -  von „Prinz Eisenherz“  über Frank Millers „300“ bis zu Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus wie „Maus“ oder dem Vietnamkrieg.

Von Fremden umzingelt: Covermotiv von "Asterix und die Goten".
Von Fremden umzingelt: Covermotiv von "Asterix und die Goten".

© Ehapa

Aus der Kombination der beiden Zugänge ergibt sich eine faszinierende, hochkomplexe und doch weitgehend auch für Nichthistoriker gut zu lesende Analayse über das so spannungsreiche Verhältnis des Mediums Comic zur Realität.

Menschenfresser bei Donald Duck, kindische Inkas Tim und Struppi

Differenziert arbeitet die Studie heraus, wie Comics als „ikonographischer Ausdruck gesellschaftlicher Stereotypisierungen“ einerseits die Einstellungen und Klischess ihrer jeweiligen Entstehungszeit spiegeln, wie sie andererseits aber auch dazu beitragen, bestimmte Urteile zu verfestigen. Dabei kommt manch bis heute hochgeschätzter Comic-Klassiker nicht gut weg. So führt Näpel akribisch auf, wie bei Hergés Tim-und-Struppi-Serie antikommunistische und rassistische Klischees wie die entsprechenden Szenen im Frühwerk „Tim im Kongo“ nicht etwa eine Jugendsünde sind, wie manche Anhänger der Reihe gerne glauben möchten.  Nein, auch in späteren Alben lassen sich derartige Darstellungen nachweisen. So kommen die  Indios im Band „Die Sieben Kristallkugeln“ als ungebildete und kindische Volksgruppe daher, die vom weißen Mann „zivilisiert“ werden müssen, wie Näpel ausführt. 

Auch in den Donald-Duck-Geschichten von Disney-Star Carl Barks lassen sich zahlreiche reaktionäre und rassistische Einstellungen wiederfinden. So werden dunkelhäutige Volksgruppen, denen Donald und seine Verwandten auf ihren exotischen Reisen begegnen, immer wieder als Menschenfresser oder unkultivierte Nomaden dargestellt – wie es in der klassischen Abenteuer- und Reiseliteratur der vergangenen Jahrhunderte eben oft üblich war. Als zeitgenössischer Leser mag man Barks‘ Darstellungen aus heutiger Sicht für Ironie halten – dafür sieht Näpel aber keinen Anlass.

Von „Little Nemo“ bis „Green Lantern“

Anhand etlicher Bildbeispiele und mit ausführlichen Exkursen durch die historische Literatur kreist der Autor die vielen Aspekte seines Themas ein. Dabei geht es dem bekennenden Comicfan nicht darum, einzelne Autoren oder Werke anzuprangern. Vielmehr will er deutlich machen, dass Comics wie jedes Kulturprodukt seit der menschlichen Frühgeschichte immer auch ein Kind ihrer Zeit sind – und als mehr oder weniger bewusste Konstruktion einer subjektiven Wirklichkeit gelesen werden müssen. Mit großer Sachkenntnis bedient er sich dabei zentraler Werke der Comicgeschichte.

Über- und Untermenschen: Eine Doppelseite aus Frank Millers "300".
Über- und Untermenschen: Eine Doppelseite aus Frank Millers "300".

© Illustration: Miller

Lediglich die Exkurse zu Werken über die  jüngste Zeitgeschichte sind enttäuschend und fallen hinter das ansonsten durchgehend hohe Niveau der Studie zurück. So beschränkt sich die auch im Untertitel des Buches angekündigte Beschäftigung mit Comics zu den aktuellen Entwicklungen um die Anschläge von 2001 auf wenige Einschätzungen, die kaum belegt werden. Näpels gewagte These, dass im US-Superhelden-Comic das Feindbild „böser Russe“ seit dem 11. September 2001 durch das Feindbild des „orientalischen Terroristen“ ersetzt wurde, wird lediglich mit einer Szene aus der kaum bedeutsamen Serie „Ms. Marvel“ illustriert, in der die Hauptfigur in Afghanistan von  Terroristen gefoltert wird. Als Beleg für eine angebliche Tendenz zu einer strukturellen Verschiebung von Feindbildern ist das zu dürftig.

Das schmälert aber nicht das  Verdienst der Studie. Wie bereits zuvor die Arbeit von René Mounajed zum Einsatz von Comics im Geschichtsunterricht erweist auch diese Untersuchung der nach wie vor in den Anfängen steckenden geisteswissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Comic einen großen Dienst.

Oliver Näpel: Das Fremde als Argument. Identität und Alterität durch Fremdbilder und Geschichtsstereotypen von der Antike bis zum Holocaust und 9/11 im Comic, Verlag Peter Lang, 836 Seiten, 115 Euro. Zur Website des Verlages mit mehr Detailinformationen zum Buch geht es hier.

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