zum Hauptinhalt
Leïla Slimani, 1981 im marokkanischen Rabat geboren, kam 1999 nach Paris. Sie absolvierte die Pariser Eliteuniversität Sciences Po und arbeitete als Journalistin. Für „Dann schlaf auch du“ gewann sie letztes Jahr den Prix Goncourt.

© Catherine Hélie, Editions Gallimard

„Dann schlaf auch du“ von Leïla Slimani: Puppe aus der Banlieue

In „Dann schlaf auch du“ zeichnet Leïla Slimani das Porträt einer tödlichen Verwahrlosung. Der Roman hat letztes Jahr den Prix Goncourt gewonnen.

Wie eine steife blonde Puppe wirkt die Frau, der die Massés ihre Kinder Mila und Adam anvertrauen wollen: Die linksliberalen Mittdreißiger, er Musikproduzent, sie Anwältin, glauben, in Louise die ideale Nanny gefunden zu haben. Für das Privatleben des kinderlieben Putzteufels interessieren sie sich nicht – ein Fehler, der sich bitter rächt. Denn die labile Frau um die fünfzig weiß ihre Macht über die Kleinen zu nutzen. Sie setzt das Vorschulkind Mila vor den Fernseher, in dem „apokalyptische Reportagen“ über die islamistischen Attentate in Paris laufen: „Mila weiß, dass sie vor ihren Eltern nicht wiederholen darf, was sie gesehen hat. Dass sie die Worte ‚Verfolgungsjagd’, ‚Terrorist’, ‚Tote’ nicht sagen darf.“ So verwandelt sich Milas Angst in Aggression gegen den kleinen Bruder Adam. Schon mit dem ersten Satz „Das Baby ist tot“ ist sein Los besiegelt. Sie selbst stirbt kurz darauf an den Misshandlungen durch Louise, die sich nach dem Doppelmord das Leben zu nehmen versucht.

Leïla Slimani hat sich für ihren Roman „Chanson douce“ als Schauplatz das zehnte Pariser Arrondissement ausgesucht, das vom Gare de L’Est und dem Gare du Nord dominiert wird. Hierher reist Louise täglich mit dem Vorortzug, aus einem tristen möblierten Appartement mit verschimmelter Dusche. Seitenlang schildert Slimani die maskenhafte Anmutung ihrer Heldin, deren altmodische Kleidung und unheimliche Marotten. Bis zur Neurose sparsam, holt Louise ein Hühnerskelett aus dem Abfall, wäscht es ab und platziert es wie ein Totem auf dem Küchentisch. Slimani, 1981 im marokkanischen Rabat geboren, kam 1999 nach Paris. Die Absolventin der Pariser Eliteuniversität Sciences Po arbeitete als Journalistin und wird seit ihrem Debüt „Dans le jardin de l’ogre“ von Tahar Ben Jelloun gefördert, für „Dann schlaf auch du“ gewann sie letztes Jahr den Prix Goncourt.

Mutter Myriam, die offenbar arabisch-nordafrikanische Wurzeln hat, aber nur Französisch spricht, möchte auf keinen Fall eine arabische Nanny, die den Kindern ihre eigene Muttersprache beibringen könnte. Als sie eine Agentur für Babysitter betritt, wird sie von der Besitzerin wegen ihrer Hautfarbe für eine Arbeitssuchende gehalten. Die Vermittlerin ist Myriam zuwider, da sich deren „Rassismus eben deutlich gezeigt hatte“. In solchen Szenen erweist sich die größte Stärke dieses nicht immer klischeefreien und zu Übertreibungen neigenden Romans: Er schert sich nicht um politische Korrektheit. In der jungen Schwarzen Fata findet Louise zunächst widerstrebend eine Freundin. Als die Massés verreisen, nistet sich Louise auf dem Sofa ein. Fata kommt heimlich zu Besuch, schenkt Wodka aus und brät ein Huhn.

Die Übersetzerin Amelie Thoma scheint allerdings stellenweise überfordert gewesen zu sein: Irritierend springt sie zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her und verfehlt manches passende Wort. Gewidmet hat Leïla Slimani dieses Protokoll einer Verwahrlosung ihrem sechsjährigen Sohn Émile.

Leïla Slimani: Dann schlaf auch du. Roman. Aus dem Französischen von Amelie Thoma. Luchterhand Literaturverlag, München 2017. 224 Seiten, 20 €.

Zur Startseite