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Kultur: Das Auge

Zum Tod des Schauspielers Michel Serrault

Er gehörte zu jenem Typ von Schauspielern, wie es ihn außerhalb Frankreichs nicht wirklich gibt. Lebemänner sind sie, Connaisseure, Genießer und mindestens eine Spur zynisch oder auch sarkastisch; Menschenfreunde wird man sie nicht nennen können. Michel Bouquet, Jean-Pierre Cassel, gelegentlich auch Philippe Noiret: man kann ihrem Charme des Bösen nicht entgehen. Michel Serrault hat ihn zur Vollendung gebracht. Unvergesslich in den „Fantomen des Hutmachers“ (nach Georges Simenon) der nur scheinbar biedere Handwerker der gehobenen Klasse, der seriöse, in Kleinstadt und Umfeld geachtete Geschäftsmann, der zum Massenmörder an älteren Frauen wird, weil er den Mord an seiner eigenen kranken Frau verheimlichen will.

Er musste nahezu 60 werden, ehe er das Gardemaß des „monstre sacré“ erreichte, des Sonderlings und Egozentrikers, Außenseiters, zwielichtig, aber kein Schurke, von der Notwendigkeit seiner Handlungen getrieben, aber kaum erkennbar krank, neurotisch. Dieser Typ ist seiner selbst sicher – bis zum bitteren Ende, das er nicht unbedingt eingeplant hat. Seine Selbstironie kokettiert mit Süffisanz. Kein Wunder, dass der im bürgerlichen Zynismus geübte Claude Chabrol ihn ebenso schätzte wie den früh gestorbenen, leicht sadistischen Jean Poiret, der lange Wegbegleiter des zu Beginn noch wenig erfolgreichen Serrault war.

1928 geboren, hatte Serrault, nicht einmal 17, Schauspielunterricht bei Bernard Blier genommen und ein Engagement bei einer Truppe gefunden, die den französischen Besatzungssoldaten in Deutschland aufspielte. Zunächst – und für viele Jahre – eher zur Komödie und zum Boulevard neigend, hatte er den ersten durchschlagenden Erfolg nach etwa 50 Filmen und mit ebenso vielen Jahren mit der Schwulenrolle des Zaza in „Ein Käfig voller Narren“, 1973 auf dem Theater (Palais Royal), dann 1978 im Kino. Ehe sich Serrault in diesem Käfig endgültig einsperren ließ (es gab über die Jahre zwei Fortsetzungen), schaffte er den Wechsel ins Charakterfach des „Schwierigen“.

„Das Verhör“ und „Das Auge“ (beide inszeniert von Claude Miller) sind Filme dieser Art von Verwandlung, in der die glatte, gepflegte, täuschend schöne Oberfläche aufgerissen wird und Abgründe sichtbar werden. Hier ist es ein angesehener Notar, dort ein Privatdetektiv, die sich tief in Widersprüche verstricken, Widersprüche nicht nur in den Aussagen vor der Polizei (in „Das Verhör“ ist das ein überragender Lino Ventura), sondern auch, was Selbstbewusstsein und Gewissheit der Identität angeht.

Es sind mehr als 130 Filme, an denen Michel Serrault mitgewirkt hat, doch hätte er auch nur ein halbes Dutzend davon gedreht, bliebe sein Ruhm unsterblich. Am Sonntag ist Serrault 79-jährig nach längerer Krankheit in seinem Haus in der Normandie gestorben. Peter W. Jansen

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