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Moskau: Das Bolschoi-Theater wird wiedereröffnet

Wo Zaren und Stalin Hof hielten: Nach sechsjähriger Renovierung öffnet das Moskauer Bolschoi-Theater am Freitag wieder seine Türen. Der Phantasie der Regisseure sind auf der neuen Bühne keine Grenzen mehr gesetzt.

Bis zuletzt glaubten die wenigsten, dass es an diesem Freitag tatsächlich zur Wiedereröffnung des Bolschoi-Theaters kommen würde. Sechs Jahre lang war das „große Theater“ , wie der Name übersetzt lautet, geschlossen. Umgerechnet 570 Millionen Euro wurden verbaut, um das nationale Kultursymbol, das auch die 100-Rubel-Scheine schmückt, in seinen alten Glanz zurückzuversetzen. Nun aber gibt es tatsächlich wieder Oper und Ballett auf Moskaus berühmtester Bühne. Der Fernsehsender Arte überträgt live, im Parkett und in den Logen werden 2000 handverlesene Gäste sitzen. Zur Gala mit Werken russischer Komponisten sollen neben den hauseigenen Solisten auch Stars wie Placido Domingo und Angela Gheorghiu die gigantische Bühne betreten, die in Länge, Breite und Tiefe jeweils 22 Meter misst.

Mit deutschem Knowhow gebaut, besteht sie aus sieben mobilen Elementen, die abgesenkt und angehoben werden können. Auch der Neigungswinkel ist verstellbar. Bewegt wird die mehrere Tonnen schwere Konstruktion mittels Hydraulik. Das stählerne Herz des Theaters schlägt tief unter der Erde, in einem schalldichten Bunker aus Beton.

Der Fantasie der Regisseure sind im neuen alten Bolschoi so gut wie keine Grenzen mehr gesetzt – theoretisch zumindest. Denn das Moskauer Publikum ist nicht gerade offen für moderne Inszenierungen. Hier schätzt man noch die traditionelle Ausstattungsoper, und die passt auch bestens zur originalgetreu wieder- hergestellten Optik des Baus. Das erste Gebäude ließ Fürst Peter Urussow 1780 im Auftrag von Zarin Katharina II. errichten. Beim Brand 1805 – Moskau sollte den anrückenden Truppen Napoleons nicht in die Hände fallen – wurde es völlig zerstört. Der 20 Jahre später von Joseph Bové errichtete Neubau im klassizistischen Stil brannte 1853 aus, mit der Wiederherstellung wurde der Italiener Alberto Camillo Cavos beauftragt. Auf ihn geht die kostbare Innenausstattung des 1856 erneut in Betrieb genommenen Theaters zurück, die jetzt so liebevoll rekonstruiert wurde.

Sogar beim Klebstoff für die Vergoldung griff man auf ein Rezept aus dem 19. Jahrhundert zurück: Wodka, der mit abgestandenem Eiweiß verquirlt wird. Dünner als ein Menschenhaar ist wiederum die darauf von Hand aufgetragene Goldschicht. Dennoch verschlang der Große Saal rund fünf Kilo davon. 300 Gramm gingen allein für die Vergoldung des acht Meter hohen Lüsters drauf, der aus 15000 Elementen aus Bergkristall besteht und erst kurz vor der Wiedereröffnung aufgehängt wurde.

Mehrere Monate dauerte allein die Restaurierung des Gobelins im Beethoven-Foyer. Stickerinnen in Frankreich hatten ihn in fünfjähriger Handarbeit für Nikolaus II. – Russlands letzten Zaren – zu dessen Thronbesteigung 1894 angefertigt. Originalgetreu wiederhergestellt wurde auch das russische Staatswappen, der Doppeladler. 1856 angebracht, war es von den Bolschewiki nach der Revolution 1917 entfernt und durch einen Vorhang mit Hammer und Sichel ersetzt worden.

Vor allem durch die Bühnenumbauten hat sich die Fläche des Theaters von ursprünglich 40 000 Quadratmetern jetzt nahezu verdoppelt. Neben der Hauptbühne gibt es ein neues Kammertheater im Untergeschoss, auch die während der Baumaßnahmen seit 2005 genutzte Ersatzspielstätte wird weiterbetrieben. Dank 2500 Betonpfeilern, die dreißig Meter tief in den morastigen Untergrund gerammt wurden, steht das Haus jetzt auch wieder auf sicheren Füßen. Die über 200 Jahre alten Holzpfähle, auf denen das Bolschoi ruhte, waren morsch und für die tonnenschwere Bühnentechnik der Moderne ohnehin nicht ausgelegt. Der Austausch gestaltete sich jedoch schwieriger als erwartet. Vor allem damit erklärte das Staatsfernsehen auch, dass sich die Bauzeit fast verdoppelt hat. Drei Jahre waren zunächst geplant. Auch die Kosten explodierten, Millionen, so heißt es, sollen in dunklen Kanälen versickert sein. Seit September 2009 ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Korruption.

Ein Prestigeprojekt bleibt es allemal: Vor allem in Sachen Klangqualität drängt das Bolschoi nun zurück an die Weltspitze. Beim Umbau wurde ein für die Akustik wichtiger Hohlraum unter dem Orchestergraben wiederhergestellt, der in den 20er Jahren mit Beton ausgegossen worden war. Auf Geheiß Stalins, der in ständiger Furcht vor Anschlägen lebte und die Aufführungen häufig aus der jetzt ebenfalls originalgetreu restaurierten Zarenloge verfolgte. Im Großen Saal feierte der Generalissimus 1948 auch seinen 70. Geburtstag.

Damals tanzte Galina Ulanowa. Sie brillierte vor allem mit der Doppelrolle der Odette/Odile in Peter Tschaikowskis „Schwanensee“, auch feierte Maja Plissezkaja später mit ihr Triumphe. Und noch später Anastassija Wolotschkowa – bis sich ihr Tanzpartner 2005 an ihr verhob. Die Wolotschkowa, zu groß und zu schwer für einen Schwan, ließ die Tür des Bolschoi mit Getöse ins Schloss fallen und macht seither als Model für Herren-Journale von sich reden: nicht der erste und nicht der letzte Skandal im Bolschoi. An ihnen arbeiten russische Medien sich inzwischen intensiver ab als an der Kunst, die auf der Bühne stattfindet.

Am Freitag, 28. Oktober, zeigt Arte die Eröffnungsgala live ab 20.15 Uhr.

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