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Kultur: Das Leben ist ein Bienenstock

Familienaufstellung: Anne Wilds „Schwestern“.

Irgendwann dösen sie alle in der Nachmittagshitze auf der Kuhweide unterm Apfelbaum. Das Picknick war ein wenig missglückt, der Kuchen versalzen, die liebe Verwandtschaft angespannt. Ist ja auch eine Zumutung, dass Kati, die Jüngste, einfach ins Kloster geht, sich der Einkleidungs-Gottesdienst um Stunden verzögert und die eigens angereiste versprengte Familie nun die Zeit totschlagen muss. Wie kann eine junge, in Freiheit aufgewachsene, emanzipierte Frau nur freiwillig Nonne werden? „Sich heutzutage auf immer und ewig festlegen, der Wahnsinn“, sagt Saskia, die große Schwester.

Ein Schweigegelübde hat Kati (Marie Leuenberger) auch noch abgelegt, und so ein Schweigen kann ganz schön beredt sein. Irgendwann, während die anderen noch auf der Wiese weilen, steht Saskia (Maria Schrader) mit Kati hinter den kühlen Klostermauern im Kreuzgang. Und dieses eine einzige Mal findet in diesem Film so etwas wie Kommunikation statt. Kati sagt nichts, Saskia redet umso mehr – und doch verständigen die beiden sich.

Überhaupt wird Katis Schweigen zunehmend zum Katalysator für Geständnisse und Bekenntnisse, für heitere und bedrohliche, existenzielle und surreale Epiphanien. „Schwestern“, eine Familienaufstellung: Regisseurin Anne Wild, die 2003 für ihr Debüt „Mein erstes Wunder“ den Saarbrücker Max-Ophüls-Preis erhielt, setzt die Entfremdung allzu unmissverständlich in Szene. Schon der Vorspann – die klassische surrende Homemovie-Rückblende – gibt das Thema vor: Opa war Imker, er erzählt vom Leben der Bienen und der Selbstbestimmung im Rahmen der Gemeinschaft. Aha, Bienenstock, Klostermauern, Familienbande!

Ständig wird geplappert an diesem chaotischen Tag, nicht nur von Saskia, sondern auch von der resoluten Mutter (Ursula Werner), von Bruder Dirk, der als bibliophiler Verleger vor der Pleite steht, und von Onkel Rolle, der scharfe Sottisen zum Geschehen beisteuert. Jeder will Aufmerksamkeit, alle reden aneinander vorbei. Das Ergebnis ist weniger die von Regisseurin Wild avisierte Symphonie der Worte als enervierende Kakophonie.

Auch die Bilder buchstabieren ihr Sujet überdeutlich aus, von den symbolisch aufgeladenen Landschaftsimpressionen bis zum Bienenkostüm der Nichte. Nur als sie alle unterm Apfelbaum dösend von ihren Tagträumen (und einer Kuhstampede) heimgesucht werden, da mag man diese Leute doch ein wenig. Christiane Peitz

Babylon Mitte, Filmkunst 66

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