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Die Schriftstellerin Nele Pollatschek.

© Martin Phox

Debütroman von Nele Pollatschek: Brodeln wie der Spinat von Iglo

Ein unschuldiger Anfang: Die Tochter protestiert gegen die Eltern, die selbst, als sie jung waren, gegen alles Mögliche protestierten. Dann wird es seltsam, befremdlich in diesem Debüt.

Vielleicht hat Nele Pollatschek mit ihrem Debütroman einem alten deutschen Sprichwort den Zeitgeist-Überwurf verpasst, der es wieder aktuell macht: „Wer nichts wird, der wirbt. Und schreibt nebenher einen Blog.“ Gemeint ist die Ex-Punkerin Astrid, deren Tochter Thene Heldin von Pollatscheks Roman „Das Unglück anderer Leute“ ist. Die 25-Jährige, geboren in Ost-Berlin, studiert in Oxford. Den Rest ihrer Zeit verbringt sie in Heidelberg, mit ihrem Freund, isst selbstgebackenen Gundel-Kuchen und fährt nachmittags in den Odenwald zum Frischluftschnappen.

Sie ist das bewusst-genaue Gegenteil ihrer Eltern, von Astrid und Georg. Astrid ist unzuverlässig, aufbrausend, barsch, weshalb Thene verzweifelt: „Ich hasse sie, ich hasse sie, ich hasse sie“. Ihr Vater ist zwar kein Ex-Punk, aber auf andere Art unspießig. Nach der Scheidung von Astrid hatte Georg sein Coming-out, er lebt jetzt mit Christoff zusammen und arbeitet als Redakteur für „akzente“.

Eine genauso prototypische wie vielversprechende Grundkonstellation. Wie die 1988 geborene Pollatschek hat auch Thene ideologische Probleme mit der Elterngeneration. Gemüsekisten sind ihr wichtiger als Prinzipien und Moral. Sie sehnt sich nach einer guten Ausbildung, einer festen Beziehung und Ausflügen ins Grüne. Die Frage, wie rebellisch der Protest gegen die Protestbewegungen von einst ist, macht die Stärke dieses Romans aus. Muss Jugendkultur immer antispießig sein? Oder ist antispießig affirmativ?

Leider ist dann doch einiges anderes seltsam an Pollatscheks Roman. Astrid stirbt und Thene kehrt zurück nach Deutschland. Es folgen die Beerdigung, Besuche bei Verwandten und viel Gefahre quer durch das Land. Und alle werden dabei, der Titel sagt es, vom Unglück verfolgt. Leider manchmal auch die Autorin, stilistisch. „An mir prallten seine Tränen ab wie Öl in einer Teflonpfanne“, heißt es einmal. Oder: „Wie Iglo-Spinat konnte ich an der Oberfläche brodeln, während mein Kern tiefgefroren blieb.“ Das steht da wirklich! Einmal proklamiert Thene in der Gegenwart ihres präpubertären Bruders die Wichtigkeit von Kurt Vonneguts 1959 veröffentlichtem philosophischen Sci-Fi-Romans „Die Sirenen des Titan“, was so weltfremd ist, dass es aus einem Roman von Vonnegut sein könnte. Man bekommt da aber auch die Ahnung, dass all der ganze Unfug vielleicht gewollt ist?

Während der Roman nämlich klar, sauber und stufenweise aufeinander aufbauend beginnt, wird er gegen Ende immer befremdlicher, die Wendungen unglaubwürdiger, die Figuren schemenhafter. Thenes Handlungen sind kaum noch nachzuvollziehen und die Nebenfiguren verschwinden auf die eine oder andere Art. Und dann sagt Thene: „Auch die unwahrscheinlichste Aneinanderreihung von Ereignissen muss irgendwann mal eintreffen.“ Wenn das die Prämisse des Romans war: Glückwunsch.

Nele Pollatschek: Das Unglück anderer Leute. Roman. Galiani Verlag, Berlin 2016. 224 Seiten, 18,99 €.

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