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Das Führer-Quartett. Völlig klar, was hier Trumpf ist. In der Ausstellung des Deutschen Historischen Museums soll jedoch kein Führerkult betrieben, sondern Hitler im Zusammenspiel mit seinen Untertanen gezeigt werden.

© Sebastian Ahlers

Hitler-Ausstellung: "Dein Wille ist unsere Tat"

Monster, Mythos, Medium: Das Deutsche Historische Museum nähert sich mit einer Ausstellung Hitler und den Deutschen. Thomas Lackmann macht einen Rundgang durch die DHM-Schau.

Er bleibt der bekannteste Deutsche – und ist doch Österreicher. Ein weißes Gesichtchen mit gelupftem Sommerhut, ein Partikel jener Volksmasse, die am 2. August 1914 auf dem Münchner Odeonsplatz Mobilmachung feiert. Er fixiert den Betrachter, auf einem Bild von 1929, mit dicker Unterlippe, ein Kämpferlein unterm SA-Käppi. Er posiert 1935, Mund gepresst, Staatsmann mit weißem Kragen. Er offenbart sich, eine Collage von 1939/40, als Totenschädel. Die Porträts wehen auf Transparenten; aufscheinende Bilder – Demos, frühe KZ-Aufnahmen, Siegesparaden, Szenen von der Ostfront, aus dem Warschauer Ghetto – unterblenden die Ikonografie der Masken. Zuletzt ist Hitler, Ende des Rundgangs, eine Skulptur aus Sperrholz und Aluminium, 42 Zentimeter groß, das augenlos aufgerissene Schnäuzermaul, Ulrich Baehrs „Deutscher Torso VI“ (1972).

Aber das Entree täuscht, wie auch die Überschrift der Ausstellung „Hitler und die Deutschen“ im Deutschen Historischen Museum Berlin. Schon mit der Untertitel-Koppelung „Verbrechen und Volksgemeinschaft“ beginnt ein Perspektiventanz. Die Ausstellungsmacher nennen es „Gegenschnitt“. Stehen Verbrechen und Volk einander gegenüber, wie der Tyrann den Untertanen? Oder suggeriert die Formel, das Phänomen Hitler sei ein Synonym für Verbrechen, dass dieses in die Nation diffundiert? Geht es um ihn, um uns? Wer aufgrund des Obertitels erwartet, dass Psychogramme, Karrierethesen, biografische Annäherungen, Erklärungsmuster aufgeblättert werden, wer auf Rezeptionswege, Halbwertzeiten für ein kriminelles Monster, einen Mythos, eine Popfigur oder ein Gespenst hofft, sieht sich eher getäuscht. Denn Hitler kommt der Ausstellung über weite Strecken abhanden, stattdessen kriegt der Besucher ein volles Pfund NS-Historie.

Eine Vorgeschichte von 1994 wirft ihre Schatten. Damals hatte das Münchner Stadtmuseum „Hoffmann & Hitler. Fotografie als Medium des Führer-Mythos“ realisiert, die Schau sollte auch ins DHM wandern. Die eindrucksvollen „The Making Of Hitler“Blicke des Leibfotografen sind in Berlin aber nie gezeigt worden; die Werbeplakate mit den Porträts hingen schon. Der damalige DHM-Direktor Christoph Stölzl begründete die Absetzung später: Obwohl die wissenschaftliche Intention von „Hoffmann & Hitler“ nicht zu bezweifeln sei, habe er seinerzeit der berechtigten Bitte des Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde und Auschwitz-Überlebenden, Jerzy Kanal, entsprochen. Man könne auf Ausstellungen verzichten, falls sie ein Ärgernis werden, „dem Fortschritt der NS-Forschung hat das nicht geschadet“. Noch 2004 soll der DHM-Beirat eine Hitler-Ausstellung abgelehnt haben.

Anno 2010 gilt es, alles recht zu machen. Zur Werbung plakatiert wird eine Totale, in der Hitlers Konterfei niemanden anspringt. Die dämonisierende Nachkriegsfixierung auf den alleinverantwortlichen Übertäter wird unbedingt vermieden. Der anderen Gefahr, dass Neonazis Souvenirfotos machen könnten, wurde vorgebeugt, indem man auf originale Hitler-Reliquien verzichtete. „Gegenschnitte“ zwischen Propaganda- und Opfer-Realität nehmen das Staunen didaktisch an die Kette. Kaum riesige Repros. Keine Überwältigung. Auf dem Panorama eines Industriemalers, den nur Monumentalität interessierte, sind Farbkleckse, die Winkel der KZ-Häftlingsgruppen, im Steinbruch Flossenbürg zu erkennen. Gegenschnitt: Rund ums Ölbild zeigen Fotos die Sklaven von nah.

Denen, die viel, und jenen, die zu wenig wissen, wird manches geboten. Oben an die Wand werden Filme und Fotos projiziert, hier wechselt Propaganda mit anderen Sequenzen. Ebenerdig Text-Foto-Tafeln: Hier unterläuft der sonst so akkuraten Schau die Gestaltungsspielerei, neben Faksimiles Abgeschriebenes in unterschiedlichen Typografien zu montieren, in Autograf-Anmutung, so dass man sie fürs Original nehmen könnte. Raum I ist Hitlers Grundschulzeit und sein Wiener Elend bis zur Produktion des Führer-Mythos gewidmet, konterkariert durch Heldenskulpturen (Friedrich II. bis Mussolini). In Raum II umkreist die Storyline seine Partei samt Führungsclique und erläutert, dass die „Erosion der politisch-sozialen Milieus“ und der „Legitimationsverlust“ der Republik zu den Wahlerfolgen führten. Im Schaufenster prunken 32 Hakenkreuz-Uniformen, von der Krankenschwester bis zur SS.

Raum III: Die Gesellschaft und Hitler. Die Doku-Tafel zeigt die ideologische Vereinnahmung aller Bereiche. Ein 1934 gewebter „Vaterunser“-Teppich aus Hessen integriert Pfarrgemeinde und SA-Kolonnen. Raum IV („Der Führerstaat“) berichtet von Konfusion zwischen Tyrannenorder und Bürokratie: vom Zerfall der Zuständigkeiten – was den Wetteifer um die Exekution des „Führerwillens“ radikalisiert. Hier hat sich die Person H. schon ins System verflüchtigt. In Raum V („Führerherrschaft/Vernichtungskrieg“) proklamiert ein Poster von 1933 die unio mystica: „Dein Wille ist unsere Tat, deine Tat ist unser Wille“. In der Vitrine: Marschallstäbe zur Befriedung der Militärs, „gegengeschnitten“ Landserfotos. Raum VI erinnert an Attentatsversuche. Die letzte Station („Hitler und kein Ende“) verblüfft mit den Retuschen „Wie könnte er aussehen?“ aus der US-Presse. Ausgrabungen der Knochenreste, finale Verbrennung 1970: per Faksimile belegt.

Soll die Ausstellung betroffen oder klüger machen? Mich rührt, zwischen Schlägervater, Mutterliebe und Dauer-Kriegsspiel, der Schulbub; mich erhebt die apokalyptische Abfackelung einer KZ-Baracke samt Führer-Transparent in Bergen-Belsen durch britische Soldaten. Andere Attacken auf die Magengrube haben mit ihm nur mittelbar zu tun: Zwangsbesichtigung von Leichen-Bergen im Mai ’45 durch Deutsche. 47 Gestapo-Fotos von der Deportation in Mainfranken. Das Stück Thora, auf dem die Geschichte des Joseph steht, den seine Brüder als Sklaven verkaufen, 1943 rückseitig bemalt mit dem gerahmten Ölportrait einer Frau, die ein Goldkreuz um den Hals trägt. Vernichtungsprofit der Volksgemeinschaft.

Der „Führer im Witz“ bleibt ausgespart. Hätten bissige Pointen den Ernst des Zugangs gefährdet? Klassiker-Clips (von Chaplin und Lubitsch) signalisieren die ironische Vermarktung der Kultfigur. Der Video-Hit „Bonker“ (2006) von Walter Moers, Hitlers Cartoon-Auftritt als Würstchen in der Wanne, setzt den Schlussakkord. Aber kaum auszumalen, was los wäre, wenn Russ Meyers „Up!“ (1976) hier auftauchen dürfte, die Art-Porno-Version vom auf Neuschwanstein überlebenden Ekelgreis H., der Sadomaso und Rassenschande treibt! Die deutsch-jüdische Herkunft des Regisseurs reichte kaum zur Absolution des Skandals. Hitler ist eben, als Negativ-Koloss, nationales Erbe. Hitlerlos wären wir langweilige Mittelmacht, ein dickeres Holland. Weniger Abgründe. Ohne die Prise Sündenstolz ist es schwierig, Deutscher zu sein. Diese Ausstellung hat es redlich probiert.

DHM, Unter den Linden 2, Bis 6. Februar, täglich 10 – 18 Uhr. Katalog 25 €

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