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Poesie des Protests: Dem Schriftsteller Antonio Skármeta zum 70.

„Ich bin ein Berliner!“ Der Chilene Antonio Skármeta könnte das mit mehr Recht von sich sagen als John F. Kennedy – nicht nur, weil er mit einer Berlinerin verheiratet ist.

Skármetas Leben und sein Werk sind eng mit der damals noch geteilten Stadt verknüpft, die dem vor Pinochets Putsch Geflohenen 1975 Asyl gewährte, mit Hilfe des DAAD. Skármeta lebte in Westberlin – und arbeitete grenzüberschreitend: Peter Lilienthals Filme, für die er die Drehbücher schrieb, „La Victoria“ und „Es herrscht Ruhe im Land“, liefen im Kino und im Fernsehen beider deutscher Staaten, und anders als die Exilchilenen in Ostberlin konnte Skármeta frei reisen.

Ich erinnere mich, ihn bei den Weltjugendfestspielen 1978 in Kuba gesehen zu haben, wo Skármeta laut zu lachen begann, als Jugendliche aus Westberlin unter der Bärenfahne ins Stadion von Havanna marschierten: Die Flaggenfrage war ein heißes Eisen, denn nach DDRAuffassung gab es (mit Berlin) drei deutsche Staaten, nicht nur zwei. Noch lauter lachte er, als ein Militärorchester die „Nationalhymne“ Westberlins intonierte: „Das ist die Berliner Luft, Luft, Luft!“ und verkündet wurde, alle ins Stadion einlaufenden Jugendlichen seien Kinder der Revolution, Kinder von Fidel.

Antonio Skármeta ist ein bekennender Linker, aber kein Extremist, weder Chefideologe noch scharfzüngiger Intellektueller, sondern ein Gemütsmensch, der unter den politischen Haarspaltereien und der Kompromisslosigkeit der 68er litt. Aus Dalmatien, von wo seine Vorfahren nach Chile auswanderten, hat er die Liebe zu Wein, Weib und Gesang, Kunst und Poesie mitgebracht. Diese Stränge bündelt er in seinem bekanntesten Buch „Mit brennender Geduld“, das von der Freundschaft eines Dorfbriefträgers mit Pablo Neruda erzählt und davon, wie der Postbote zum Dichter wird und seine Braut mit Versen bezirzt. Eine poetische Anklage gegen die Brutalität des Militärregimes, dessen Putsch der Nobelpreisträger in seinem Haus in Isla Negra erlebte, aber auch gegen linken Dogmatismus und Fanatismus, den Skármeta genauso verabscheut.

Der mit leisen Tönen arbeitende Roman wurde in 35 Sprachen übersetzt und mehrfach verfilmt, zuerst von Skármeta selbst, dann von Michael Radford unter dem Titel „Il Postino“, es gibt ihn als Hörspiel, als Theaterstück und als große Oper, die kürzlich mit Plácido Domingo in Los Angeles Premiere feierte. „Fehlt nur noch die Adaptation als Ballett“, meinte Skármeta bei der Wiedervorführung seines Films im Berliner Arsenal. Bill Clinton, als US-Präsident auf Staatsbesuch in Chile, nannte „Mit brennender Geduld“ als eines seiner Lieblingsbücher.

Das diplomatische Parkett ist Skármeta nicht fremd. Aus Chile, wo er eine beliebte Literaturshow moderierte, kehrte er 2000 als Botschafter der demokratisch gewählten Regierung nach Berlin zurück und machte aus der Botschaft ein informelles Kulturzentrum, gemeinsam mit seiner Frau Nora Preperski: In der Grunewaldvilla fanden Lesungen, Konzerte und Ausstellungen statt, seitdem sind andere Diplomaten dem Beispiel Chiles gefolgt und nutzen Kulturevents als Visitenkarten.

Am Sonntag feiert Antonio Skármeta seinen 70. Geburtstag: Nicht in Kroatien, Chile oder Spanien, das ihn mit Preisen ehrte, sondern in Berlin, der Stadt, die ihm zur Heimat geworden ist.

Von Hans Christoph Buch erschien zuletzt der Essay „Haiti – Nachruf auf einen gescheiterten Staat“ (Wagenbach).

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