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Klabautermann. Grönemeyers neue Songs entstanden in Stockholm, in einem Studio an den Schären.

© Anton Corbijn

Neues Album "Schiffsverkehr": Grönemeyer auf dem falschen Dampfer

Mit seinem heute erscheinenden Album „Schiffsverkehr“ scheut Herbert Grönemeyer jedes Risiko und kehrt zum Deutschrock zurück. Die Texte sind teils schmerzhaft platt. Es bleibt: Ein begnadeter Entertainer.

Die Zukunft der deutschsprachigen Popmusik liegt auf dem Wasser. Herbert Grönemeyer wurde in Göttingen geboren und wuchs in Bochum auf, einer „typischen maritimen Stadt“, wie er witzelt. Immerhin besitzt er einen Hochseeschein, die Lizenz zum Steuern einer Jacht. Seit seiner Kindheit ist er immer wieder im Urlaub nach Holland gefahren, wo die Familie einen Bungalow am Strand besitzt. „Das fand ich unheimlich schön, wie das Meer so weglief und zurückkam. Ich wusste: Da passiert etwas.“ Mit einiger Konsequenz hat der Sänger deshalb sein dreizehntes Studioalbum, das am Freitag erscheint, „Schiffsverkehr“ getauft. Entstanden sind die Songs in Stockholm im Studio des Abba-Pianisten Benny Andersson, wobei viele Shrimps gegessen worden seien, „auf und unter Mayonnaise“. Es war Mittsommer, in den Schären vor Stockholm kreuzten hunderte Segelboote. Schiffe, sagt Grönemeyer, 54, sind für ihn „ein Symbol von Freiheit und Aufbruch“.

„Willkommen an Deck“, begrüßt ein livrierter Kellner die Gäste auf der „M.S. Mark Brandenburg“. An Bord sind 200 Journalisten und Fans, eingeladen zu einer sogenannten „Listening Session“ des Grönemeyer-Werks. Der Ausflugsdampfer legt an der Stralauer Allee in Berlin-Friedrichshain ab, als er die Oberbaumbrücke passiert, schnarren die Rockgitarren, rumpelt das Schlagzeug aus der Singleauskopplung „Schiffsverkehr“, und Grönemeyer deklamiert mit wuchtiger Stimme kryptische Zeilen: „Werde, wer ich bin / Gute Fahrt / Die Dämonen sind versenkt.“ Das zweite Stück „Kreuz meinen Weg“ beginnt mit fies fiependen Elektrogeräuschen und schwingt sich zur mit viel Hall unterlegten Rock ’n’ Roll-Oper auf. Die Metaphorik bleibt wässrig und verwaschen, von einer „Kaperfahrt“ ist die Rede und von der Bereitschaft, „Sinnloses anzupeilen“.

An der Mühlendamm-Schleuse muss die M.S. Mark Brandenburg kurz warten, bis die Durchfahrt frei ist. Passenderweise erreicht die Zuhör-Session gerade den Balladenblock des Albums. Die Liebeshymne „Unfassbarer Grund“ setzt ganz auf getragene Pianoakkorde und Grönemeyers aufgerauten Singsang, dann kommt ein Glockenspiel und das Säuseln einer Frauenstimme im Background dazu. „Deine Zeit“ handelt von der Demenzerkrankung von Grönemeyers Mutter, eine Beschwörung mit Spieluhrenmelodie und Geigenschmalz. „Sprichst du vom selben Glück / Du sehnst dich weit zurück“, konstatiert der Sohn, dem die geliebte Mutter abhandenkommt. Und „Erzähl mir von morgen“ ist tatsächlich großes Kino, die Titelmelodie zu Grönemeyers Soundtrack für den Hollywoodthriller „The American“, ein mit Westernmotiven spielendes Orchesterwerk im Geiste Ennio Morricones, versehen mit einer menetekelnden Botschaft: „Denn die Hölle ein Ort ohne Liebe / Und so unendlich still.“

Die Türme von Nikolaikirche und Rotem Rathaus ziehen vorbei, die Friedrichstraße wird erreicht zum Klavier-Arpeggio der zerknirschten Selbstbeschreibung „Wäre ich einfach nur feige“. Der erste Eindruck von „Schiffsverkehr“: ganz schön heftig, es gibt Gitarrenlärm auf dieser Platte, wie man ihn von Grönemeyer noch nicht kannte. Und, zweiter Eindruck: kein Mut zum Risiko. Früher versuchte Grönemeyer, Schritt zu halten mit dem Zeitgeist, und modifizierte seinen Sound. Bei seiner CD „Bleibt alles anders“ (1998) experimentierte er mit House-Rhythmen und Breakbeat-Gewittern, auch bei „Mensch“ (2002), mit über drei Millionen verkauften Tonträgern das erfolgreichste Album der deutschen Musikgeschichte, war sein Interesse für elektronische Klänge zu spüren. Grönemeyer bringt auf seinem Label Grönland spannende Platten heraus, er engagierte sich für die Krautrockpionierband Neu! und schwärmt aktuell für Antony & The Johnsons und den Post-Dubstepper James Blake. Zu hören ist davon auf „Schiffsverkehr“: nichts.

Als „druckvoll“ und „kompakt“ beschreibt der Sänger die elf – mit dem im Abspann verborgenen „November“ sind es sogar zwölf – Titel seines Albums. Vorher habe er sich mit Trauer beschäftigt, „Schiffsverkehr“ markiere einen Neubeginn. Es ist die Rückkehr auf das musikalische Terrain der achtziger Jahre, die Wiederankunft des Deutschrock. Unpräzise war Grönemeyer in seinen Texten schon immer, in lyrischen Allgemeinplätzen beschwört er gerne ein diffuses „du“ oder „wir“. Doch Reime wie „Monotonie / Ist wie ein Schuss ins Knie“ oder „Ohne Regel kein Verkehr / Es kommt ein Licht von irgendwoher“ sind geradezu schmerzhaft platt. S.O.S.

Der Ausflugsdampfer legt am Haus der Kulturen der Welt an, Ende der Spreefahrt. Hier wartet der Star, es stehen an: Live-Performance, „Fotocall“ und Pressekonferenz. „Ich schreib’ unheimlich gern Musik“, sagt Grönemeyer. „Das mache ich wie Zähne putzen oder Tee trinken.“ So ist es ein intimes Ereignis, dem Künstler dabei zuschauen zu können, wie er an einem Flügel einige Stücke von der neuen Platte vorträgt. Er spielt vom Blatt, kauert sich über die Tasten, lässt ein paar Akkorde endlos rollen. Zwischendurch berichtet er von der „Ehrfurcht“, die er im Londoner Abbey-Road-Studio (wo die Streicher aufgenommen wurden) und im New Yorker Ladyland-Studio (wo die Platte abgemischt wurde) empfunden habe. Sein Auftritt ist ein Fall von abwesender Anwesenheit. Die Performance, die live ins Internet gestreamt und von einigen Radiostationen übertragen wird, findet im abgesperrten Konzertsaal statt, die Journalisten sitzen nebenan vor einer Leinwand.

Bei der Pressekonferenz hockt Grönemeyer dann leibhaftig auf dem Podium. Er präsentiert sich schlagfertig, gut gelaunt und vor allem nahbar. Für die live zugeschalteten Radiohörer, die einige Fragen stellen dürfen, ist er einfach „Herbert“, das Idol von nebenan, und freundlich duzt er zurück: „Hallo, Julia“. Grönemeyer plaudert über Lampenfieber und Glücksgefühle bei Konzert-Zugaben, denkt, wie erwünscht, über Erfindungen nach, die der Welt noch fehlen („ein selbst textendes Computerprogramm“) und bekennt, unbedingt einmal als Rapper in kurzen Hosen auftreten zu wollen: „Meine Beine haben große Qualität.“ Mit seiner Band arbeitet er nun schon seit dreißig Jahren, das letzte Konzert ist für Juli 2045 in der Kurmuschel von Travemünde geplant.

Aber im Dampfplauderer lauert auch ein Widerborst. Auf den Einwurf eines Reporters, er sei altersmild und unpolitisch geworden, reagiert Grönemeyer mit empörter Abwehr und verweist auf „Auf dem Feld“, seinen Song zum Afghanistan-Krieg, wo es heißt: „Es geht nicht ums Gewinnen / Nur um einen schalen Sieg“. Aufregen kann er sich auch über die Politiker. Seine Meinung zu Merkel und dem Atom-Moratorium? „Volksverdummung. Das Wort versteht keiner. Man hört drei Sätze und stellt den Fernseher aus.“ Empört verwandelt sich der Musiker in einen Stegreif-Leitartikler. „Tanzt das Goldene Kalb“, fordert er auf der Platte.

Wie das aussieht? Grönemeyer erhebt sich und führt einen unbeholfenen, aber mitreißenden Stepptanz vor. Er ist ein begnadeter Entertainer.

Die „Schiffsverkehr“-Tour beginnt am 31. Mai in Rostock und führt Grönemeyer am 5. Juni ins Berliner Olympiastadion.

Tickets Tagesspiegel TicketHotline: (030) 29021 - 521 von Mo. - Fr. von 7:30 - 20:00 Uhr

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