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Kultur: Der jüdische US-Präsident

Peter Beinarts Buch über die Beziehung der amerikanischen Juden zu Israel basiert auf einer einseitigen Darstellung des Nahostkonflikts.

Dieses Buch ist ärgerlich. Der Autor versucht seinen Lesern ständig seine eigenen Meinungen einzuhämmern. Er bietet so gut wie keine Fakten, die seinen Thesen widersprechen. Von Abwägen keine Spur. Eine solide Analyse, die gerade bei einem so gefühlsgeladenen Doppelthema wie Israel und US-Juden vonnöten wäre, ist es nicht.

Ungefragt, gleich zu Beginn, verrät uns Peter Beinart, dass er Jude sei. Hebt oder senkt die jeweilige Herkunft eines Autors die Qualität seines Werks? Beinart nennt sich (fern von Zion lebend) schon im ersten Absatz „Zionist“. Er ist ein von Zion (= Israel) enttäuschter, erboster Zionist: „Es tut mir weh, das schreiben zu müssen“, bilanziert er. „Wenn ich einen Juden – irgendeinen Juden – sehe, fühle ich mich ihm verbunden.“

Beinart ist also eine koschere Kanone, die „Sippenhaft“(ung) mit positiven Vorzeichen betreibt. Als Jude hat er eine Botschaft an alle: „Wir entstanden als Volk, um eine bestimmte Mission in der Welt zu erfüllen.“ Er meint Monotheismus und Universalismus, unterdrückt jedoch das lange innerjüdische Ringen um den Eingottglauben und den ethnisch-religiösen Partikularismus im Judentum. Nur dieses Mini-Beispiel verdeutliche das Rumpf- und Schrumpfbild des Autors vom religiösen, kulturellen oder historischen Judentum an sich. Jüdisch ist, was ihm gefällt. Nebenbei: Auch ich ziehe das universalistische dem partikularistischen Judentum vor. Ich teile seine Wertvorstellungen. Aber dürfen wir sie anderen eintrichtern?

„Die Krise in Israel“ schildert Beinart im ersten Kapitel durchaus zutreffend: den Vormarsch der Nationalisten und religiösen Fundamentalisten, der nicht zuletzt demografisch bedingt ist. Religiöse Juden bekommen deutlich mehr Kinder als nichtreligiöse. Zu Recht beklagt er die politisch fundamentalistische Offensive der Religiösen in Israel. Doch wäre zu bedenken, dass ohne religiöses Judentum ein jüdischer Staat seine Legitimationsgrundlage selbst bezweifelte.

Religion und Politik in Israel, Innen- und Außenpolitik – das ist Israelkunde und gehört nicht zum Buchthema. Das möchte ich woanders lesen, aber dann gründlich, sachlich, fachlich, ohne Schaum vor dem Mund des Autors. Womit wir, bereits im ersten Kapitel, beim entscheidenden Konstruktionsfehler des Buches wären: Es ist die meist einseitige Darstellung der jüngeren Nahostentwicklungen, ergänzt um US-Jüdisches.

Ja, die amerikanischen Juden haben, Kapitel zwei, weitgehend keine jüdische Identität mehr. Ja, sie sind, wie die meisten Juden der Welt, natürlich auch die in Israel, Holocaust-zentriert. Sie betrachten Israel, auch wenn sie dort nicht leben (möchten), als „Rettungsanker“ für den „Fall der Fälle“. Und solche gab es in der jüdischen Geschichte zuhauf. Erleben wir tatsächlich das Ende dieser (Verfolgungs-)Geschichte? Kann man da so sicher wie Beinart sein? Gerade angesichts der neuesten Statistik, die im Jahre 2012 weltweit einen Anstieg klar antisemitischer Übergriffe (nicht Meinungen oder Artikel) um 30 Prozent feststellt? Die wenigsten amerikanischen Juden sind noch religiös. Holocaust-Zentrismus plus Israel, Israelismus, sei ihre weltliche Ersatzreligion. Die These ist nicht neu.

Ja, Beinart hat recht: Rund die Hälfte der amerikanischen Juden ist am Judentum kaum interessiert, organisiert und engagiert sich nicht. Immer weniger tun das, und Jüngere noch seltener. Wobei Beinart von den Jungen spricht. Doch die gibt es nicht, denn die religiösen amerikanischen Juden haben mehr Kinder als die nichtreligiösen.

Beinart hat auch recht, wenn er schreibt, dass Israelismus fernab von Israel auf Dauer absurd ist. Doch worin unterscheidet sich dieser vom Autor kritisierte Israelismus von seinem eigenen „Zionismus“ ohne Zion?

Die nicht demokratisch gewählte Honoratiorenführung der amerikanischen Juden drifte nach rechts, zu den Republikanern. Die jüdische Basis, vor allem die Jugend, wähle die Demokraten. Übersehen hat er allerdings diese Tatsache: 2012 haben „die“ Juden zwar zu rund 70 Prozent Barack Obama bevorzugt, immerhin 30 Prozent aber den Republikaner Mitt Romney. Nur 1972 (Nixon) sowie 1980 und 1984 (Reagan) stimmten noch mehr Juden für einen Republikaner-Kandidaten.

Womit wir bei einem anderen Schwachpunkt wären: „Die“ Juden, „die“ Israelis, „diediedie“ – Verallgemeinerungen aus der Feder eines Professors für Politikwissenschaft. Wissenschaft muss differenzieren, darf nicht generalisieren. Sonst gleitet sie auf den Stammtisch.

„Sollten die amerikanischen Juden Israel kritisieren?“ Diese rhetorische Frage stellt Kapitel drei. Man kennt auch ohne Lektüre die Antwort, zumal sie demokratische Selbstverständlichkeit ist: ja.

Am Nahostdilemma ist – natürlich – die „Besatzung Israels“ schuld. Beinart meint übrigens die Besatzung durch Israel. Anders als die Israel-Lobby behaupte, sei Obama fast so etwas wie „Der jüdische US-Präsident“ (Kapitel 5), der auf den „monistischen Ministerpräsidenten“ Benjamin Netanjahu trifft (Kapitel 6), was zum „Zusammenstoß“ führte (Kapitel 7) und der zur „Demütigung“ Obamas (Kapitel 8). Ja, die Schein-Maus besiegte den Schein-Elefanten, der von der US-jüdischen Führung gestützte Netanjahu besiegt den von einigen (im Sinne Beinarts vernünftigen) Basis-Juden beratenen Obama. „Die Zukunft“ (Kapitel 9) kann nur düster sein, wenn man sich nicht den Denkmustern des Autors anpasst: die Zweistaatenlösung in Nahost und eine identifikatorische Entkoppelung zwischen den amerikanischen Juden und Israel. Diese Doppelthese kann nicht vorausgesetzt werden. Sie kann nur Schlussfolgerung sein. Aber kann sie das überhaupt sein? Michael Wolffsohn



– Peter Beinart:
Die amerikanischen Juden und Israel. Was falsch läuft. Aus dem Englischen von Stephan Gebauer. C. H. Beck, München 2012. 320 Seiten, 24,95 Euro.

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