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Handgetrieben. Jakob Damms bei der Arbeit.

© Christiane Damms

Wohnzimmerkino Central Rixdorf: Der Kurbel-König

Pioniertaten und Privatschätze: Jakob Damms zeigt in seinem Mini-Kino Central Rixdorf Filme, die die Besucher mitbringen.

Im Kinosaal spielt der Klavierstimmer eine auf Stunden ausgedehnte chromatische Tonleiter, nebenan im Büro von Jakob Damms ticken vier Wanduhren synkopisch gegeneinander an. Unter ihnen steht: „Broadway, New York“, „Teatro Alla Scala, Milano“, „Bolschoi Theater, Moskau“ und „Central Rixdorf“. Keine Frage, hier hält jemand Kultur und Tradition hoch – mit Muskelkraft und viel Enthusiasmus. In seinem Wohnzimmerkino Central Rixdorf führt Damms Filme so vor, wie man es in der Pionierzeit des Films getan hat: ohne Ton, mit Klavierbegleitung, gelegentlich sogar über einen handbetriebenen Projektor.

Jakob Damms’ Liebe zum Film ist unerschöpflich. Sie schließt das Material, die Vorführbedingungen und das Seherlebnis ein. Sein Faible für den Stummfilm ist der radikale Ausdruck dieser Liebe. Auch sein erstes eigenes Werk, eine Kurt- Schwitters-Adaption, die er Ende der achtziger Jahre auf Super 8 drehte, ist stumm. Nach der Wende arbeitete Damms bei den Ku’damm-Kinos, wo damals die Retrospektive der Berlinale angesiedelt war. In den Neunzigern lag ihr Schwerpunkt auf dem Stummfilm: Erich von Stroheim, Buster Keaton und G. W. Pabst. Damms wird Teil des Teams, das seitdem für Stummfilme auf der Berlinale zuständig ist.

Was ihm vorschwebt, ist „sehr volksnahes Kino“

Doch damit ist er nicht ausgelastet und die Vorführungen der Retrospektive entsprechen nicht ganz seiner Vorstellung, wie ein Stummfilmerlebnis gestaltet sein sollte. „Meine Erfahrung ist, dass man Stummfilme nicht im blauen Samtsessel mit Popcorn und Coca-Cola rezipieren kann“, sagt Damms. Was ihm vorschwebt, ist „sehr volksnahes Kino“, das der Seherfahrung aus der Pionierzeit des Films nahekommt. Dabei ist Damms kein Purist, dem es auf historisch korrekte Rekonstruktion ankommt. Die Stummfilmraritäten, die er im Central Rixdorf vorführt, lässt er auch mal von Beatboxern und DJs begleiten, „mit allem, was möglich und attraktiv ist.“

Im Januar lief die „Bull Arizona“- Reihe, zwei in Heidelberg gedrehte Western aus den frühen zwanziger Jahren. So alt wie die Filme ist auch die Vorführtechnik, Damms Hauptprojektor ist handbetrieben, „da sollen, dürfen und müssen die Leute mitkurbeln, denn ich kann das höchstens 15 Minuten“. Seine Veranstaltungen haben kaum etwas mit einem gewöhnlichen Kinobesuch zu tun. Sie gleichen eher einem Live-Erlebnis, wo jederzeit etwas Unerwartetes passieren kann. „Die Leute kriegen hautnah mit, wie der Film reißt, wie der Projektor in die Knie geht und wiederhergestellt wird“, so Damms, „und sie sehen, welch Wunder es immer noch ist und schon vor hundert Jahren war, wenn Bilder sich bewegen.“

Dabei ist jeder eingeladen, Super 8-Filme mitzubringen

Dieser unberechenbare Charakter steht im Mittelpunkt von Damms’ neuester Reihe. Angelehnt an das Open-Stage-Konzept offener Jam Sessions oder Spoken-Word-Performances rief Damms zu Jahresbeginn die Open-Screen-Reihe ins Leben. Dabei ist jeder eingeladen, Super 8-Filme mitzubringen, die vorgeführt und spontan auf dem Klavier begleitet werden. Das Super-8-Format war als Vorläufer der Videotechnik bis zum Ende der Achtziger äußerst populär, weshalb Damms glaubt, dass bei vielen Leuten noch alte Filme auf dem Speicher liegen, ihnen aber Technik und Kompetenz fehlen, die Filme zu projizieren. Was an einem Open-Screen-Abend gezeigt wird, wissen also noch nicht einmal unbedingt diejenigen, die die Filme mitbringen. Konsequenterweise verlangt Damms keinen Eintritt, schließlich weiß niemand, was einen erwartet. Beim Verlassen kann dann jeder Besucher zahlen, was ihm der Abend wert war.

Ein Budget für Werbung gibt es nicht, auch wegen der flexiblen Preisregelung. Wenn bei einer Veranstaltung nach Miet- und Getränkeausgaben noch etwas für den Pianisten übrigbleibt, dann war es ein gelungener Abend. Zur Not sind sich Pianist Georg von Weihersberg und Jakob Damms auch selbst genug: „Wir sind glücklich, wenn wir zu zweit sind und ein Glas Wein zusammen trinken. Und wenn wir Lust haben, legen wir einen der Super-8-Filme ein, die wir im Haus haben.“

Der Eintritt ist frei - nach der Vorstellung zahlt jeder, was er will

Beim ersten Open-Screen-Abend im Januar kommt ein Gast, beim zweiten am vergangenen Samstag sind es schon sieben. Einer davon ist der Vater von Jakob Damms, er zeigt einen Film über die Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR, mit dem er sich 1958 an der Filmhochschule Babelsberg bewarb. Es ist die öffentliche Uraufführung von „Menschen hinter’m Pflug“, des Debütfilms von Siegfried Kühn, der nach seinem Filmstudium bei Kurt Maetzig rund ein Dutzend Spielfilme für die DEFA drehte und dabei mit Schauspielern wie Katharina Thalbach, Katrin Saß, Corinna Harfouch und Michael Gwisdek arbeitete. „Kriegst du’s nicht schärfer?“ flüstert er seinem Sohn am Projektor zu, und wendet sich dann belustigt kommentierend ans Publikum: „Raffinierte Aufnahme, guckt mal!“

Ein passendes Kontrastprogramm bildet der Film einer Besucherin. In familiären Aufnahmen aus Frankfurt am Main im Jahre 1971 tritt sie als dreijähriges Mädchen auf, das offensichtlich eine antiautoritäre Erziehung genießt und ungestört mit Nasentropfen, Babypuder und Penaten-Creme spielt. Manche Leute mögen fremde Familienfilme für langweilig halten, für Jakob Damms sind es faszinierende Zeitreisen. „Man taucht ein in diese seltsamen Farben und die merkwürdige Mode und Technik der Zeit“, sagt er. „Es ist so harmlos und spannend zugleich. Und wenn das dann live am Klavier begleitet wird, ist es schon ein Erlebnis.“ Das Publikum, das gebannt auf die Leinwand schaut, gibt ihm recht.

Central Rixdorf, Böhmische Str. 46. Am 19. März, 20 Uhr, läuft „Asphalt“ (1929), Klavier: Georg von Weihersberg; am 26. März, 20 Uhr: 3. Open Screen. Mehr Infos: www.central-rixdorf.de

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