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Kultur: Der Mann mit der Katzenmaske Zum Tod des Cineasten Chris Marker

In der 2002 erschienenen Ausgabe seines „Biographical Dictionary of Film“ hat David Thomson eine Korrektur vorgenommen. Der Experimentalfilmer Chris Marker sei nicht, wie in den früheren Ausgaben zu lesen, in Frankreich im Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine zur Welt gekommen, sondern in Ulan Bator, der Hauptstadt der Mongolei.

In der 2002 erschienenen Ausgabe seines „Biographical Dictionary of Film“ hat David Thomson eine Korrektur vorgenommen. Der Experimentalfilmer Chris Marker sei nicht, wie in den früheren Ausgaben zu lesen, in Frankreich im Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine zur Welt gekommen, sondern in Ulan Bator, der Hauptstadt der Mongolei. Und wie kam Thomson an diese Information? Marker selbst hat es ihm erzählt. Bewiesen ist dadurch gar nichts. Marker hat die Presse gern an der Nase herumgeführt, ihr Informationen verweigert oder falsche Auskünfte geliefert. Zu stimmen scheint, dass er in der Resistance aktiv gewesen ist. Vielleicht rührt aus dieser Zeit die Angst, zu viel von sich preiszugeben. Ziemlich genau an seinem 91. Geburtstag ist er jetzt gestorben.

Mit richtigem Namen hieß er, sofern man irgendeiner Angabe zu Chris Marker trauen kann, Christian François Bouche-Villeneuve, und zu seinem Künstlernamen hat ihn ein Textmarker inspiriert. Er hat bei Jean-Paul Sartre studiert, einen Roman und einen Gedichtband veröffentlicht, bevor er sich dem Medium Film zuwandte. Er reiste viel, nicht zum Vergnügen oder um sich zu erholen, sondern als undogmatischer Marxist, der die gesellschaftlichen Verhältnisse in Japan („Sans soleil“, 1982), der aufgelösten Sowjetunion („Le dernier Bolshevik“, 1993), Israel, Kuba, Chile oder Vietnam studiert. Mit seinem Freund Alain Resnais drehte Marker 1953 „Les statues meurent aussi“ (etwa: Auch Statuen sterben), einen Film über den Kunstraub der Europäer in Afrika.

Seinen Platz in der Filmgeschichte verdankt Merker einem 29-minütigen Kurzfilm, der eigentlich gar kein Film, nicht einmal ein Filmessay, sondern streng genommen eine Abfolge von Standfotos ist: „La jetée“ („Am Rande des Rollfelds“, 1962) spielt nach dem Ende eines Dritten Weltkriegs. Die Erde ist total verseucht; ein paar Überlebende in Paris suchen nach einem Ausweg und wählen einen Mann, der über ein exzellentes Gedächtnis verfügt, als Anführer. Der Protagonist ist Opfer wissenschaftlicher Experimente, die ihn sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft blicken lassen. Die unkonventionelle Bearbeitung eines konventionellen Themas brachte Marker den renommierten Prix Jean Vigo ein. Für die US-Kritikerin Pauline Kael war „La jetée“ trotz seiner selbst auferlegten formalen Beschränkungen der größte Science-Fiction-Film aller Zeiten. Er diente Terry Gilliam als Vorlage für sein post-apokalyptisches Epos „Twelve Monkeys“ (1995) mit Bruce Willis und Brad Pitt. „Marker war stets bereit, aus seiner Kunst ein Ringen und aus seiner Arbeit einen Kampf zu machen“, würdigte ihn nun Staatspräsident François Hollande. Dies gelte auch für seine ständige Suche nach neuen Formen und Techniken.

Merker ist für befreundete Regisseure wie Wim Wenders und Agnes Varda vor die Kamera getreten, aber geheimnisvoll wie immer, mit einer Katzenmaske. Und er soll an der Erfindung des Internets beteiligt gewesen sein. Zuzutrauen wäre es ihm. Auf jeden Fall hat er bei „Sans soleil“ mit digitaler Technik experimentiert. Marker war ein Multimedia-Künstler, noch bevor es diesen Begriff gab. Nur ein winziger Bruchteil seines Werks ist überhaupt zugänglich. Da ist viel nachzuholen. Frank Noack

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