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Der Büchertisch auf der Leipziger Buchmesse im Jahr 2013.

© dpa

Deutsche Verlage und junge Autoren: Grenzen sind von gestern

Tempo, Ullstein und Hanser: Das deutsche Verlagswesen versucht, sich einen neuen Anstrich zu geben - mit unkonventionellen Geschichten und jungen Autoren.

Es war im Oktober 1993, als sich Maxim Biller in seiner „Tempo“-Kolumne „100 Zeilen Hass“ den Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld vorknöpfte und ihn als „größten deutschen Literaturvernichter der Gegenwart“ geißelte: „Wie ein Doktor Frankenstein der Prosa kreiert er ein Schriftsteller-Monster nach dem anderen in seinem Suhrkamp-Labor, erschafft Dichter, (...) die keine Geschichten kennen und deshalb am liebsten darüber schreiben, wie sie schreiben.“

Nachlesen lässt sich diese Unseld-Beschimpfung in Billers „Tempo“-Kolumnenbuch „100 Zeilen Hass“, das der Hamburger Verlag Hoffmann und Campe in seinem neu gegründeten, mit Namen und Profil an das Achtzigerjahre-Lifestyle-Magazin „Tempo“ erinnernden Verlag abermals veröffentlicht hat (es erschien schon einmal unter dem Titel „Die Tempojahre“). Acht Bücher kommen dieser Tage im Tempo Verlag heraus, „neue, unkonventionelle literarische Stimmen aus Deutschland und der Welt“, Romane und Sachbücher, „die sich etwas trauen“, schwebt es dem Verleger von Hoffmann und Campe Daniel Kampa vor. So wie das Buch des mutigen Maxim Billers, der nun nicht mehr ganz so neu und unkonventionell ist, wie Neues von Gerhard Henschel, der ebenfalls nicht so ganz neu und jugendlich ist, aber auch Bücher, um der Gerechtigkeit und Kampa Genüge zu tun, von tatsächlich jüngeren Autorinnen wie Kat Kaufmann oder Lina Wolff.

Mit den Fatma Aydemirs dieser Welt in die Zukunft schauen

Und um noch gerechter zu werden: Vernichtet wird im deutschen Verlagswesen gerade weniger, sondern lieber Neues, womöglich wirklich Unkonventionelles gegründet, auf dass Geschichten erzählt werden mögen, Geschichten von jungen Autoren und Autorinnen, auf dass alle jungen, aber auch älteren Leser Entdeckungen machen können und sich freuen mögen. Außer natürlich, da hat sich kaum was geändert: Maxim Biller, der findet nach wie vor, dass in Deutschland niemand Geschichten erzählen kann.

Nicht nur Hoffmann und Campe will sich einen anderen, frischeren Anstrich geben. Auch beim Ullstein Verlag in Berlin hat man Ähnliches vor: Ullstein fünf heißt hier das neue Label, das dieses Frühjahr Bücher von deutschsprachigen Autoren veröffentlicht, „die klassisch gut erzählen, vertraute Lebenswelten erschließen, uns aber auch in Teile unserer Welt führen über die wir wenig wissen.“ Wie bei Tempo sollen sich bei Ullstein fünf die Grenzen zwischen den Genres verwischen, wenn gleich die ersten vier Bücher als Romane etikettiert sind. Auffallender ist die Jugendlichkeit, drei der Autorinnen und Autoren, Niah Finnik, Felix Lobrecht und Svenja Gräfen, sind noch keine dreißig Jahre alt.

Ob Tempo und Ullstein Fünf erfolgreich sein werden? Der Aufbau Verlag hatte mit seinem gleichfalls grenzverwischenden, 2013 gegründeten Pop- und Subkultur- und Jugendlabel Metrolit nur zweieinhalb Jahre Geduld und stellte es wegen Erfolglosigkeit ein. Andererseits hat man bei Aufbau weiterhin den Blumenbar Verlag, wo zuletzt – nun ja – ein Roman von Tom Kummer erschien (file under: gute, alte „Tempo“-Zeit). Im Herbst aber kommt hier der Debütroman des Botho-Strauß-Sohnes Simon heraus, und überhaupt probiert Verlagsleiter Gunnar Cynybulk mehr aus als zuletzt seine Vorgänger mit Romanen von Ronja von Rönne, Olga Grjasnowa oder Philipp Winkler. Ähnlich verhält sich das bei Hanser, wo sich aus welchen Gründen auch immer sehr etablierte Autoren wie Botho Strauß oder Martin Mosebach oder Thomas Glavinic verabschiedet haben, dafür aber mit den Fatma Aydemirs dieser Welt in die Zukunft geschaut wird.

Auch beim Piper Verlag in München tut sich unter der neuen Verlegerin Felicitas von Lovenberg einiges. Dass der Bestsellerautor Jan Weiler demnächst hier veröffentlicht, unter anderem ein drittes „Pubertier“-Buch, mag ein typischer Piper-Aufschlag sein – aber der Wechsel des eigentlich ewigen KiWi-Lektors- und Programmleiters Olaf Petersenn zu Piper deutet in andere Richtungen. Da dürften demnächst mit und wegen Petersenn noch ganz andere deutschsprachige Autoren und Autorinnen bei Piper unterschreiben.

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