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Himmlischer Bräutigam. Anna-Maria (Maria Hofstätter) geißelt sich täglich.

© Neue Visionen

Kultur: Die Büßerin

Porträt einer Missionarin, einer Märtyrerin, einer erzkatholischen Wienerin: „Paradies: Glaube“ hat dem dem österreichischen Filmemacher Ulrich Seidl und der Hauptdarstellerin Maria Hofstätter eine Klageandrohung wegen Blasphemie beschert. Nun kommt die intime Studie über religiösen Fanatismus bei uns in die Kinos.

Als „Paradies: Glaube“ im Herbst 2012 in Venedig uraufgeführt wurde, strengte die ultrakatholische Organisation „No 194“ eine Klage an: gegen den Regisseur Ulrich Seidl, Hauptdarstellerin Maria Hofstätter, die Produzenten des Films und die Festivalleitung. Der Vorwurf, so hieß es in den italienischen Medien: Blasphemie. Auch vor dem Palazzo del Cinema hatte sich eine kleine Demonstrantenschar versammelt, um gegen den österreichischen Wettbewerbsbeitrag zu protestieren. Der Skandal blieb allerdings aus. Post vom Gericht hat Seidl bis heute nicht bekommen.

Blasphemie? Gut, Anna Maria, die erzkatholische Protagonistin des Films, nimmt ihr geliebtes Kruzifix eines Abends mit unter die Bettdecke – eine Verzweiflungstat, denn der überraschend nach Jahren zurückgekehrte muslimische Ehemann macht ihr das gottesfürchtige Leben zur Hölle. Aber was sie mit dem Gekreuzigten unter der Decke dann anstellt, bleibt weitgehend der Fantasie des Zuschauers überlassen. Wichtiger noch: Herabwürdigend, gotteslästerlich, ist dieser Film nie. Ulrich Seidl nimmt Anna Maria, ihre Sorgen und Sehnsüchte ernst. Genauso ernst wie die anderen Protagonistinnen seiner Paradies-Trilogie, Anna Marias Schwester in „Liebe“, die im Urlaub als Sextouristin in Kenia ihr Glück sucht, und ihre übergewichtige Nichte in „Hoffnung“ (Filmstart 16. Mai), die zeitgleich ein Diätcamp absolviert.

Zwei Frauen und ein Mädchen auf der Suche nach dem Paradies der Liebe: Maria Hofstätter verkörpert die eindrücklichste Figur in diesem Trio. Von Beruf Röntgenassistentin, verbringt sie die Ferien damit, die Gottlosen in Wiens Problembezirken mithilfe einer Wandermuttergottes zu missionieren. Eine Ausländerfamilie lehrt sie das Beten, einem unverheirateten Paar predigt sie das Sakrament der Ehe, einen Messie besprenkelt sie mit heiligem Wasser. Zu Hause geißelt sie sich mit Lederpeitsche und Martergürtel für die Sünden der anderen, übt fromme Lieder am Keyboard und rutscht zum „Ave Maria“ von Zimmer zu Zimmer, bis ihre Knie bluten.

Ein freudloses Dasein, möchte man meinen. Zumal Seidl die Filmbilder in bewährter Manier zu streng symmetrischen Tableaux arrangiert, mit unbeweglicher Kamera und der sterilen Atmosphäre eines spießigen Kleinbürgerhaushalts. Der Wald vor der Tür, die Sonne, die Welt bleiben hinter heruntergelassenen Jalousien verborgen. Selbst die urlaubshalber überlassene Katze der Schwester fristet ein tristes Dasein in der Garage. Alles Kreatürliche ist Anna Maria suspekt, vor allem der Sex, die Triebe. Der Anblick des Open-AirSwingerclubs spätabends im Park: ein Schock. Auch ihr querschnittsgelähmter Manns im Rollstuhl (mit sanftem Furor: der Laiendarsteller Nabil Saleh) wird zur Qual, wenn sie ihren ehelichen Pflichten nachkommen soll. Der Ehekrieg als Glaubenskrieg, mit Weihwasserattacken, Waffenstillstandsabkommen und Racheaktionen, wenn er das Mekkabild samt Allah-Akbar-Tonbandgesang wieder in Betrieb nimmt und mit dem Krückstock ihre Kruzifixe von der Wand pfeffert. Auch Papst Benedikt muss dran glauben – eine prophetische Szene.

Aber Anna Maria empfindet ihr Dasein keineswegs als freudlos und sieht in alldem vielmehr eine Prüfung. Tapfer setzt sie sich den Versuchungen des Teufels zur Wehr. Kaum zu glauben, aber Seidls Film weckt Empathie für die zunächst still-vergnügte, zunehmend verzweifelte Fanatikerin, lässt die Verzückungen der Frömmigkeit und des Büßertums ahnen, auch die Intimität einer mystischen Union mit Jesus. Gleichzeitig spart die kühl-distanzierte Inszenierung die bizarren, bigotten, komischen Momente nicht aus und registriert obendrein die unendliche Einsamkeit der entfremdeten Eheleute. Ulrich Seidl betrachtet diese Frau mit ungläubigen Augen – und hat Mitleid mit ihr.

So macht er es immer. Wenn Menschen fragwürdige Dinge tun, will er wissen, wie genau sieht das aus? Der 60-jährige Regisseur, der sich mit Gratwanderungen zwischen Dokumentar- und Spielfilm („Tierische Liebe“, „Hundstage“, „Import Export“) einen streitbaren Namen gemacht hat, ist mit einem strengen Vater und in katholischen Internaten aufgewachsen. Ähnlich wie seine Landsleute Michael Haneke, Thomas Bernhard oder Elfriede Jelinek erkundet er gerne Tabuzonen, bringt die Gewalt und die Begierden zum Vorschein, das Unkontrollierbare im Herzen der Zivilisation.

Beten, sagt Seidl, ist intimer als Sex. Auf Mitglieder der Legio Herz Jesu („Österreich muss wieder katholisch werden!“), wie sie sich in Anna Marias Souterrain versammeln, und auf Missionare mit Wandermuttergottes stieß er bei Recherchen zu „Jesus, du weißt“ (2003), seinem Dokumentarfilm über betende Menschen. Für „Glaube“ ist Maria Hofstätter selber mit den Statuen losgezogen; mitunter erfuhren ihre Gesprächspartner erst hinterher, dass sie Schauspielerin ist. So öffnet sich, mehr als in den anderen Teilen der Trilogie, der abgezirkelte fiktive Raum für einen sozialen Realismus, der all jene ins Recht setzt, die von der Gesellschaft gern mit frommen Sprüchen abgespeist werden: den Messie Rene Rudnik (den Seidl 1997 in „Der Busenfreund“ porträtierte) oder die russische Trinkerin, mit der Anna Maria am Ende einen aussichtslosen Kampf um eine Wodkaflasche austrägt.

Maria Hofstätter, selber konfessionslos nach katholischer Kindheit, hat ihrerseits mit der Rolle gerungen, hat im Vorfeld Fußwallfahrten, Askese- und Schweigekloster-Wochen absolviert, Method Acting auf österreichisch. Die Schauspielerin war bereits in „Hundstage“ (als schwatzhaft-verrückte Tramperin) und in „Import Export2“ (als strenge Geriatriekrankenschwester) zu sehen; „Paradies: Glaube“ ist ganz ihr Film. Blumenkleid in gedeckten Farben, fleischfarbene Unterwäsche, hochgestecktes Haar, sie macht sich schön für ihren himmlischen Bräutigam. Ihr aufrechter Gang, ihre irrlichternde Zielstrebigkeit, ihr Pragmatismus – die wundgescheuerten Knie verarztet sie routiniert – und ihr Durchhaltevermögen noch im größten Dilemma machen Anna Maria zu einer großen Kinoheldin.

Und Hofstätter widersteht der Versuchung, das befremdliche Martyrium ihrer Figur ins Lächerliche zu ziehen. Auch deshalb ist diese intime, aber nie lächerliche Studie über Fanatismus in religionskriegerischen Zeiten einer der stärksten Filme im Werk Ulrich Seidls.

Ab Donnerstag im FT am Friedrichshain, Hackesche Höfe, Kant, Kino in der Kulturbrauerei, Moviemento, Passage

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