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Die Sängerin Janis Joplin (1943-1970).

© Fantality Corporation

Die Doku "Janis: Littel Girl Blue": So viel Power, so viel Leidenschaft

Amy Berg zeigt die legendäre Rocksängerin Janis Joplin in der Dokumentation „Janis: Little Girl Blue“ von ihrer verletzlichen Seite.

Es war als triumphale Rückkehr an die Stätte früher Demütigungen geplant. Und endete als Debakel. Als Janis Joplin im August 1970 im texanischen Port Arthur das Klassentreffen zum zehnten Jahrestag ihres Highschool-Abschlusses besucht, sind in ihrem Begleitertross – sie ist längst ein gefeierter Star – auch einige Fernsehreporter. Einer fragt die Sängerin nach ihren Erinnerungen an die Heimatstadt. Da verfinstert sich die Miene der eben noch strahlenden jungen Frau mit der großen, runden Sonnenbrille. Sie beginnt zu stammeln und rettet sich in ein hastig hingeworfenes „Kein Kommentar!“.

Doch der Fragesteller lässt nicht locker. Er will wissen, inwiefern die 1943 geborene Musikerin anders war als ihre Mitschüler. Sichtlich angefasst antwortet Joplin: „Ich weiß nicht. Warum fragen Sie sie nicht selbst?“ So schnell verwandelt sich der Star, das Gesicht in Großaufnahme, wieder in das gehänselte Teenagermädchen, das niemand zum Abschlussball mitgenommen hatte.

Dieses anrührende Dokument der Verletzlichkeit war vor über 40 Jahren bereits in dem vergessenen Dokumentarfilm „Janis – The Way She Was“ zu sehen, der lediglich aus aneinandergereihten Konzert- und Interviewpassagen bestand. Jetzt hat die amerikanische Regisseurin Amy Berg diesen TV-Ausschnitt für ihr eigenes Porträt der Ausnahmesängerin noch einmal ausgegraben. Und erst in „Janis: Little Girl Blue“ entfaltet er seine ganze Wirkung. Denn er passt perfekt ins zentrale Narrativ des Films – die Geschichte von der Außenseiterin, die ihren Schmerz in die Musik legt und dadurch zumindest zeitweilig Erlösung erlangt.

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Die Ausgrenzung begann in der Highschool, ähnlich geht es im College weiter. Wie Joplins jüngere Schwester Laura berichtet, wird Janis etwa ab ihrem 14. Lebensjahr wegen ihres pummeligen Äußeren zur Zielscheibe des Spotts. Sie reagiert darauf, indem sie sich offensiv in die Rolle des „bad girl“ begibt. Ihr Auftreten ist laut, provokant und keineswegs, wie es sich für junge Frauen damals gehört – was neue Ablehnung erzeugt. Sie hängt mit Beatniks ab, trinkt viel und entdeckt irgendwann ihr Gesangstalent. Ihre Vorbilder sind Odetta, Bessie Smith und Aretha Franklin.

Die Musikerin Cat Power liest aus Joplins Briefen an die Eltern

Als weißes Mittelklassemädchen so zu singen wie schwarze Blues- und Soulgrößen, ist Anfang der sechziger Jahre – es herrscht noch immer Rassentrennung – ungewöhnlich und auch nicht unproblematisch. Leider untersucht der Film diese an Elvis erinnernde Aneignung afroamerikanischer Stile nicht genauer. Gleiches gilt für Janis Joplins spätere Wandlung zur ersten Rocksängerin überhaupt. Wie sie das genau anstellt, nachdem sie 1966 bei der Band Big Brother & The Holding Company einsteigt, muss man sich ebenso dazudenken wie den historischen Kontext der kalifornischen Hippie- und Gegenkultur. Bands wie Grateful Dead, Jefferson Airplane oder Country Joe and the Fish werden zwar erwähnt, ein Bild der enorm einflussreichen Szene San Franciscos entsteht dabei aber nicht.

Amy Berg baut „Janis: Little Girl Blue“ chronologisch auf, verzichtet auf Off- Kommentare und montiert ganz klassisch alte Konzert- und Interviewaufnahmen mit aktuellen Statements von Weggefährten und Verwandten. Hinzu kommen Zitate aus bislang unveröffentlichten Briefen Janis Joplins an ihre Familie. Gelesen werden sie von der Musikerin Chan Marshall alias Cat Power, die wie zahllose Kolleginnen von Joplin geprägt wurde.

Die handgeschriebenen Briefe wirken angesichts des wilden, drogenbefeuerten Lebensstils, den Janis Joplin seit Mitte der Sechziger in San Francisco pflegt, erstaunlich aufgeräumt und selbstreflektiert. Immer wieder scheint darin auch ihr Wunsch durch, den wenig verständnisvollen Eltern zu gefallen, etwa wenn sie einige ihrer Männeraffären wie stabile, womöglich auf eine Hochzeit zulaufende Beziehungen beschreibt. Dass Joplin tatsächlich solche bürgerlichen Fantasien hegte – inklusive weißem Holzzaun ums Eigenheim –, hat auch Alice Echols 1999 in ihrer eindrucksvollen Biografie „Janis Joplin – Piece of My Heart“ beschrieben. Das wirkt fast grotesk angesichts des unsteten Beziehungslebens der sexuell abenteuerlustigen Joplin, die zudem regelmäßig Affären mit Frauen hatte. Leider streift der Film diesen von Echols ausführlich beschriebenen Teil von Joplins Leben nur. Dabei spiegelt sich gerade darin ihre Offenheit ebenso wie ihre Unsicherheit – denn zur Erhöhung ihres weiterhin geringen Selbstwertgefühls trugen nur die männlichen Eroberungen bei. Und ihre Konzertauftritte.

Bisher unbekannte Aufnahmen von der Studioarbeit mit Big Brother

Dass die Bühne für die Sängerin ein Lebenselixier war, vermittelt „Janis: Little Girl Blue“ ebenso gut wie ihre Probleme, anschließend wieder herunterzukommen. Sieht man den legendären Auftritt auf dem Monterey Pop-Festival, der den Durchbruch für Big Brother & The Holding Company brachte, ist das nachvollziehbar: so viel Power, so viel Leidenschaft – und eine völlig gebannte Menge. Bandmitglieder wie Dave Getz und Sam Andrew erinnern sich in der Doku liebevoll und nachdenklich an ihre Zeit mit Joplin. Und bisher unbekannte Bilder zeigen sie zusammen bei den Studioaufnahmen der Coverversion von „Summertime“ – ein Höhepunkt des Films.

Im Jahr 1968 trennt sich Joplin von Big Brother. Mit Drogen- und Alkoholproblemen kämpfend, fällt es ihr schwer, eine neue Band zu formen. Eine Europatour verläuft trotzdem triumphal, und 1970 beginnen die Aufnahmen zu Joplins erstem Solo-Album „Pearl“. Auf dem Coverfoto trägt sie im Haar dieselben Federgirlanden wie bei ihrem Klassentreffen. Es sollte ihr letzter Besuch in der Heimat sein. Den Erfolg des Albums erlebt sie nicht mehr. Es erscheint einige Monate nach ihrem Tod durch eine Heroinüberdosis. Joplin ist die erste Frau im „Club 27“ der berühmten Rocktoten.

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