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Alle fummeln mit allen. Szene aus Rodrigo Garcias Mozart-Oper.

© Thomas Aurin

„Die Entführung aus dem Serail“ an der Deutschen Oper: Überall Lügen!

Rodrigo Garcia gibt mit einer radikalen Sicht auf „Die Entführung aus dem Serail“ sein Regiedebüt an der Deutschen Oper.

Natürlich herrschen Konventionen, wenn wir uns am Abend in der Oper einfinden und unseren Alltag an der Garderobe abzugeben versuchen. Vom Studieren des Programmhefts, den Wortwechseln, in denen man gewandt zu verstehen gibt, dass man nicht allzu viel erwartet von der Regie. Dem Einfädeln in die Sitzreihen, dem Zischen, sollte jemand es wagen, während der Ouvertüre noch zu tuscheln.

Und vor allem: beim Applaus. Sorgfältiger als beim Hausmüll wird hier getrennt zwischen Sängern, Dirigenten und Inszenierungsteam. Die ersten bekommen, zumal, wenn es sich um Ensemblemitglieder handelt, den meisten Beifall. Es folgt der Musikchef, und danach wird es noch einmal spannend: Wie bricht sich das Unbehagen im Zuschauerraum wohl diesmal Bahn?

Da ist es schon folgerichtig, wenn sich der Regisseur Rodrigo Garcia und seine Mitstreiter am Ende ihrer Premiere von Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ an der Deutschen Oper gar nicht zeigen. Wenn sie der zum Teil doch machtvoll aufgestauten Wut die Erlösung im Buh-Sturm verweigern. Ohnehin hatte ihre Inszenierung mit der Behauptung geendet, dass es kein Ende gebe. Und es nirgendwo schöner sei als hier. Wenn damit die Deutsche Oper am Freitagabend gegen 22.15 Uhr gemeint sein sollte, dann handelt es sich um eine der Lügen, die Garcia den Zuschauern während seiner „Entführung“ in einer Tour unter die Nase reibt.

„Fuck, what happened?“ - schwierige Frage

Daran, dass der argentinische Dramatiker, Schauspielregisseur und Operndebütant nichts auf die Handlung von Mozarts Singspiel gibt, lässt er keinen Zweifel. Sämtliche gesprochenen Dialoge sind gestrichen und durch minimale eigene Einschübe auf Englisch ersetzt. „Fuck, what happened?“, ist schon ein elaborierte Äußerung. Und zugleich eine schwierige Frage, die Belmonte und Pedrillo zu klären versuchen, nachdem ersterer mit einem absurd aufgedunsenen Gefährt auf die Bühne gerollt ist, im Fond zwei spärlich bekleidete Damen (Kostüme von Stardesigner Hussein Chalayan). Zur Ouvertüre war der rote Monstertruck als Videoprojektion so wild durch die Landschaft geschaukelt, dass sich eine Gespielin aus dem Autofenster erbrach. Während er darauf seine Sehnsucht nach der entführten Konstanze besingt, zeigt das Video Belmonte beim nicht enden wollenden Sex zu Dritt mit seinen Begleiterinnen.

Das lässt sich ganz nett und aus ironischer Perspektive ansehen, auch wenn bereits in den ersten Minuten unmissverständlich deutlich wird, dass hier einer nicht auf die Musik hören kann – und zudem von einer fixen Idee besessen ist: überall Lügen! Nicht, dass sie alle ohne Unterhaltungswert wären. Zu Beginn mag man noch schmunzeln über die Antwort auf „Fuck, what happened“: Ein Ufo war es, dass Konstanze, Blonde und Pedrillo beim Picknick im Tiergarten entführt und im Serail, einer Art Sportmarkendiktatur, wieder ausgespuckt hat. Sogleich wird die Szene per Video beglaubigt, schwebt eine fliegende Untertasse an der Siegessäule vorbei.

Annabelle Mandeng spielt den Bassa Selim

Serailbeherrscher Bassa Selim ist eine hochgewachsene Frau (die Model-Moderatorin Annabelle Mandeng), die Konstanze während ihres Basketball-Dribblings derart verbal penetriert, bis der Bedrängten nur die Flucht an die nächste Arie bleibt (natürlich mit Treueschwüren an Belmonte). Ach ja, Bassa und Belmonte sind beide im Drogengeschäft, Abteilung Designer-Ware, tätig. Da ist Rivalität quasi der Naturzustand – auch wenn der Stoff von Belmonte so gut ist, dass sich Osmin nach seinem Genuss von splitterfasernackten Frauen umtanzt wähnt, deren Blöße auch die Zuschauer eingehend betrachten können. Es muss wohl diese Szene sein, die der Homepage der Deutschen Oper den fettgedruckten Hinweis „empfohlen ab 16 Jahren“ beschert hat. Aber wem soll man diesen Abend eigentlich empfehlen?

Die „Entführung“ als Posse mit Osmanen, die über schnabelige Schuhspitzen stolpernden, oder als blutiges IS-Märchen mit Kalaschnikows und Burka, oder als naseweises, mit Lessing-Streben verstärktes Schultheater – danach sehnt sich keiner zurück. Auch an Calixto Bieitos Interpretation an der Komischen Oper, die die Handlung in ein heutiges Bordell verlegt, denkt man nicht mit Freude, aber aus anderen Gründen. Hier ließ sich partout nicht von der Hand weisen, das der Regisseur mit der sexuellen Ausbeutung von Frauen sein Thema gefunden hatte und Mozarts Singspiel daran konsequent schärfte. Bis es richtig weh tat.

Schaubühnen-Star Lars Eidinger stieg aus der Produktion aus

Davon kann bei Rodrigo Garcia nicht die Rede sein. Es wird nur die Geste bemüht, wenn schlagende Herzen sein Stichwort „Lüge“ bilden. Jeder fummelt mit jedem und singt dabei unentwegt von ewiger Liebe – das ist zwar ein erwachsenes Thema, will aber auch entdeckt, erzählt und vor allem gefühlt sein. Daran scheitert diese „Entführung“, die noch weitaus abgefahrenere Ideen als Belmontes Monstertruck auf Lager hatte, glaubt man Garcias Stroyboard im Programmheft. Die Fantasie des im Opernbetrieb debütierenden Regisseurs zu bändigen, sein Konzept auch nach Ausstieg des Schauspielers Lars Eidinger zu retten, das muss die Deutsche Oper viel Kraft gekostet haben. Man spürt es auch in der untoten Haltung, mit der Annabelle Mandeng Garcias ellenlangen Selbsterklärungsversuch runternudelt.

Der Plan, ein Mozart-Repertoire mit dem erfahrenen Donald Runnicles am Pult und neuen Opernregisseuren zu erarbeiten, schließt diese und eröffnet die nächste Saison an der Deutschen Oper (mit „Così“ am 25.9., Regie Robert Borgmann). Was ihr bislang fehlt, ist ein echter Raum für Mozart, der die musikalischen Stärken des Hauses auch hörbar macht. Das hallenartige „Entführungs“-Bühnenbild erpresst stimmliche Stärke, die der Leichtigkeit des Ausdrucks feindlich gegenüber steht. In diesem unvorteilhaften Spagat gibt das Hausensemble sein bestes, ohne je Glanz anzusetzen.

Sicher steuert Donald Runnicles sein gut ausbalanciertes Orchester

Fair ist das nicht, denn Kathryn Lewek als Konstanze ist bereit, alles zu geben. Siobhan Stagg bringt einen kernigen Kontrollwillen in die Darstellung der Blonde ein, während sich Matthew Newlins Belmonte auch stimmlich nicht an die Wand nageln lässt. James Kryshak als Pedrillo weiß seine Töne geschickt komödiantisch zu erweitern, während Tobias Kehrer einen rundum souveränen Osmin abgibt, vor dem niemand fliehen will.

Donald Runnicles steuert sein gut ausbalanciertes Orchester mit sicherer Hand, versäumt es aber, die dramaturgischen Fäden anzuziehen, um der Klangregie den ersten Platz zu sichern. Frei nach dem Titel von Rodrigo Garcias Erfolgsinszenierung an der Schaubühne: Soll mir lieber Mozart den Schlaf rauben als irgendein Arschloch.

wieder 22., 25. u. 28. Juni, 1. u. 6. Juli

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