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Kolumne Literatur BETRIEB: Die großen Grenzen

Was macht einen Schriftsteller eigentlich zum Schriftsteller? Und warum machen sie nie die Politik zum Thema ihrer Bücher? Oder schreiben so wenig gegenwartsnah? Von den Schwierigkeiten junger Autorinnen und Autoren.

Sie haben es gerade nicht leicht, die jungen Autoren und Autorinnen, die an den Schreibschulen studieren, bei Open Mikes und in Klagenfurt beim Bachmannwettbewerb auftreten oder erste Veröffentlichungen vorlegen, die dann noch „Wir haben (keine) Angst“ oder „Heult doch“ oder „Vollkommen leblos, bestenfalls tot“ heißen. Allenthalben schallen ihnen Ratschläge von maßgeblichen Instanzen des Betriebs entgegen: Sie sollen politischer schreiben – „Was macht einen Text politisch?“ diskutierte man zum Beispiel am Vorabend des diesjährigen Berliner Open Mike. Sie sollen sich näher an die Gegenwart begeben, wenn nicht mitten aus der Gegenwart schreiben. Sie sollen in ihren Büchern auch mal den Afghanistan-Krieg, die Finanzkrise, den globalen Klimawandel oder die Armut zum Thema machen. Und überhaupt: Sie sollen einfach mal etwas erleben, mal vor die Tür gehen, von wegen „Welthaltigkeit“, sie sollen Erfahrungen machen, Schicksalsschläge erleiden – und nicht immer nur Familienromane und weinerliche Selbstbespiegelungen verfassen.

Und dann kommt da noch ein älterer Kollege wie der in eigener Sache stets umtriebige Matthias Politycki daher und beklagt als Kurator des Münchener Literaturfestivals in einem Aufsatz für die „Zeit“ „die sukzessive Entwurzelung unseres Selbst“ (schlimm, schlimm!), die Schwierigkeit, in einer globalisierten Welt keine Grenzen mehr überschreiten zu können (das geht wohl nicht einmal mehr in Wedding oder Marzahn), und überhaupt eine „sich allzu rund eingeschliffene Wirklichkeitserfahrung:“ Kurzum: den Burn-out und wenigstens das Mittelmaß unserer gegenwärtigen, durch und durch globalisierten Kultur. Und dagegen helfe nur, so Politycki, dass die Literatur an sich mit mehr Selbstbewusstsein in den Mittelpunkt des Literaturbetriebs zurückkehre, sich mindestens an der Weltliteratur messe, sie wieder mehr Haltung zeige (stillgestanden!) und weniger Unterhaltung biete. Kurzum zwei: Tiefe vor Beliebigkeit, relevanter Realismus (wie Politycki das einmal vor Jahren einforderte) vor Selbstgefälligkeit. Oder so ähnlich.

Ja, und vergessen sollte man auch nicht das Handwerk des Schreibens, das gleich nach dem Handwerk des Lebens kommt. Das will und muss gelernt und kann in Leipzig und Hildesheim auch gelernt werden – was dann oftauch wieder nicht recht ist, weil der Schreibschulenprosa vorgeworfen wird, konfektioniert zu sein, gleichgeschaltet, ohne eigene Stimme und Stil. Aber müssen sich junge Autoren in diesem Wirrwarr aus Ratschlägen, Anforderungen, Polemiken und Hosianna-Rufen nicht als Allererstes die Frage stellen: „Was macht einen Schriftsteller eigentlich zum Schriftsteller?“ Sicher nicht eine einzelne Buchveröffentlichung, sicher nicht allein das Absolvieren einer Schreibschule, sicher nicht der geübte Umgang mit Medien und Öffentlichkeit, nicht einmal fünf Buchveröffentlichungen, in denen es um nichts anderes als Junge-liebt-Mädchen und Mädchen-verlässt-Junge geht. Trost könnten junge Autoren und Autorinnen finden, wenn sie einen Roman wie Wolfgang Herrndorfs „Sand“ lesen. Von Gegenwärtigkeit kann hier keine Rede sein, um einen relevanten Realismus, um „Leben“ (auch so eine Kategorie) schert Herrndorf sich nicht die Bohne. Grenzen aber überschreitet er von der ersten bis zur letzten Zeile (und unterhaltsam ist er zudem).

Überhaupt Herrndorf, so sehr ihn seine Krebserkrankung dazu angetrieben haben mag mit „Tschick“ und „Sand“ zu Potte zu kommen: Auf den Literaturbetrieb gibt er nichts, der ist Herrndorf egal. Da war es für ihn schon ein Rätsel, warum er 2004 eigentlich beim Ingeborg-Bachmann-Lesen teilgenommen hatte: „Warum wollte ich dahin, wo keiner hinwollte?“, fragte er sich im Nachhinein. Es geht also auch ohne das ganze Tamtam. Weshalb es für junge Autoren nur heißen kann: locker machen, weitermachen, an sich selbst glauben. Und vielleicht einmal die Bücher von Matthias Politycki studieren. Sonntagsreden sind nämlich das eine. Sie aber in die Tat, die eigene Prosa umzusetzen, das andere.

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