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Kultur: Die Hölle gehört den Paaren

In Nicole Moslehs Film „Nemesis“ spielt Ulrich Mühe seine letzte Rolle

Bald war der letzte Platz besetzt, im Saal und auch auf dem Rang. Ein paar Entschlossene trugen noch die letzten Foyer-Sessel in den Zuschauerraum, der Rest stand. Im Blick der Regisseurin lag ein wenig Überraschung, Unglaube gar, gemischt mit wiedererkennender Zuversicht: Ich-habe-es-doch-gewusst! Doch wer glaubt am Ende wirklich noch, dass der eigene Film zur Welt – also ins Kino – kommt, wenn das alles schon über fünf Jahre zurückliegt? Für Nicole Mosleh ist „Nemesis“ ihr erster Langfilm, für Ulrich Mühe war es sein letzter. Und Susanne Lothar wollte lange nichts mehr von ihm wissen, nach dem Tod ihres Mannes.

Hinterher wird sie, von Dreharbeiten in London nur für diese Premiere nach Berlin gekommen, die Bühne in einer Kittelschürze betreten, die man mit viel gutem Willen auch als Kleid interpretieren könnte, dazu eine rosa Haube auf dem Kopf – Typus: exzentrische Putzfrau. Sie wird ihre knallrote Handtasche fallen lassen und erklären, wie einfach alles war: Sie haben dieses Drehbuch gelesen und Ja gesagt. Mit Geld hatte das nichts zu tun oder nur insofern, als dass Autorin und Regisseurin Nicole Mosleh ihre Ersparnisse in diesem Debüt versenkte.

Ehepaare sind für jeden Regisseur gewöhnlich ein anderes Wort für Horror, schon wegen der Primärabsprachen. Aber Lothar und Mühe waren auch in dieser Hinsicht kein gewöhnliches Paar: nie der Schrecken der Regisseure, aber immer wieder erstaunt davon, wie viel Schrecken füreinander, aneinander, miteinander sie hervorrufen konnten. Zwei Spezialisten für Paarhöllen.

Nicole Mosleh, aufgewachsen in Frankfurt, wollte nichts anderes. Sie hat ein Kammerspiel geschrieben für eine Frau, einen Mann, ein südliches Haus mit See und eine tiefgefrorene Hand in der Gefriertruhe. Wie Filme aussehen, in denen abgetrennte Hände in Eisschränken vorkommen, meint man zu wissen. Dieser ist anders. Das ist sein Risiko.

„Und in den Nächten fällt die schwere Erde aus allen Sternen in die Einsamkeit.“ Schwer zu sagen, ob das gute Dichtung ist. Vielleicht ist es beinahe gute Dichtung. Nicole Mosleh hat diese dunklen Worte ihrem Film vorangestellt, vielleicht um neben den Splatter- auch den Gebrauchskrimi-Zuschauern, selbst denen des „Letzten Zeugen“ verständlich zu machen, dass hier nichts folgt, was sie freuen könnte.

Den festen Boden unter den Füßen verliert man gleich in der ersten Szene. Es ist eine Abschiedsfeier und Feier eines Neuanfangs zugleich. Claire und Robert wollen ihr Architektenhaus am See verlassen, um noch einmal zu beginnen, woanders. Das Haus hat kein gutes Karma mehr, seit sie die jüngere Schwester Claires hier erschlagen auffanden. Ihr Schatten ist allgegenwärtig. Der irgendwie versöhnliche Abschied scheint zu gelingen, als Susanne Lothar ihre Claire lächelnden Kindermundes mit ihrer weichscharfen, leisen Stimme sagen lässt, dass Robert und sie sich doch trennen. Nun wird die Party zur Orgie, alle fühlen die schwere Erde von den Sternen in ihre Einsamkeiten fallen, die durch das Zusammensein noch stärker zu werden scheinen. Wie beginnt man den Tag nach einer solchen Nacht? Robert meint, am besten gleich rein in das neue, clairefreie Leben: Am Abend sei er weg. Doch Susanne Lothars Claire ist nicht die Frau, die solche Vorsätze hinnehmen würde.

„Nemesis“, griechisch „Zuteilung des Gebührenden“. Auch ein guter Name für Kritik: Das Publikum stritt im Anschluss über „die Dichte“ des Films, ob sie nun von Anfang an da sei, oder sich nicht erst entwickle, geradezu beängstigend entwickle, was man auch Schwerkraft-Zunahme nennen könnte. Noch einmal zwei Paläontologen der Seele. Noch einmal zeigen sie, dass Alltagsgesichter eigentlich nur Masken für das Darunterliegende sind – Abgründe der Liebe, Abgründe der Seele. Nachzutragen ist, dass mehrere Zuschauer hinterher immer noch fragten Und-wer-war's-jetzt? Doch, ein Kriminalfilm ist diese Höllenfahrt auch. Hinweis: Die letzte Szene!

Wieder am 15. und 16. Oktober im Babylon, Rosa-Luxemburg-Straße 30

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