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Kultur: Die Kinder von Cortez und Coca-Cola

Techno statt Azteken: Mit einem Festival in Berlin präsentiert sich Mexiko als Land des Umbruchs und der Widersprüche

Von Christina Tilmann

Gerade feiert man beim Filmfest in Venedig Mexikos schöne Frauen: Die mexikanische Schauspielerin Salma Hayek spielt Mexikos bekannteste Malerin Frida Kahlo. Das Land selbst erhitzt sich zur gleichen Zeit über einen anderen Film: „Das Verbrechen des Padre Amaro“ (nach einer Erzählung des portugiesischen Romanciers Eca de Queiroz) lässt nichts aus, was die katholische Kirche erregen könnte. Ein junger Priester hüllt seine Geliebte in den Mantel der Madonna und zwingt sie am Ende zur Abtreibung. Eine Indio-Hexe füttert ihre Katze mit Hostien. Ein Dorfpfarrer unterhält eine enge Freundschaft zum örtlichen Drogenboss. Und das Ganze zwei Wochen, nachdem der Papst in Mexico City mit der Heiligsprechung von Juan Diego den Einfluss der Kirche im erzkatholischen Mexiko noch einmal bestätigt hatte: Dem Indiojungen war 1531 die im ganzen Land verehrte braune „Virgen von Guatemala“ erschienen .

Der Streit um „Padre Amaro“ wurde zur Bewährungsprobe der seit zwei Jahren herrschenden Regierung Fox auf kulturellem Gebiet. Die entschiedene Verweigerung einer von kirchlicher Seite geforderten Zensur zeigt, dass sich in dem zuvor fast 80 Jahre lang von der „Partei der institutionalisierten Revolution“ (PRI) regierten Land einiges geändert hat. Nun wird ein Festival in Berlin drei Monate lang das neue Mexiko präsentieren. Nicht mehr die legendäre, als Weltkulturerbe anerkannte Tempelkultur der Mayas und Azteken, auch nicht mehr Frida Kahlo und die Wandmalereien Diego Riveras bestimmen das Bild, das das nachkommunistische Mexiko von sich zeichnen möchte.

Das Festival MEXartes, organisiert vom Haus der Kulturen der Welt gemeinsam mit der mexikanischen Botschaft und dem Goethe Institut in Mexiko, hat sich auf zeitgenössische Künstler konzentriert: auf die Elektromusik der Nortec-Gruppe aus Tijuana, der nördlichen Grenzstadt, die der amerikanischen Zeitschrift „Newsweek“ zufolge zu den 10 kreativsten Orten der Welt zählt. Auf die junge mexikanische Kunstszene, die mittlerweile auf etlichen Biennalen reüssierte. Auch Kunst-Headhunter Klaus Biesenbach konzipierte deshalb parallel zum Festival eine Ausstellung für das New Yorker „Museum of Modern Art“ und die Berliner KunstWerke. Und schließlich präsentiert sich die Filmszene der 90er Jahre, als Mexiko mit Werken wie dem kürzlich auch in Deutschland erfolgreichen „Amores Perros“ wieder international auftrat.

Das rote Kostüm

Im Land selbst herrscht über die neue Selbstdarstellung noch Unsicherheit. Sari Bermúdez, die Präsidentin des mexikanischen Kulturministeriums Conaculta, demonstriert Überfluss. Ihr Amtssitz: ein aufwändig restaurierter Palast im malerischen Kolonialviertel Coyoacan. An den Wänden Regale mit präkolumbianischen Funden, die Marmorplatte des Tisches glänzt, die Stühle sind kostbar bezogen. Die ehemalige Fernsehmoderatorin und Fox-Vertraute legt einen perfekten Auftritt hin, in leuchtend rotem Kostüm und mit effektvoll inszeniertem Räuspern. Ein differenziertes Stipendiensystem unterstütze in Mexiko über 600 Künstler, sagt die Ministerin. Dass das Geld für die Kultur unter Fox immer weniger wird, sagt sie nicht. Natürlich herrsche Meinungsfreiheit im neuen Mexiko, Padre Amaro sei das beste Beispiel, führt sie aus. Wie ihr der Film gefiel, sagt sie nicht. Und besonders setze sie sich für die Förderung der Indio-Kultur ein: Weil diese so schön bunt sei, dass ihr die Tränen kämen. Und überreicht den Hochglanz-Katalog einer Wanderausstellung, die Conaculta gemeinsam mit Bax, der größten Bank Mexikos zusammengestellt hat und die unter dem Titel „Große Meister mexikanischer Volkskunst“ zeitgenössische Indiokunst auf Tour schickt.

Victor Hugo Rascon Banda erzählt eine andere Geschichte. Der Theaterautor und Vorsitzende des mexikanischen Schriftstellerverbandes SOGEM gilt als schärfster Kritiker von Fox – und ist zugleich interner Berater von Sari Bermúdez. Mit seinem Stück über „La Malinche“, die Indiofrau, die Cortes’ Übersetzerin und Geliebte war, gelang ihm 1998 ein Skandal – auch, weil Johann Kresnik in seiner Inszenierung das historische Stück in die Gegenwart übersetzte: Cortez war Bush, die neue Conquista kommt aus dem Norden und heißt USA. Vincente Fox, der ehemalige Texas-Vertreter von Coca-Cola, ist für Rascon Banda nur der Kopf einer ganzen Truppe von jungen, an amerikanischen Eliteuniversitäten geschulten Wirtschaftsexperten, die die Kronjuwelen der mexikanischen Wirtschaft wie Öl und Elektrizität, Flugindustrie und Banken durch Privatisierung vorschnell auf den Markt und in den Rachen amerikanischer Unternehmen werfen.

Dass es derselbe Fox war, der in seiner Amtszeit als Gouverneur von Guanajuato dafür eintrat, dass die Uraufführung von „La Malinche“ nicht verboten wurde, ist nur einer der Widersprüche der neuen Gesellschaft. Fox sei zu spät zur Aufführung erschienen, zu einem Zeitpunkt, als sein Kabinett das Theater schon türenschlagend verlassen habe, erzählt Rascon Banda. Nach seiner Meinung gefragt, habe er auf ein Schild gezeigt, dass Kindern unter 18 den Besuch der Vorstellung verbot, und erwidert: „Ich bin erwachsen. Ich gehe in die Vorstellung.“ Auch Sari Bermúdez hat diese Geschichte als Beispiel für die neue Offenheit in Mexiko erzählt. Dass sie selbst die Vorstellung verlassen hatte, hat sie nicht erwähnt.

Cortez und Bush, Vincente Fox und 20th Century Fox: Die Auseinandersetzung mit dem großen Bruder USA ist immer noch zentral für das mexikanische Selbstverständnis. Der Krieg von 1848, der dazu führte, dass Mexiko das schon zuvor für unabhängig erklärte Texas endgültig an die USA abtreten musste, kommt in fast jedem Gespräch vor, verbunden mit dem Hinweis, dass Mexiko damit die Hälfte seines Bodens verlor. Dass Institutionen wie die Hauptbank Banamex und die Fluggesellschaft Aeromexico seit den 90er Jahren amerikanischen Großunternehmen gehören, schürt nur noch das Gefühl eines Ausverkaufs an die erste Welt. Mit Händen zu greifen ist die Auseinandersetzung jedoch im Norden Mexikos, an der Grenze zu den USA. Rund 3000 Kilometer Grenzland sind seit 1994 im Rahmen der „Operation Gatekeeper“ immer schärfer befestigt worden – und werden militärisch bewacht, um zu verhindern, dass weiterhin jährlich Tausende von Mexikanern ihr Glück in den amerikanischen Großstädten suchen.

Eine Grenze quer durch die Stadt

In Tijuana, der westlichsten Grenzstadt, reicht die Grenze mitten durch die Stadt. Die planlos, regellos auf drei Millionen Einwohner gewachsene Stadt, seit den Zeiten der amerikanischen Prohibition ein Mekka für Glücksspiel und Prostitution, wäre ohne die Grenze längst mit ihrer Nachbarstadt San Diego verschmolzen. Nun sind sie brutal getrennt: Ein meterhoher Blechzaun, dahinter ein Grenzstreifen und noch ein Zaun, führt über Berg und Tal, entlang von Straßen und Parkplätzen, bis er am Strand in den Pazifik mündet. Chantal Ackerman hat in ihrer gefeierten Documenta-Arbeit die Bewegungen rund um die Grenze, die nächtlichen Scheinwerfer, die Grenzsoldaten, die Schlepper und die Opfer porträtiert. Tagesspiegel-Mitarbeiter Philipp Lichterbeck hat das Treiben an der Grenze fotografiert. Das „Colegio de la Frontera Norte“ widmet sich ausschließlich der „Grenzwissenschaft": dem Thema Grenze in Sprache, Film, Literatur und Wirtschaft.

Die örtliche Kunst- und Musikszene nutzt die Vorteile der Nähe zu den USA jedoch recht unbekümmert. Nortec, eine lockere Vereinigung von Musikern, Graphikern und Architekten, die sich schon seit Schulzeiten kennen, kaufen ihre Elektronik billig in den USA, sind fast jedes Wochenende drüben. Sie profitieren von einem Publikum von Zehntausenden von jungen Amerikanern, die jedes Wochenende über die Grenze nach Mexiko gehen, um leichter an Alkohol zu kommen, und schwärmen von den großen Zeiten, in denen Musiker wie Carlos Santana in Tijuana auftraten, lange bevor sie in den USA bekannt wurden.

Diese „Selfmademen“ sitzen in ihrem neugebauten Haus mit zwei Waschmaschinen und einem gut ausgestatteten Studio – die Straße vor der Tür ist noch nicht geteert. Sie jetten zu Konzerten rund um die Welt und mixen Techno mit mexikanischer Volksmusik. Sie haben bei dem Festival „Tecnogeist“ mitgewirkt, das vor drei Jahren die Love Parade nach Mexiko gebracht hat, und schwärmen von der deutschen Techno-Szene. Global Players, die mit der verzweifelten Suche nach einer mexikanischen Identität eher spielerisch umgehen. Zwischen ihnen und Rascon Banda liegen Welten.

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