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Runde Sache. Der von Friedrich Hofmann erfundene Ringofen auf dem Gelände der Ziegelei.

© dpa

Die kleinen Großen (2): Der Ziegeleipark Mildenberg erzählt Industriegeschichte im Grünen

Rund um Berlin gibt es Museen und Kultureinrichtungen, die kaum jemand kennt. Anlass genug für Kunstreisen in die Umgebung – zu den „kleinen Großen“. Heute: der Ziegeleipark Mildenberg bei Zehdenick.

Seit dem Ausflug nach Mildenberg steht auf dem Schreibtisch ein kleiner Backstein, nur wenige Zentimeter groß. Aus rotem Ton perfekt geformt, für die Ewigkeit gebrannt: ein Stück Berliner Geschichte en miniature. Wer erkunden will, wo der Stoff herstammt, aus dem Berlin gemauert ist, sollte nach Norden fahren. Eine Stunde mit dem Auto, schon ist man mittendrin in der Zehdenicker Tonstichlandschaft.

Ein Sommerregen rauscht durch alte Bäume, darunter haben Angler ihre Zelte aufgeschlagen. Der zugewachsene Fahrweg führt zwischen Teichen entlang, vorbei an Hagebuttenbüschen und Holunder, durch hohes Gras. Irgendwann endet er an einem stillgelegten Hafen. Träge fließt die Havel vorüber, darauf ein paar Paddler, dann wieder Stille. Auf dem Gelände zerbröckeln Industrieruinen. Leer stehende Hallen, ausgeweidet bis auf rostige Überreste. In den Zählerkästen einer Steuerungsanlage nisten Schwalben. Ein paar Schritte weiter verwittert ein riesiger Ringofen, in dem einst Ziegel gebrannt wurden. Hier und da ragen hohe Schornsteine zwischen den Seen auf. Ein Blick auf die Karte zeigt: Über 60 Teiche ziehen sich dicht an dicht wie ein breites Band durch die flache Landschaft nördlich von Zehdenick. Ein Anglerparadies.

Kaum vorstellbar, dass zwischen den Tonstichen, die heute mit Wasser gefüllt sind, vor 100 Jahren überall Schlote rauchten und Feldbahnen ratterten. Noch stößt man zwischen den Teichen auf kleine Arbeitersiedlungen, wie von der Geschichte vergessen, manche bewohnt, mit pickenden Hühnern und reifenden Äpfeln am Baum. Die industrielle Vergangenheit ist vorbei. Die touristische Zukunft hat noch nicht begonnen. Eine Landschaft im Wartestand. Schon hat ein dänisches Ferienhausunternehmen einen Blick auf die idyllische Region geworfen.

1887 war man beim Bau einer Eisenbahnbrücke durch Zufall auf reinen Ton gestoßen. Goldgräberstimmung kam auf. Zwei Jahrzehnte später war Zehdenick das größte Ziegeleirevier Europas. Die boomende Großstadt Berlin sicherte den Absatzmarkt, die Havel schuf die perfekte Verkehrsanbindung. Der letzte Ziegeleikahn liegt, zum Museumsschiff umgebaut, seit 1990 im Stadthafen von Zehdenick vor Anker. Nach der Wende wurde der letzte Ziegeleibetrieb, in Mildenberg wenige Kilometer nördlich, stillgelegt. Heute ist das weitläufige, über hundert Jahre gewachsene Industriegelände mitsamt seinen kaiserzeitlichen Ringöfen ein Museumspark. Behutsam und findig haben die Museumsmacher die original erhaltenen Fabrikanlagen mit moderner Multimediatechnik zum Sprechen gebracht. Familien ziehen mit Bollerwagen und Picknickkorb übers Gelände. Mit Kettcars kurven die Größeren über das kilometerlange Wegenetz und klettern auf ein Hügelplateau, wo riesige Baggerveteranen eine würdige Ruhestätte gefunden haben.

Ein weißbärtiger Ausstellungsführer erzählt einem Grüppchen Interessierter unter freiem Himmel von den harten Arbeitsbedingungen um 1900. Von den riesigen Tonschneidemaschinen, in denen der weiche Ton mit Zuschlagstoffen verknetet wurde, karrten die Arbeiter ihre tonnenschwere Tagesportion heran und strichen die Ziegelmasse per Hand in hölzerne Formen. In langen Reihen wurden die feuchten Formlinge zum Trocknen ausgelegt.

Dann hinein damit in die Brennkammer des Hoffmann’schen Ringofens, in dem das Feuer von einem Brennmeister Tag und Nacht in Gang gehalten und im Laufe eines Monats langsam durch die ringförmig angeordneten Brennkammern geführt wurde. Eine Ausstellung in einem der Ringöfen erzählt von dem Berliner Ingenieur Friedrich Hoffmann, der das System 1858 patentieren ließ. Wie solch ein Ofen funktionierte, machen leuchtende Multimedia-Ziegel anschaulich, die man auf dem Gang durch einen Brennkanal in die Hand nimmt: Langsam erglüht der Ziegel erst rot, dann gelb, dann weiß und kühlt knisternd und knackend wieder ab. Nach dem Erkalten wurde die Brennkammer wieder geöffnet und die fertige Ladung Ziegel ausgeräumt. Was zu Bruch ging, wurde zu Ziegelmehl vermahlen und erneut der Tonmasse zugefügt: eine überraschend nachhaltige Fertigungsweise.

Anfangs lief die gesamte Produktion mit Muskelkraft und Dampfenergie, vom Abbau in den Tongruben bis zur Verladung der fertigen Backsteine. Industrielle Fließbandproduktion zog in der DDR- Zeit auf das Gelände ein. Heute dürfen Besucher die komplett erhaltene Fertigungsstraße im Simulationsbetrieb hochfahren. Auf Knopfdruck läuft mit gewaltigem Getöse die Produktionsanlage an: Beleuchtete Ziegelformlinge zeigen per Lichtinstallation den Weg von der Zuschneideanlage, in der die weiche Tonstrangmasse in Form gebracht wurde, über Förderbänder bis zur Einfahrt in die Trocknungsstraße. An jeder Station der Werkhalle stehen ehemalige Mitarbeiter per Videointerview Rede und Antwort. Lebendig schildern sie, welche Tätigkeit sie einst an genau dieser Maschine ausführten. Jeder von ihnen war ein Rad im Getriebe des VEB Ziegelei. Jetzt gibt ihre Zeitzeugenschaft dem Industriedenkmal ein lebendiges Gesicht.

Vom Hafen tönt das laute Tuten einer Dampflok herüber. Mit einem Eis in der Hand eilen die letzten Fahrgäste zur voll besetzten Tonlorenbahn. In weitem Bogen gondelt die Feldbahn übers Gelände, vorbei am Lokschuppen, wo ein paar Sportliche auf Schienenfahrrädern in die Pedale treten. Kein Kind will heute am Spielplatz aussteigen, trotz Streichelgehege, Riesenschaukel und Fährfloß. Denn jetzt nimmt die Schmalspurdampflok ratternd und schlingernd Fahrt auf und rumpelt mit ohrenbetäubendem Quietschen hinaus in die Tonstichlandschaft. Auf schmalen Feldbahngleisen geht die Fahrt durch Wälder und Wiesen. Zum Greifen nah saust hohes Schilfgras vorbei. Sogar Biber soll es hier geben. Dann hält der Zug, und die Gruppe macht sich zu Fuß auf zu einem lauschigen See, umstanden von Nadelbäumen.

Ein Mitarbeiter des Museumsparks erläutert, wie der Ton hier in Terrassen abgebaut wurde, Schicht für Schicht. Als man die Produktion stilllegte, füllte sich die Senke langsam mit Wasser. Bis heute rosten auf dem Grund der Zehdenicker Seen noch Gleise und Loren vor sich hin, einfach zurückgelassen, wenn eine Tonstichgrube erschöpft war oder der Unternehmer pleiteging.

Traktoren- und Oldtimertreffen, 14.-15.8., 10-17 Uhr mit Markttreiben, Info: www.ziegeleipark.de, tägl. 10-17 Uhr

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