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Miguel (Jorge Martínez, rechts) möchte in die USA ausreisen. Derweil pflegt er seinen an Aids erkrankten Mitbewohner.

© Kairos

Im Kino: „Die letzten Tage in Havanna“: Unser zerfleddertes Leben

Feiner Kammerspielfilm in düsteren Farben: „Die letzten Tage in Havanna“ von Fernando Pérez erzählt die Geschichte eines dem Tod geweihten schwulen Mannes und seines Mitbewohners, der in die USA fliehen will.

Das kubanische Staatsfernsehen verkündet Neuerungen im Gesundheitswesen, von Perfektionierung und Effizienz ist die Rede. In den Ohren von Miguel (Patricio Wood), der als Tellerwäscher arbeitet, muss das wie ein bitterer Witz klingen. Tagtäglich begegnet ihm eine Welt des unaufhaltsamen Verfalls. Havanna bröckelt und modert nur so vor sich hin.

Zusammen mit Diego (Jorge Martínez), seinem schwer kranken Schulfreund, bewohnt der Mitte Vierzigjährige ein schäbiges Apartment in einem riesigen Kolonialbau im Zentrum der Stadt. Überall blättert der Putz ab, alles ist von vorgestern und halb kaputt, am einzigen Wasserhahn stehen die Menschen Schlange. Inmitten des Klimas der Apathie aber finden sich Inseln wuseliger Betriebsamkeit. Im Eingangsbereich werden Haare geschnitten und Handys verkauft, auf den Fluren stehen Käfige mit Hühnern und CD-Ständer, mitten auf der Türschwelle arbeitet eine alte Frau an einer Nähmaschine.

In düsteren Farben – schmutziges Dunkelgrün, grindiges Braun – zeichnet der 1944 geborene kubanische Regisseur Fernando Pérez („Suite Havanna“) ein Szenario, das Anleihen beim dystopischen Kino macht. Den Titel „Letzte Tage in Havanna“ hat sich der Film verdient.

Bedeutsam sind die kleinen Bewegungen

Wäre Miguel nicht eine so tieftraurige Figur und wäre Diego nicht dem Tod geweiht, könnten die beiden fast als komisches Duo durchgehen. Miguel wirkt wie erloschen, eine große Schwere lastet auf ihm. Regelmäßig sitzt der wortkarge Mann, der von einem Leben in den USA träumt und deshalb als Konterrevolutionär gilt, über einem zerlesenen Kurzgeschichtenband, um ein paar Brocken Englisch zu lernen. Ganz anders der schwule Diego. Seiner fortschreitenden Aids-Erkrankung begegnet er mit kaum zu bremsender Quasseligkeit und galgenhaftem Humor – „Ich bin zwar am Arsch, aber meine Libido lebt, mein Herz“, erklärt er dem als frigide und asexuell beschimpften Freund, dass er selbst unter starken Schmerzen noch einen Porno guckt. Zu seinem Geburtstag wünscht er sich einen Strichjungen: „Heute Nacht will ich Genitalien in 3-D sehen und danach sterben!“

Pérez erzählt die kammerspielartig inszenierte Geschichte in einer Abfolge von gleichförmigen Tagen. Das eingeblendete Datum kündigt sie an. Ob dabei mal ein, zwei oder auch acht Tage übersprungen werden, macht keinen Unterschied. Nach jedem Arbeitstag fragt Miguel in Erwartung seiner Ausreisegenehmigung nach der Post, jeden Abend starrt er auf die „Yankee-Karte“, jeden Abend um Punkt elf Uhr erinnert ihn ein Wecker an die Medikation. Als Diego von seiner quirligen Nichte Yusi (Gabriela Ramos) einmal nach der Uhrzeit gefragt wird, antwortet er: „Hier drinnen existiert die Zeit nicht“.

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Zu dieser fraglos auch gesellschaftlichen Diagnose passt, dass „Letzte Tage in Havanna“ dramaturgisch weder verdichtet wird noch auf irgendeine Art von Auflösung hinarbeitet. Auch das Geheimnis um Miguels Traurigkeit behält der Film für sich. Umso bedeutsamer sind die kleinen Bewegungen. Zu den alten Freundschaften und Solidargemeinschaften, die Pérez würdigt, kommen neue Verbindungen hinzu. Der „Geburtstagsstricher“ mit dem Namen P3 – Diego tauft ihn nach dem Anblick seiner ganzen Männlichkeit in P4 um – wird zum Gesprächspartner spritziger Unterhaltungen. Yusi, die schwanger von zu Hause abgehauen ist und ihrem Onkel ungeniert das Versprechen abringt, ihr die Wohnung zu vererben, mischt mit ihrer Energie kurzzeitig den Haushalt auf. Unversehens steht in der Küche ein Punk und backt Kuchen. Ohne falsche Töne der Versöhnung anzustimmen, bricht Pérez das dystopische Klima ein wenig auf und macht Platz für andere Erfahrungen – und für eine vitalere Bildsprache.

Wenn Miguel am Ende durch Havanna läuft, rücken ihm die Gesichter der Menschen plötzlich nahe. Anstatt sich wie zuvor in seiner grantigen Miene festzubeißen, setzt die Kamera seinen Blick auf die ihm Entgegenkommenden in ein dynamisches Verhältnis. So viel direktes Erleben, so viel Präsenz und Offenheit war nie zuvor. In Miguels Augen schimmert ein feuchter Glanz.

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Esther Buss

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