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Foto: Ullstein/B. Friedrich

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Kultur: Die Mutige

Zum Tod der Autorin Cordelia Edvardson.

Gerade 134 Seiten hatte ihr 1986 im Hanser Verlag erschienenes Buch mit dem besonderen Titel „Gebranntes Kind sucht das Feuer“. Und es war, so scheinbar schmal, auch ein ganz besonderes Zeugnis – vom Überleben. Der zuerst in Stockholm publizierte autobiografische Roman der schwedischen Autorin Cordelia Edvardson, 1929 in München geboren und in Berlin als Tochter der einst berühmten Schriftstellerin Elisabeth Langgässer aufgewachsen, gehört wie die Bücher von Primo Levi oder Imre Kertész zum Erschütterndsten und zugleich Erhellendsten, was über die größtmögliche Menschheitsverfinsterung aus eigener Erfahrung geschrieben wurde.

Das 14-jährige Schulkind wird 1943 aus dem vermeintlich behüteten Berliner Bürgermilieu gerissen. Ihre nach den NS-Rassengesetzen halbjüdische Mutter und die (unehelich geborene) Cordelia, deren Vater gleichfalls jüdisch war, wurden zur Gestapo bestellt, nachdem Cordelia zu ihrem Schutz von einem spanischen Ehepaar adoptiert worden war. Die Gestapo drohte nun, Elisabeth Langgässer zu verhaften. Da opferte sich Cordelia für ihre Mutter, und diese nahm das Ungeheure an: Cordelia verzichtete auf ihren spanischen Pass und wurde vom Berliner Bahnhof Grunewald nach Theresienstadt, später nach Auschwitz deportiert. Dort hat das Mädchen mit der zierlichen Kinderschrift für Doktor Mengele dessen mörderische Menschenversuche protokollieren müssen.

Ihr Buch, das mit poetischer Leichtigkeit vom Allerschwersten erzählt, hat das gebrannte Kind neben ihren eigenen Kindern auch Elisabeth Langgässer gewidmet. Sie wollte sie nicht als Rabenmutter sehen. Die Mutter sei vielleicht schwach gewesen, „aber die Täter waren die Nazis“. Darauf beharrte sie. Und suchte wieder das Feuer, freilich ein völlig anderes. Edvardson, nach 1945 in Schweden beheimatet, ging unter dem Eindruck des Yom-Kippur-Krieges nach Jerusalem und arbeitete dort bis 2006 als Nahost-Korrespondentin der Zeitung „Svenska Dagbladet“. Sie interviewte Arafat im belagerten Bunker, ging mutig an alle Brennpunkte und kritisierte zunehmend auch die israelische Politik. Vor zwei Jahren hat sie in dem dtv-Band „Wenn keiner weiter weiß“ von ihren meist hellsichtigen, politisch klugen und menschlich berührenden Beobachtungen berichtet.

In Deutschland erhielt sie den Geschwister-Scholl-Preis. Aber Ehrungen waren ihr fremd, sie liebte keine Förmlichkeiten, war allemal ehrlich, direkt, mit schönem, manchmal scharfem Humor. Als eine bekannte deutsche TV-Talkshowmasterin sie zur Eröffnung des Gesprächs einmal fragte: „Wie kamen Sie nach Auschwitz?“, antwortete sie kurz: „Mit dem Zug.“ Anfang dieser Woche ist Cordelia Edvardson mit 83 Jahren in Stockholm gestorben. Peter von Becker

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