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Kultur: Die Natur des Terrors

Sturmhöhen, Sturmtiefen: Amerika zwischen Hurricane, Erdbeben und dem Jahrestag von 9/11

Wochen vor dem Hurricane über der amerikanischen Ostküste, die Luft war noch rein, erschien das altehrwürdige „Harper’s Magazine“ mit einer prophetischen Titelgrafik: Da stehen noch die Twin Towers des World Trade Center, sie werden umspült von einer gigantischen Flutwelle, die Manhattan verschlingt. Das Bild erinnert an Roland Emmerichs Katastrophenfilm „The Day after Tomorrow“ und ist mit der Schlagzeile „The American State of Horror“ überschrieben.

Was dabei so irritiert und gleichermaßen fasziniert, ist die Überblendung unermesslicher Naturgewalten mit den islamistischen Terrorakten des 11. September 2001. Sie brachten jene Türme zum Einsturz und töteten tausende Menschen. Al Qaidas fliegende Bomben haben die Welt verändert, die westliche ebenso wie die islamische.

In „Harper’s“ Titelgeschichte („Getting over 9/11“) spricht David Rieff nun ten years after von der quälenden Notwendigkeit, zu vergeben und zu vergessen. Denn Geschichte und Erinnerung, argumentiert der Publizist und Gegner des Irakkriegs, können neues Unheil, neues Leid generieren, wenn sie politisch instrumentalisiert werden. Rieff, der Sohn Susan Sontags, erwartet die Gedenkfeierlichkeiten zum zehnten Jahrestag der Anschläge auf Ground Zero mit gemischten Gefühlen. Er warnt vor nationalistischen Gefühlsausbrüchen.

Selbst wenn man nicht an übernatürliche Verschwörungstheorien oder Fügungen glaubt, muss man zugeben: Es sind seltsame Koinzidenzen. Erst das Erdbeben vom 23. August, das eine Stärke von 5,9 auf der Richterskala hatte, mit dem Epizentrum unweit von Washington, wo Regierungsgebäude und Museen an der National Mall evakuiert wurden, dann der Riesensturm Irene, der am darauf folgenden Wochenende von North Carolina über New York bis nach New England tobte. Beides äußerst seltene Phänomene in diesem Teil der USA.

Und das wird benutzt. Michele Bachmann, die sturzreaktionäre Anwärterin auf die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner, interpretierte das Naturgeschehen auf ihre Weise. Erdbeben und Hurricane müsse man als Fingerzeig Gottes begreifen, wurde die Tea-Party-Anhängerin und Obama-Hasserin von CBS zitiert. Gott wisse, dass „die Regierung einen Kurs krankhafter Fettleibigkeit fährt, und dass wir die Geldausgeberei bändigen müssen“. Ähnlich hatten sich nach den Terrorangriffen des 11. September wahnsinnige Prediger in Szene gesetzt und die Al Qaida-Attentate als Strafe Gottes für eine dekadente Gesellschaft bezeichnet. Dieselbe Michele Bachmann schimpft die US-Umweltbehörde einen Jobkiller und fordert deren Schließung, so lange jedenfalls, wie die Wirtschaftsprobleme der USA nicht gelöst seien. Kurz: Gott macht das Klima. Der glückliche Umstand, dass Irene nicht zum Overkiller wurde, gibt den Ignoranten Auftrieb. Erderwärmung? Kann so schlimm nicht sein. Klimakatastrophe? Nichts als Panikmache, linke Propaganda.

Das sind keine Stimmen aus einem totalitären Gottesstaat, sondern Beobachtungen in der größten Demokratie der Welt, die sich auf den 10. Jahrestag von 9/11 und die Präsidentschaftswahl im Herbst 2012 vorbereitet. Für Naturkatastrophen hat die englische Sprache einen interessanten Ausdruck: acts of God. Es ist ein Terminus, den die Versicherungen benutzen, aber in der gegenwärtigen Krisenlage wird das alles schnell politisch. New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg, so die überwiegende Meinung in den USA, hat Irene gut gemanagt. Auch Präsident Barack Obama hat nichts falsch gemacht. Man hat aus den bitteren Erfahrungen von Katrina gelernt, agierte dieses Mal vorausschauend, wenn nicht übervorsichtig, die Evakuierungen verliefen diszipliniert. Damals hatte die Bush-Regierung lange tatenlos zugesehen, wie Louisiana in den Fluten versank.

Ground Zero unter Wasser, zum runden Jahrestag? New York eine Beute von Killerwellen? Nicht auszudenken. Irene wie auch das Erdbeben, so symbolbeladen sie waren, wurden nicht zur nationalen Katastrophe. „Relief“, titelten die Zeitungen nach dem Hurricane, Erleichterung fast überall. Während die Enthüllung des Martin-Luther-King-Memorials in Washington wegen Irene ins Wasser fiel, blieb der sogenannte „Survivor Tree“, der Baum, der die Katastrophe des 11. September überlebt hat, auch jetzt unbeschädigt. Ein Autor des „New Yorker“ wies darauf hin, dass an jenem 11. September, zwischen dem Aufprall des ersten und des zweiten Flugzeugs, viele Menschen für einen Augenblick an eine Naturkatastrophe glaubten. Während des Erdbebens wiederum verbreitete sich einen Moment lang Terrorangst – ein neuer Anschlag!?

9/11 hat die Natur politisiert, und der Terror hat sich mit geologisch-meteorologischen Phänomen aufgeladen. Die amerikanischen Fernsehsender schickten ihre kriegserprobten Starreporter an die Sturmfront von New Jersey, mit Regenzeug statt kugelsicherer Weste und Stahlhelm. Einen Hurricane kann man verfolgen, man kann sich darauf vorbereiten und in Sicherheit bringen – er rollt eben, verrückt genug, langsam heran. Ein Erdbeben gleicht eher einem Terrorangriff: Man weiß, dass es passieren kann. Nur nicht, wo, wann und wie stark.

Was war demnach die Katastrophe im Golf von Mexiko? Ein act of God – höhere Gewalt, bei der die Ölindustrie ihre Hand im Spiel hatte? Wer hat die Stürme an der Wall Street, die Tiefdrucksysteme an den Märkten zu verantworten? Schickte der japanische Gott den Tsunami, weil er Atomkraftwerke für Blasphemie hält?

Irene übrigens ist ein griechischer Name, er bedeutet Frieden.

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