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Filmkritik: Die Wunden von damals

Duell nach 33 Jahren: Oliver Hirschbiegels Irland-Thriller "Five Minutes of Heaven".

Man mag sich zunächst verwundert die Augen reiben. Wals inspiriert den deutschen Regisseur Oliver Hirschbiegel dazu, einen Film über die Spätfolgen des Terrors in Nordirland zu drehen? Ist ein Mann, der beim heimischen „Tatort“ angefangen hat und zuletzt beim US-amerikanischen Science-Fiction-Film gelandet ist, für dieses sehr spezielle Thema die richtige Wahl?

Bei näherem Hinsehen ist hinter Hirschbiegels Engagement für dieses Projekt durchaus eine gewisse Logik zu erkennen. In seinen Filmen kommt es immer wieder zu psychologischen Konfrontationen auf engstem Raum – sei es in wissenschaftlichem Rahmen in seinem klaustrophobischen Thriller „Das Experiment“ (2001), sei es im Führerbunker in „Der Untergang“ (2004). Schon in seinem Fernsehkrimi „Das Urteil“ (1997) hatte er zwei Männer in einem Flughafen-Warteraum kammerspielartig miteinander konfrontiert.

Auch in „Five Minutes of Heaven“ spielen ein psychologisches Duell und die Verdichtung von Räumen eine entscheidende Rolle. Auf der einen Seite steht Alistair Little (Liam Neeson): Mitte der siebziger Jahre hat er als Mitglied der protestantischen Ulster Volunteer Force einen Katholiken erschossen. Auf der anderen Seite lauert Joe Griffin (James Nesbitt), der jüngere Bruder des Opfers und damals Zeuge des kaltblütigen Mordes. In jener Nacht standen sie sich für ein paar unendliche Sekunden Auge in Auge gegenüber. 33 Jahre später sollen sie in einem Fernsehduell aufeinandertreffen. Ein quotengeiler Sender will die Aussöhnung als medienhistorisches Top-Ereignis inszenieren – mit großen Bildern, mit ganz großen Gefühlen.

Oliver Hirschbiegel und sein Drehbuchautor Guy Hibbert haben sich für ihren Plot einen besonders passenden dramaturgischen Kniff einfallen lassen. Die Protagonisten bewegen sich räumlich aufeinander zu – bis nur noch eine Tür sie trennt. Doch die Begegnung wird immer wieder aufgeschoben. Hirschbiegel schneidet dabei durchgängig zwischen den beiden Figuren hin und her. Seine Parallelmontage soll verdeutlichen: Hier leben zwei Männer in einander gänzlich fremden Welten, auch wenn sich ihre geografischen Räume berühren mögen.

Beide werden von Dämonen der Erinnerung heimgesucht. Alistair Little plagt die Schuld. Auch wenn er nach seiner Gefängnisstrafe als Friedensvermittler um die Welt gereist ist, wird er den Fluch der bösen Tat nicht los. Joe Griffin hingegen steht im Bann des Hasses. Schon früh weiß der Zuschauer, dass er einen Dolch im Gewande trägt. Griffin will nicht die Warhol’schen fifteen minutes of fame - ihm genügen die five minutes of heaven der befriedigten Sehnsucht nach Rache. James Nesbitt spielt den hypernervösen Joe Griffin mit exzentrischem Tick gefährlich nah am Over-acting. Liam Neeson hingegen strahlt als sein Gegenüber eine grüblerische Gravität aus, die sehenswert ist.

Das Problem von „Five Minutes of Heaven“ liegt woanders. Hirschbiegel legt immer großen Wert auf ordentliches Inszenierungshandwerk – der Überbau seiner Filme aber scheint ihm zweitrangig. Mal ist die Handlung komplett widersprüchlich („The Invasion“). Mal oszilliert er unentschieden zwischen dem Verdammen von Gewalt und der visuellen Lust an ihr („Das Experiment“). Mal kokettiert er gar mit der Geschichtsverharmlosung („Der Untergang“).

„Five Minutes of Heaven“ wirkt vor allem naiv. Zur Bewältigung historischer Traumata schlägt er eine kathartische Haudrauf-Lösung vor: Männer, poliert euch mal richtig die Fresse, dann wird alles gut! Wenn die Sache bloß so einfach wäre.

Central und Lichtblick (beide OmU)

Julian Hanich

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