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Ashraf El-Sharkawys "Freedom Bus" auf der Straße unterwegs, im gleichnamigen Dokfilm aus Ägypten.

©  Filmfest München

Dokumentarfilm aus Ägypten: "Freedom Bus" auf dem Münchner Filmfest

Was für eine Momentaufnahme: Mittwochabend, Mursi ist gerade entmachtet worden, und beim Münchner Filmfest läuft die ägyptische Doku „Freedom Bus“.

Die Ereignisse überschlagen sich an diesem Mittwochabend – und auch auf dem Münchner Filmfest, wo zufällig exakt zur Großnachricht aus Ägypten der Dokumentarfilm „Freedom Bus“ auf dem Spielplan steht, zünden die Neuigkeiten vom Tahrir-Platz wie ein Feuerwerk. „Für alle, die in den letzten zwei Stunden tatsächlich nicht auf ihr Smartphone geschaut haben: Mursi ist entmachtet!“, ruft die Regisseurin Fatima Geza Abdollahyan vor der Spätvorstellung ihres Films ins Publikum.

Der Kinosaal ist voll. Die Leute sind spürbar gespannt. Das Wiedererwachen der ägyptischen Revolution, der Sturz Mursis und die Aussicht auf Neuwahlen machen „Freedom Bus“ plötzlich extrem aktuell – dabei ist er bereits historisch, gedreht vor zwei Jahren, vor und während der ersten Wahlen das arabischen Frühlings in Ägypten. Auf einmal scheinen Kino und Wirklichkeit eins zu sein. „Ashraf lässt grüßen!“, sagt die Regisseurin. „Er ist traurig, nicht mehr hier sein zu können. Aber er ist heute zurück nach Ägypten geflogen.“

Mursi war noch nicht an der Macht: Der Regisseur bricht auf, um mit dem Film die Arabellion zu unterstützen

Ashraf el Sharkawy ist der Protagonist ihres Films. 2011 hat der in Deutschland aufgewachsene Ägypter spontan seinen sicheren Job und das bequeme Leben in München aufgegeben, um im Heimatland seiner Eltern den dortigen Freiheitskampf zu unterstützen: mit dem Projekt „Freedom Bus“. Mit dieser Kampagne will Ashraf die Menschen in Ägypten über das Wesen der Demokratie und den Sinn demokratischer Wahlen aufklären.

Nach vier Monaten Vorbereitung, einer Menge Logistik und einigen Schulungen von Freiwilligen fährt er mit einem Bus voller Gleichgesinnter von Stadt zu Stadt, um Infobroschüren zu verteilen, Lehrfilme zu zeigen oder einfach mit den Menschen zu diskutieren – ausdrücklich ohne Wahlempfehlung. Es geht um Gewaltenteilung, um den Sinn einer Verfassung: um demokratisches Grundwissen.

Immer wieder kommt es bei den Begegnungen mit den Ägyptern zu tumultartigen Szenen, schon das Wort „liberal“ führt zu heftigen Streitereien um die Wortdefinition. Sexuelle Enthemmung würden diese Liberalen fordern, Ehen zwischen Moslems und Christen, ruft einer. Ein anderer schreit, er sei liberal – und trotzdem gläubig und moralisch! Immer wieder wird der Verdacht geäußert, die Menschen im Bus seien Spione – ein Vorwurf, dem auch das Filmteam laut Regisseurin immer wieder ausgesetzt gewesen ist.

Stadt im Dunst. Das plakatmotiv des Films.
Das Plakatmotiv des Films der Ägypterin Fatima Geza Abdollahyan.

© Promo

Ashraf selbst hält sich während dieser Arbeit auf der Straße im Hintergrund. Zu deutlich wäre der deutsche Akzent in seinem Arabisch, zu verdächtig! Es sind dies die fesselndsten und erhellendsten Momente des Films, wenn Ängste, Wünsche und Hoffnungen verbal aufeinanderprallen, wenn diskutiert und gestritten wird. Im Winter 2011 ist Schluss mit dem Projekt. Sechs Monate ist der Bus unterwegs gewesen, sechs Monate wurden Ashraf und seine Mitstreiter argwöhnisch beäugt von der Geheimpolizei, die dann ihre Macht spielen lässt. Subtile Warnungen, immer häufiger – und dann ist Schluss mit lustig. Obwohl Geld vorhanden wäre, etwa vom Auswärtigen Amt der Bundesrepublik, und bereits über die Anschaffung weiterer Busse debattiert wird, liegt das Projekt erst mal auf Eis. Am Wahltag 2011 äußert sich Ashraf mit gemischten Gefühlen. Partystimmung sieht anders aus. Allenfalls zu 70 Prozent würden die Wahlen wohl demokratisch, meint er – aber immerhin.

Als die Vorstellung in München nach Mitternacht zu Ende ist, erkundigen sich die Zuschauer eifrig – nach den Produktionsbedingungen vor Ort, nach der Finanzierung, nach diesem und jenem. Vor allem aber interessiert: Hat die ganze Aktion etwas gebracht? Ashraf sei keineswegs naiv, meint dazu die Regisseurin. Er habe nur einfach irgendwo anfangen wollen mit dem Dialog. Und: Solche Entwicklungen, sagt sie, brauchen wahnsinnig viel Zeit. Großes allgemeines Einverständnis – und was, bitte, wäre hier auch ein objektiver Maßstab für Erfolg?

Da wird Fatima Geza Abdollahyan noch einmal vehement: „Wenn man sich die angeblich 22 Millionen Unterschriften gegen Mursi anschaut: Das ist politische Willensbildung!“, ruft die Regisseurin. „Das ist ein Impeachment-Verfahren durch das Volk! Auch wenn wir heute natürlich nicht wissen können, was morgen passiert, das ist positiv!“ Ebenso wie das Ende des Films: Ashraf gibt seine Münchner Wohnung auf, um nach Ägypten zu ziehen. Er will weitermachen, seinen Bus wieder in Fahrt bringen, weiter reden, weiter überzeugen, weiter für die Demokratisierung seines Landes kämpfen, weiter alles tun für einen arabischen Sommer.

Karl Hafner

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