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Szene aus "Dieses schöne Scheißleben".

© Flying Moon / Senator

Doris Dörries Doku "Dieses schöne Scheißleben": Die singende, klingende Friedhofskapelle

Jenseits der Klischees: Regisseurin Doris Dörrie erkundet in ihrem Film "Dieses schöne Scheißleben" die Welt der mexikanischen Mariachi-Musikerinnen.

Auf der Plaza Garibaldi mitten in Mexico-City mischen sich Touristen und Einheimische, Taschendiebe und Straßenhändler. Und vor allem am Wochenende auch Hunderte von Mariachis, die sich in ihren knapp sitzenden schmucken Uniformen hier versammeln. Die Plaza mit den sie umgebenden für die anreisenden Musiker geschaffenen Schlafsälen, Proberäumen und Sombrero-Geschäften ist ihr Bazar: Manche geben gleich an Ort und Stelle für ein paar Pesos ein Ständchen, andere verdingen sich für den späteren Einsatz zu jedwedem Anlass – vom Heiratsantrag bis zum Begräbnis. Ein zum Anlass passendes aufmunterndes, schmachtendes oder trauriges Canción findet sich immer.

Drei bis acht Musiker inklusive Gesang, Violine, Trompete und Guittarón umfasst eine Gruppe, die meisten sind männlich. Seit über einem halben Jahrhundert aber mischen immer öfter auch Frauen im Gewerbe mit – von den Kollegen als Konkurrenz argwöhnisch belauert und von manchen Kunden als künstlerisch getarnte Prostitution missverstanden. Dazu kommt die gewöhnliche – oft machistisch geprägte – Gewalt.

Doris Dörrie hat die Mujeres Mariachi für sich entdeckt

Keine Frage: Um in diesem Umfeld als Mariacha zu reüssieren, braucht es außer Talent auch starken Willen und Mut. Über all dies verfügt die Sängerin María del Carmen, die es mit ihrem sonoren Mezzosopran gut mit Cecilia Bartoli aufnehmen könnte und sich mit einer männlichen Begleitband tagtäglich auf der Plaza die Seele aus dem Leib singt. Vom kargen Honorar muss sie Mutter und Töchterchen durchbringen. Auch die jeweils zum Wochenende anreisenden Damen der Frauentruppe „Estrellas de Jalisco“ haben Kinder zu Hause – und manchmal auch eifersüchtige Ehemänner. Doch wenn sie ihren kleinen Tourbus besteigen, zählen nur noch die Reise und die Musik. Und die bedeutet ihnen immer auch Emanzipation aus Abhängigkeit und Not, seelisch wie materiell. Deshalb singen die Veteraninnen von „Las Pioneras“ auch aus dem Ruhestand noch regelmäßig mit der „Canción Mixteca“ oder „La Basurita“ gegen Elend und Gewalt an.

Mit ihrer Leidenschaft haben die Frauen auch Regisseurin Doris Dörrie angesteckt – eine altgediente Mexiko-Aficionada, die alljährlich mehrere Wochen dort verbringt. Irgendwann hat sie die Mujeres Mariachi entdeckt und dann sechs Wochen mit einem kleinen Team auf der Plaza Garibaldi, bei Auftritten und bei den Frauen zu Hause gedreht – lange genug, um musikalische Inbrunst und Begeisterung mit der bewegten Kamera von Daniel Schönauer einzufangen.

Fetzig, schmalzig, schön: "Dieses schöne Scheißleben"

Von Lebensnöten und -sorgen erzählt der Film mit dem allseits sprechenden Titel „Dieses schöne Scheißleben“ – und lässt auch das nach den Mariachis und dem Drogenkrieg dritte große Mexiko-Klischee nicht aus – den Día de los Muertos, an dem die Mexikaner ihre Verstorbenen auf dem Friedhof mit Tequila und Süßigkeiten bewirten. Mit Hingabe filmt Dörrie die Mariachi-Kapellen, die von Grabstein zu Grabstein ziehen – leider verbieten die Friedhofsordnungen bei uns diese musikalischen Bräuche.

Faszinierend gelingt es Dörrie zugleich – und das spricht für ihren wahrnehmungsoffenen dokumentarischen Blick –, diese Stereotypen hinter sich zu lassen. Und so entsteht, mit Geduld und dem Sinn für präzise Beobachtung, ein dichtes und widerspruchsreich lebendiges Bild der mexikanischen Musikerinnen und der sie umgebenden Gesellschaft. Die klug eingesetzte Musik tut das ihre dazu – mal fetzig, mal schmalzig, immer schön.

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