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Finster. Alice Cooper in John Carpenters Film „Prince of Darkness“.

© Foto: Imago/UA

Ein Philosoph auf Spurensuche: Gibt es das Böse?

Das Böse fasziniert und ist doch schwer greifbar. Der Philosoph Jörg Noller folgt dem Phänomen im Buch „Theorien des Bösen“ von Goethes „Faust“ bis zu „Breaking Bad“, durch Psychologie und Politik.

"Evil is alive and well“: Mit diesem Song beschwört Jakob Dylan das Böse auf seinem ersten Soloalbum „Seeing Things“. Er versammelt tradierte Attribute des Bösen: von der Mistgabel zum Schwanz, von Rauchfahnen zu Bienenschwärmen. Das Böse, heißt es, sei oft formlos, fast immer namenlos, aber aktuell wie in biblischen Zeiten. Es drohe die Welt aufzufressen: „It’s ragged and fat, it’s hungry as hell.“ Das reimt sich schön auf „well“.

Wenn das Böse lebt, dann braucht es auch eine Theorie – und nicht nur eine. Jörg Nollers Einführung in die „Theorien des Bösen“ geht von der allgegenwärtigen Faszination für das Böse aus. Doch interessiert sich das Buch weniger für Fälle als für Theorien, und so steht am Anfang nicht die Frage nach den Phänomenen des Bösen, sondern die nach seiner begrifflichen Durchdringung: „Wozu ein Begriff des Bösen?“ Lässt es sich – mit Richard J. Bernstein und Rüdiger Safranski – als das radikal Andere gar nicht begreifen? Ist es als religiöses Konzept mit der Aufklärung obsolet geworden? Ist es in seiner Verwendung moralisch, gar politisch zweifelhaft? Sechs Schneisen schlägt Noller: Die „Theologien des Bösen“ fokussieren auf den Sündenfall im Judentum, Christentum und Islam. Die chronologisch, nicht systematisch angeordneten „Philosophien des Bösen“ spüren der Freiheit zum Bösen nach. Ist das Böse Mangel des Guten oder Perversion?

Höllischer Höhepunkt sind die „Pathologien des Bösen“

Das ästhetische Kapitel untersucht Bilder des Bösen in Literatur, Kunst, Musik und Film. Nollers Ausführungen reichen von den Klassikern – „Othello“, „Faust“ oder den „Fleurs du mal“ – bis zu den Erfolgen der Gegenwart: der TV-Serie „Breaking Bad“ oder dem Computerspiel „Dungeon Keeper“. Erhellend, aber nicht neu ist, wenn Noller Kants Freiheitskonzept gegen das beim Marquis de Sade zur Schau gestellte Vergnügen am Laster legt. Schon die „Dialektik der Aufklärung“ von Adorno und Horkheimer hatte die „bösen Philosophen“ ins Visier genommen. So verwundert es, dass Noller ohne Verweis auf diese Grundlagenschrift auskommt.

Die „Psychologien des Bösen“ schließlich reichen vom schlechten Gewissen bis zu den Aggressionsexperimenten von Milgram oder Zimbardo. Höllischer Höhepunkt des Bandes sind die „Pathologien des Bösen“, die Akzente quer zu den disziplinären Zugängen setzen: Wenn Noller die Aktualität von Hannah Arendts „Diagnose des totalitären Bösen“ auch im 21. Jahrhundert betont, drängt sich die Frage nach der Politik und Moral des Begriffs gleichsam auf. Die „Achse des Bösen“, die George W. Bush 2002 ausrief, brachte Faschismus und Bibel, Kalten Krieg und terroristische Bedrohung fatal durcheinander.

Noller plädiert für einen kritischen Begriff des Bösen

Noller plädiert stattdessen für einen kritischen Begriff des Bösen. Nun macht es das Böse seinen Autoren traditionell schwer, ist seine Spezialität doch die Begriffsverwirrung. So stellen sich hier und da Unschärfen ein, etwa wenn die Einschaltquoten für Krimiserien als starkes Indiz für die Resonanz des Bösen herhalten müssen. Die Wege durch die Begriffsgebirge zeigen aber auch, dass die „Theorien des Bösen“ an einer kritischen Diskussion der unter ihnen gefassten Phänomene nicht vorbeikommen.

Sind Zorn, Verzweiflung oder Neid, Aggression, Egoismus oder gekränkte Eitelkeit böse? Lässt sich das gleichermaßen von Thomas Hobbes’ brutalen Bürgerkriegern wie von Jean-Jacques Rousseaus verzogenen Bürgerkindern sagen? Von der Ästhetik des Hässlichen, der Lust am Horrorfilm oder der Gothic Novel? Das führt zur Eingangsfrage zurück: „Wozu ein Begriff des Bösen?" Noller gibt zur Beantwortung reiches Material an die Hand – mit kommentierter Auswahlbibliografie und Register.

Jörg Noller: Theorien des Bösen. Zur Einführung. Junius Verlag, Hamburg 2017. 188 Seiten, 14,90 €.

Hendrikje Schauer

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