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Kultur: Ein spannendes Relief

In kaum einer anderen Straße der Stadt kommt das Gesicht des neuen, steinernen Berlin derzeit deutlicher zum Vorschein als hier: Zwischen Bahnhof Friedrichstraße und Kochstraße hat sich eine touristenträchtige Agglomeration großer Architektennamen gebildet.Allesamt haben sie sich mit ihren Neubauten auf die Suche nach dem Mythos "Friedrichstraße", nach dem großstädtischen Flair der einst bedeutendsten Geschäftsstraße Berlins begeben.

In kaum einer anderen Straße der Stadt kommt das Gesicht des neuen, steinernen Berlin derzeit deutlicher zum Vorschein als hier: Zwischen Bahnhof Friedrichstraße und Kochstraße hat sich eine touristenträchtige Agglomeration großer Architektennamen gebildet.Allesamt haben sie sich mit ihren Neubauten auf die Suche nach dem Mythos "Friedrichstraße", nach dem großstädtischen Flair der einst bedeutendsten Geschäftsstraße Berlins begeben.Das Ergebnis sind parzellensprengende Gebäude im Blockformat, deren Garagen sich mehrere Stockwerke tief in den märkischen Sand buddeln.Oberirdisch erweist sich das architektonische Resultat in weiten Teilen als eine in Lochfassaden gepreßte Hausmannskost.Doch keine Regel ohne Ausnahme.Zu diesen Ausnahmen zählt das Rosmarin Karree, aus zwei weitgehend eigenständigen Gebäuden zusammengesetzt.Den der gewerblichen Nutzung vorbehaltenen Teil zur Friedrichstraße haben die Hamburger Architekten Jürgen Böge und Ingeborg Lindner-Böge als Wettbewerbssieger von 1994 entworfen.Ihm schließt sich an Behren- und Rosmarinstraße ein Querriegel mit den obligatorischen zwanzig Prozent Wohnnutzung an, der von Petra und Paul Kahlfeldt stammt.

Zu den Vorgaben für das Rosmarin Karree zählte neben einer doppelgeschossigen Kolonnade an der Friedrichstraße, deren Decke Böge / Lindner-Böge auf interessante Weise aus Holz und Glas kreierten, auch eine Lochfassade.Die Entscheidung der Architekten, diese Lochfassade teilweise doppelschalig aus Naturstein und Glas auszuführen, führte zu einer intelligenten Lösung.Entstanden ist eine nahezu plane Fassadenoberfläche, bei der der dunkelgraue polnische Sandstein des Wandsystems bündig mit der gläsernen Verkleidung der Fensterlöcher abschließt.Dahinter liegen die eigentlichen hölzernen Fenster aus kanadischer Kiefer.Ihr honigfarbener Ton verbereitet freundliche Atmosphäre, bildet einen reizvollen Kontrast zum strengen Grau des Natursteins und den mit Edelstahl verblendeten Fugen.Um auch im Inneren der Büros einen hohen Anteil an natürlichem Licht zu erhalten, wurden vertikale Stützen dreieckig gestaltet, sie verjüngen sich zum Gebäudeinneren hin.Das Ergebnis: weit größere Fensterflächen in den Büros als es das klare Fassadenraster von außen vermuten läßt.An mehreren Stellen wurde die strenge Struktur der Lochfassade fast vollständig in Glasflächen aufgelöst.So zieht sich im zweiten Obergeschoß ein Glasband um die Fassade, das die oberen Geschosse bei nächtlicher Illumination wie über der Kolonnade schwebend erscheinen läßt.Die beiden gläsernen Staffelgeschosse verleihen dem Bau einen luftigen Abschluß nach oben.Die drei letzten Fensterachsen Ecke Behren / Friedrichstraße, vollständig von der gläsernen Fassadenschale überfangen, schaffen eine markante Ecksituation.

Im Inneren hat man sich angesichts der schwierigen Situation bei der Vermietbarkeit von Gewerberäumen für kleinteilige Aufteilbarkeit, für Einheiten ab etwa 300 Quadratmeter entschieden.Die bunte gewerbliche Mietermischung im Rosmarin Karree besteht derzeit aus einem Autokonzern, einem Buchladen sowie einem Fitneßcenter und wird für die nächsten Jahre durch Bundestags-Büros komplettiert.

Dem für die Friedrichstraße ungewohnten, sehr noblen, kraftvollen Ausdruck des Bauteils von Böge / Lindner-Böge stehen die teilweise als Maisonette ausgeführten City-Appartments des Büros Kahlfeldt in nichts nach.30 Meter hoch ragen die auf quadratischem Grundriß errichteten Wohntürme an Behren- und Rosmarinstraße empor und fangen die zurückgesetzten Staffelgeschosse auf.Zusätzlich pointiert wird ihre vertikale Ausrichtung der Wohntürme durch zentrierte Anordnung der Wintergärten.Deren stählerne Konstruktion, die kastenfensterartig aus der Bauflucht hervortritt, schafft einen spannungsvollen Kontrast zu den Muschelkalkplatten der Wandverkleidung und verleiht der Fassade Relief.

Die von glänzendem Messing und gebogenem Glas dominierte Eingangssituation erweist sich als eine äußerst stilvolle Reminiszenz an die Ladenarchitektur der späten Zwanziger.Die Erinnerung an den Glanz des Art-Deco erlebt hier seine stimmungsvolle Wiedergeburt.Auch die Verwendung glasierter Klinker an der Fassade des Hofriegels, der die Turmbauten verbindet, zeigt eine zeitgemäße Interpretation eines aus der Berliner Baugeschichte entliehenen Themas.Gerade durch das Wechselspiel von Hell und Dunkel bei der Auswahl der Materialien der Fassadenverkleidung sowie durch den Kontrast einer planen Fassadenoberfläche bei Böge / Lindner-Böge und einem sparsam eingesetzten Fassadenrelief bei Kahlfeldt ergänzen sich die Gebäude.Trotz gemeinsamer Tiefgarage, die den Komplex dreigeschossig unterkellert, bleibt so wenigstens oberirdisch die historische Parzellenstruktur erkennbar und verliert sich nicht vollständig in der vereinheitlichenden Beliebigkeit der Quartier-Bebauungen.

JÜRGEN TIETZ

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