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Kultur: Eine verwickelte Affäre

Liebeswut und Todesmut: Die Berliner Choreografin Toula Limnaios lässt „Tosca“ tanzen

Von Sandra Luzina

Die mit Kreide markierten Körperumrisse auf dem Boden lassen die Bühne wie einen Tatort aussehen. Zu Beginn von „Reading Tosca“ werfen die sieben Tänzer sich in heftigen Stürzen zu Boden, spielen die vorgezeichneten Fallmuster durch. Den tödlichen Verlauf der Oper „Tosca“ nimmt Toula Limnaios gleich vorweg in ihrer choreografischen Neulektüre, die in ein Labyrinth der Leidenschaften führt. Die Bregenzer Festspiele haben die Berliner Choreografin damit beauftragt, in Anlehnung an Puccinis Oper ein eigenständiges Tanzstück zu kreieren. Ende Mai hatte „Reading Tosca“ Premiere im Bregenzer Festspielhaus, das weit über 1000 Zuschauer fasst. Nun hat Toula Limnaios die Tosca-Fantasie für ihre kleine Berliner Spielstätte, die Halle-Tanzbühne, eingerichtet, wo man ganz nah dran ist am Geschehen. Auf die Überhöhung der Gefühle in der Oper antwortet Limnaios mit einer wilden Tanzwut, und so entfaltet die Choreografie bald eine gewaltige Sogkraft.

Für Limnaios, die meist von literarischen Vorlagen ausgeht, ist dies die erste Auseinandersetzung mit der Oper. Macht und Missbrauch, Liebe und Wahn – das sind die zentralen Motive der Choreografin, die sich assoziativ auf das Libretto bezieht. Limnaios knüpft ein Geflecht an Beziehungen; das Band zwischen den Figuren zieht sie wie eine Schlinge immer enger zusammen. Das Auseinanderklaffen von Wunsch und Wirklichkeit führt zu rabiaten Konfrontationen.

Ralf R. Ollertz benutzte für seine Neukomposition den Mitschnitt einer Live-Aufführung von den Wiener Symphonikern in Bregenz als Basismaterial. Einzelne Elemente wurden herausgegriffen und neu kombiniert. Puccinis Motive scheinen wie durch einen Schleier hindurch. Der Gesang, wiewohl verfremdet, hat hier einen geradezu physischen Effekt auf die Tänzer. Wenn die Stimme des Polizeipräsidenten Scarpia ertönt, werden die Frauen schon mal unter Lautsprechern begraben. Den Männern kann man noch am ehesten Rollen zuordnen: Hironori Sugata in langem schwarzen Mantel zeichnet den Scarpia als bedrohliche Figur. Der dunkellockige Clebio Oliveiro gibt einen verführerischen Cavaradossi ab. Seiner Geliebten Tosca rückt er schon mal mit dem Kohlestift zu Leibe, er versucht sie so zu modellieren, dass sie seinem Idealbild der Frau entspricht.

Floria Tosca – und das ist der Clou der Inszenierung – tritt gleich in vierfacher Gestalt auf. Mit Mercedes Appugliese, Fleur Conlon, Kayoko Minami und Ute Pliestermann verfügt Limnaios über ungemein ausdrucksstarke Tänzerinnen, und sie weiß die weibliche Übermacht auf der Bühne geschickt zu arrangieren. Die Toscas schwanken zwischen Ohnmacht und Widerstand, Liebeswut und Todesmut. Die Frauen werden begehrt, bedrängt, benutzt. Sie werden in weibliche Rollenmuster gezwängt, ihr Spielraum wird eingeschnürt. Sie balancieren auf einem Stöckelschuh, ringen um ein prekäres Gleichgewicht. Dann wieder werfen sie sich beherzt in wilde Attacken. Bei Toula Limnaios tobt ein heftiger Geschlechterkampf über die Bühne. Vor allem die Duette beeindrucken durch eine emotionale Ambivalenz, die nachgerade das Markenzeichen der Choreografien von Toula Limnaios ist.

Wenn nacheinander Männer und Frauen in ein rotes Kleid mit imposanter Schleppe schlüpfen, sich in den Stoffbahnen verwickeln, dann ist das eine Szene von leuchtender Symbolkraft. Der finale Sturz ist dann freilich schon ein ironisches Spiel mit den Pathosformeln der Oper. Toula Limnaios gelingen Bilder von verstörender Schönheit. „Reading Tosca“ ist eine bewegende Reflexion über Oper und Affekte, über Körper und Stimme.

Halle-Tanzbühne, Eberswalder Str. 10-11, wieder heute und morgen, von 19.-22. und 26.-28.6., jeweils 21 Uhr

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